1. Hipster sind out
Sie waren ein Markenzeichen der Berliner Start-ups-Szene und verkörperten Aufbruchstimmung, die sogar die Fantasie von Kapitalgebern aus Hollywood wie Ashton Kutcher beflügelte. Doch dem Höhenflug folgte ein jäher Absturz. Er bewies, dass schickes App-Design nicht reicht und zeigte, wie schwer es ist, insbesondere mit mobilen Applikationen ein Publikum nachhaltig zu faszinieren und im Konkurrenzkampf an die Plattform zu binden. Das Eventportal Gidsy wurde im April 2013 von GetYourGuide übernommen. Die Top- und Flop-Bewertungsplattform Amen landete im August 2013 unter den Fittichen des Videoanbieters TapeTV. Und 6wunderkinder schluckte im Dezember die Messaging-App Moped. „Building audience on mobile is a bitch“, schrieb der Investor Fred Wilson (Union Square Ventures) zutreffend in seinem Blog. Übersetzt heißt das: Ein mobiles Publikum zu finden, ist verdammt schwierig. Oder: Wenn ein Berliner Start-up das schaffen will, muss es verdammt gut sein. Der Spieleentwickler Wooga hat das geschafft, das Streamingnetzwerk SoundCloud könnte es schaffen.
2. Gutes Geld für gute Arbeit
Als Microsoft-Gründer Bill Gates im Juni 35 Millionen Dollar (25 Millionen Euro) in das Berliner Start-up ResearchGate investierte, gab das der Berliner Gründerszene einen Motivationsschub. Endlich sind sie da, die ersehnten Investoren aus dem Start-up-Wunderland USA. ResearchGate ist ein soziales Netzwerk für Forscher mit knapp drei Millionen Mitgliedern – ein Facebook für Wissenschaftler. Gründer Ijad Madisch hatte damit bewiesen, dass auch ein Berliner Start-up in der internationalen Liga spielen kann. Weitere Investments in Berliner Firmen folgten: 30 Millionen Dollar (22 Millionen Euro) verbuchte das Lieferdienstportal Delivery Hero. Der Aufgabenplaner 6wunderkinder erhielt für seine Wunderlist 19 Millionen Dollar (14 Millionen Euro) vom Apple-Investor Sequoia. Motain, das Start-up hinter der Fußball-App iLiga, erhielt in zwei Runden insgesamt 15 Millionen Euro. Der Spielevermarkter AppLift aus der Hitfox-Gruppe von Jan Beckers sammelte ebenfalls 15 Millionen Euro ein. Ebenso große Investitionen sicherten sich die Sprachlernplattform Babbel, der mobile Bezahldienst SumUp und der Eventanbieter GetYourGuide.
3. Unter der Tarnkappe
Das Start-up nennt sich schlicht NumberFour und verspricht auf seiner Homepage, 200 Millionen kleinen Geschäften, an denen die Computerisierung der vergangenen 30 Jahren spurlos vorbei gezogen ist, zu helfen effizienter zu arbeiten. Dass es sich um eine Business-Plattform handeln soll, ist also gesetzt. Auch, dass sie aus einer Sammlung vielseitiger Apps bestehen wird. Und: dass Marco Börries die Plattform konzipiert hat. DER Marco Börries. Er entwickelte in den 80er-Jahren die Software Star Office und Star Money. Er erfand – sechs Jahre vor dem iPhone – ein mobiles Portal für Yahoo. Börris’ Ideen waren immer ihrer Zeit voraus. Seit 2009 arbeitet er an seinem neuen Projekt und fliegt dabei wie ein Tarnkappenflugzeug unter dem Radar der Öffentlichkeit. Als sein Unternehmen im Juni eine Investition von 38 Millionen Dollar (29 Millionen Euro) von Index Ventures und anderen Geldgebern erhielt, tauchte er kurz auf, um sofort wieder zu verschwinden und weiter in Berlin und Palo Alto an seinem Projekt zu arbeiten.
4. Hardware rockt
Wenn ein Trend die Start-up-Szene in Berlin 2013 dominierte, dann waren es die Hardware-Start-ups – mit nutzwertigen Geräten, die Probleme des täglichen Lebens lösen. Immer mehr Gründer sehen hier ihre Zukunft und finden auf Crowdinvestment-Plattformen auch Kapital. Dort gibt es sogar hohe sechsstellige Investitionsrunden wie im Fall der Panoramakamera Panono oder dem Kaffeeröster Bonaverde. Um den Start-ups schnell auf die Beine zu helfen, haben Gründer ein spezielles Programm gegründet, den Berlin Hardware-Accelerator.
5. Tankstellen für Start-up-Spirit
Coca-Cola, Allianz, Rewe, Deutsche Telekom, Microsoft, Axel Springer – Konzerne holen sich mit so genannten Acceleratoren den Start-up-Spirit ins Haus. Dabei handelt es sich um mehrmonatige Programme, in denen Gründer ein Büro, Rat von Mentoren, Startkapital und Zugang zu Unternehmensnetzwerken erhalten. Als Gegenleistung müssen sie häufig Unternehmensanteile abgeben. Die Programme enden mit Demo-Tagen, in denen die Gründer Kapitalgebern ihre Ideen präsentieren und um Investitionen werben. Die Zahl dieser Acceleratoren ist in Berlin rasant gestiegen. Fast 20 werden in einer Liste der Senatswirtschaftsverwaltung aufgezählt. Und das sind längst nicht alle.
6. Große Innovationen fehlen
„2013 war ein verlorenes Jahr für Technologie“, schreibt der Blogger Christopher Mims im Online-Wirtschaftsmagazin Quartz: Nur wenige innovative Produkte erschienen auf dem Markt. Apple? Fehlanzeige. Microsoft? Fehlanzeige. Allein so genannte Wearable Devices, am Körper tragbare Geräte wie die Internetbrille Google Glass oder Smart Watches sind die Ausnahmen. Was für den globalen Markt gilt, trifft für Berlin allemal zu. Und so fällt die Antwort auf die Frage, welche Innovation aus Berlin das Leben von Millionen Menschen nachhaltig verändern wird, schwer. NumberFour (siehe oben) könnte das werden. Und auch die neue Innovationsschmiede „Mine“ von Rolf Herken arbeitet an Plattformen für Milliardenmärkte. Wunderlist-Gründer Christian Reber träumt immerhin schon von 100 Millionen Nutzern. Soll er.
7. E-Commerce geht immer
Ohne den Onlinehandel (E-Commerce) gäbe es die Berliner Start-up-Szene nicht. Das Imperium der Samwer-Brüder bereitete den Nährboden für Hunderte Start-ups: Sie schufen weltweit 23.500 Arbeitsplätze, machten Gründer zu Investoren, brachten Fachkräfte auf den lokalen Markt. Vor allem aber investierte ihr Inkubator Rocket Internet gemeinsam mit seinem Hausfinanzier Kinnevik und anderen Partnern in neue Unternehmen: oft dreistellige Millionenbeträge: zuletzt 250 Millionen in den Amazon-Klon Lazada, 112 Millionen Dollar in die Zalando-Kopie Zalora. Der Modehändler Zalando, mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz Flaggschiff des Imperiums, firmierte sich zuletzt als Aktiengesellschaft um – Voraussetzung für einen Börsengang?
8. Oft übersehen – die stillen Stars
Sie arbeiten im Verborgenen und ihr Geschäft ist oft so kompliziert, dass sie es einem Laien kaum erklären können – Hidden Champions, die stillen Stars. Doch sie sind ein fester Bestandteil der Berliner Start-up-Szene, betreiben Online-Marketing und Software Intelligence. Der Werbevermarkter Sociomantic zum Beispiel, der im Dezember eine Filiale in Stockholm eröffnet hat. Spotify und Zalando gehören zu den Kunden der Firma mit 150 Mitarbeitern. „Das Unternehmen arbeitet seit seiner Gründung im Jahr 2009 profitabel“, heißt es auf der Website. In Gabriel Matuschkas „Berlin Tech Meet-up“ präsentieren sich übrigens regelmäßig solche Hidden Champions – oder zumindest Start-ups mit dem Potenzial dazu.
9. Events gibt es im Überfluss
Netzwerken gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen vieler Gründer. Das erklärt den Boom an Start-up-Events in Berlin – kleinste wie die zahllosen Meet-ups, mittelgroße wie das TechOpenAir oder die Start-up-Safari und größere wie hy!, Next oder zuletzt TechCrunch-Disrupt. Gerade letztere, veranstaltet vom führenden US-Branchendienst TechCrunch, war von symbolischer Bedeutung für Berlin, zeigte sie doch das gestiegene internationale Interesse am Innovationsstandort Berlin. Insgesamt 400 Events hat eine amtliche Statistik gezählt. Events geben Gründern eine Bühne – zur Präsentation ihrer Projekte und ihrer selbst. Nach manchen dieser Events fragt man sich allerdings, ob sie das Eintrittsgeld wert waren.
10. Berlin braucht Start-up-Management
Die Unternehmensberatung McKinsey brachte es im Oktober auf den Punkt: Berlin braucht ein zentrales Start-up-Management nach Londoner Vorbild, um international mithalten zu können. Die Londoner „Delivery Unit“ hat dazu beigetragen, die Zahl der Start-ups in der britischen Hauptstadt auf 1300 fast zu verdoppeln. Doch kann das gutgehen mit einer öffentlichen Verwaltung, der es nicht einmal gelingt, einen Flughafen zu bauen? Die mit der Innovationsagentur der Technologiestiftung (TSB) fusionierte Wirtschaftsförderung Berlin Partner könnte das leisten und die für ein wachsendes Start-up-Zentrum erforderliche Infrastruktur schaffen.