Innovation

Berliner 3D-Pionier Rolf Herken gründet Start-up-Inkubator

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Jürgen Stüber

Foto: Jürgen Stüber

Der Computerwissenschaftler Rolf Herken hat die 3D-Animation für Hollywood-Filme erfunden. Jetzt startet er in Berlin sein nächstes großes Projekt – einen neuartigen Inkubator für Innovationen.

Der Serienerfinder Rolf Herken will den weltbesten Wissenschaftlern und Entwicklern ein neues Umfeld für Innovationen bieten – vor allem jenen, die den Sprung in die Selbstständigkeit scheuen. Dazu hat Herken eine in dieser Art einzigartige Firmengruppe gebildet: „Mine Innovation Engineering entwickelt zunächst die Kernideen und –technologien für Start-ups, die dann von Reality Ventures finanziert werden“, erläutert der Unternehmer.

Herken kennt das Dilemma vieler Gründer aus eigener Erfahrung. 1986 gründete er in Berlin „Mental Images“, eine Software für das Erzeugen, Bearbeitung und Visualisierung von 3D-Inhalten. 1999 erfand er in San Francisco „Incremental Images“ – die erste Plattform für interaktive 3D-Inhalte in der Cloud. 2007 verkaufte er die zuvor fusionieren Unternehmen an den Grafikspezialisten Nvidia.

Herken war zum unsichtbaren Star von Hollywood geworden. Ohne seine Software wäre Harry Potter nicht auf dem Besen geritten und Spiderman keine Wand emporgeklettert. „Damals konnte man das Wort Cloud noch nicht buchstabieren. Wir waren der Zeit mindestens zehn Jahre voraus. Unsere Idee war damals bei Wagniskapitalgebern schwer zu vermitteln.“

Die fünf Stufen des IP-Mining

Diese Erfahrung will er Gründern ersparen und dazu hat er den Prozess des fünfstufigen „IP Mining“ erfunden: Innovation, Ingeneering, Incubating, Investing und Implementing – das sind die einzelnen Schritte. Am Anfang steht die innovative Idee. Aus ihr geht nach 18 bis 24 Monaten ein Start-up hervor. Die Mitarbeiter in dem Entwicklungsteam erhalten dann einen erheblichen Anteil an dem Start-up und werden damit Teilhaber ihrer Erfindung. Nach einer ersten Wachstumsphase werden die Start-ups verkauft oder auch für längere Zeit gehalten.

Herken interessiert sich nur für die besten Ideen. Er nennt das Mobiltelefon als Beispiel, das im Ergebnis als erstaunliches Industrieprodukt wirke. „Aber es basiert darauf, dass Ende des 19. Jahrhunderts die Übertragung von Signalen mit elektromagnetischen Wellen erfunden wurde. Dass das irgendwann in mobiler Telefonie mündete, war eigentlich klar. Denn es entspricht einem Grundbedürfnis des Menschen, miteinander zu sprechen, auch über große Distanzen.“

Dinge dieser Dimension will Herken erfinden: „Wir haben zwei Kriterien: Entweder handelt es sich um einen technologischen Durchbruch fundamentaler Natur oder ein Thema mit dem Potenzial eine Milliarde Menschen zu beeinflussen. Alles andere interessiert uns weniger.“

Apple-Chefentwickler mit an Bord

Zur Ideenfindung hat Herken – selbst Serienerfinder – ein hochkarätiges Team um sich versammelt: einen Weggefährten aus Mental-Images-Zeiten, Peter Mehrstäubler, als Geschäftsführer und den Computerwissenschaftler Larry Tesler als „Chief-Experience-Officer“. Tesler war lange Jahre Apple-Entwicklungschef, später in Führungspositionen bei Amazon und Yahoo. Ohne seine Erfindungen gäbe es vermutlich kein iPhone.

Das Kernteam betreut mehrere Projektteams bestehend aus herausragenden Talenten, die die Innovationen der Zukunft suchen. „Nicht ohne Grund heißt unsere Firma Mine. Wir betreiben intellektuellen Bergbau und werden nur da graben, wo wir eine gewisse Sicherheit haben, dass wir etwas finden.“

Dazu bietet Mine die erforderliche Infrastruktur und Reality Ventures das Geld. Viele Talente arbeiten in bestehenden Firmen. Sie können ihre Ideen dort aber nicht realisieren und wollen sich auch nicht selbstständig machen. „Firmen wissen, dass diese Leute unzufrieden sind, können ihnen aber die Möglichkeit nicht bieten.“ Mine biete solchen Leuten dasselbe Gehalt und eine hervorragende Entwicklungsumgebung. „Venture-Capital-Firmen (VC) um Geld zu bitten, um eigene Ideen umzusetzen, ist harte Arbeit. Durch endlose Diskussionen wird da viel intellektuelle Kapazität vernichtet.“

90 Prozent des Kapitals für Entwickler

Herken bietet eine Alternative zum Start-up, das durch Risikokapital finanziert wird. „VCs müssen ihr Geschäftsmodell verwirklichen, aber dadurch nehmen sie den Firmen Anteile weg. 30 Prozent kommen nie bei den Leuten an, die etwas entwickeln.“ Ein weiterer Großteil des Geldes eines Start-ups fließt in den strukturellen Überbau, der am Anfang gar nicht gebraucht wird. „Dann sind weitere 20 bis 35 Prozent weg. Es kommen also nur 35 bis 50 Prozent der eingesetzten Mittel bei den eigentlichen Erfindern und Entwicklern an. Mit gezielter Entwicklung von Innovation lässt sich das Geld effektiver einsetzen.“ Man könne wissenschaftlich an Innovation herangehen. Es sei ein Mythos, dass das nicht gehe. „Bei uns werden 90 Prozent in die Entwicklung gesteckt, nicht 35 Prozent.“

Mine hat die ersten drei Projekte angeschoben, über die Herken aber noch keine Details verraten will. „Ein Projekt zielt auf technologischen Durchbruch, eines ist in der Milliarde-Leute-Kategorie und eines hat damit zu tun, dass man eine geeignete Entwicklungs-Umgebung erst mal haben muss, um weltweite Entwicklung zu machen.“

„Ein Thema sind für uns große Transaktionsplattformen, Sicherheit und Privatheit. 3D und die nächste Generation der Telekommunikation muss auch irgendwann einmal entwickelt werden“, sagt Herken.

Standorte in Berlin und San Francisco

Berlin ist neben den Entwicklerlabors in San Francisco wichtigster Standort der neuen Firmengruppe. „Unser Modell funktioniert nicht in den USA, weil dort die Unternehmenssteuer bei 35 Prozent liegt. Das deutsche Körperschaftssteuergesetzes ermöglicht, dass reinvestierte Erlöse aus Beteiligungen weitgehend steuerfrei sind.“

Darüber hinaus ist der Standort Berlin für Herken eher problematisch, ungeachtet der Tatsache, dass einige wenige bedeutende Start-ups wie Soundcloud und ResearchGate hier entstanden sind. Demgegenüber habe das Silicon Valley Vorteile. „Dort findet man leichter Leute, die die erforderliche Kompetenz und Erfahrung mitbringen.“ Das in Anbetracht der Berliner Eigenwerbung Absurde sei, dass es in Berlin nur wenige Leute gibt, die so etwas stemmen könnten. „Die müssen wir dann am Ende doch aus Kalifornien importieren.“

Ein Vorteil des Standortes Berlin seien die niedrigen Kosten und das weite Einzugsgebiet für Talente aus Europa, räumt er ein. Doch der Talente-Import neutralisiere den Kostenvorteil. „Denn wir bekommen solche Leute nicht für Gehälter, die in Deutschland üblich sind.“

Mangel an Kapital in Berlin

Als weiteres Berlin-Problem bezeichnet er den Mangel an Kapital. Silicon Valley verfügt über 20 Milliarden Dollar Risikokapital pro Jahr. Berlin habe nur einen winzigen Bruchteil davon. „Die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland eine große Plattform entsteht, ist deshalb sehr gering.“ Google habe hunderte Millionen Dollar investiert, bevor es den ersten Dollar eingenommen habe. „Versuchen sie das mal hier. VC in dieser Größenordnung gibt es hier nicht“, sagt Herken. „Wenn man so große Ziele verfolgt, hat man ein Problem mit Venture-Kapitalisten. Denn die wollen ja übermorgen ihr Ergebnis haben. Und in Berlin wollen sie es am selben Tag.“ Das seien genau die Firmen, die Mine nicht entwickeln wolle.

Reality Ventures hat mit Dassault Systèmes, dem Weltmarktführer für 3D-Design aus Frankreich, einen Gründungspartner und ersten strategischen Investor gefunden. Mit weiteren wird derzeit gesprochen. „Wir beteiligen Technologiefirmen als strategische Investoren sowie Finanzinvestoren bei uns. Finanzinvestoren profitieren, weil die Technologiefirmen an der Auswahl der Projekte beteiligt sind, und die strategischen Investoren profitieren, weil sie ein Vorkaufsrecht auf die Start-ups haben und die Finanzinvestoren einen großen Teil des Risikos tragen.“

Gesucht werden auch Experten – „außergewöhnlich talentierte Leute, die viele Jahre Berufserfahrung haben, damit man schnell zu einem Ergebnis kommt“, sagt Herken. „Unser Ziel ist es, bis zu 20 Firmen in fünf Jahren zu gründen und deren Wachstum zu finanzieren.“