Facebook für Forscher

Wird aus ResearchGate jetzt ResearchGates?

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Jürgen Stüber

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Nach dem 35-Millionen-Dollar-Investment des Microsoft-Gründers Bill Gates spricht der Mitgründer des Berliner Start-ups, Ijad Madisch, über die Zukunft seiner Forscherplattform.

Knapp anderthalb Stunden Zeit hatte sich der frühere Microsoft-Chef genommen, als er den Gründer des Berliner Forschernetzwerks ResearchGate vor zwei Monaten in Frankreich empfing. Das ist lang für einen Prominenten wie Bill Gates. „Er ist viel smarter, als man ihn aus den Medien kennt. Er ist sehr intelligent und brauchte nur Sekunden, um meine mitgebrachten Charts zu verstehen“, sagte Ijad Madisch am Mittwoch in Berlin.

Den Kontakt zum Microsoft-Gründer hatte Matt Cohler, Partner beim ResearchGate-Investor Benchmark Capital und Mitglied des ResearchGate-Boards, über Boris Nicolic, den wissenschaftlichen Berater von Bill Gates hergestellt.

Dann ging alles ganz schnell: Am Dienstag konnte das Berliner Start-up den Abschluss der dritten Finanzierungsrunde bekanntgeben. Gates und Wangnisfinanzierer aus dem Silicon Valley investieren 35 Millionen Dollar (knapp 27 Millionen Euro) in das Online-Netzwerk für derzeit 2,9 Millionen Wissenschaftler. Dazu gehören Tenaya Capital, die Dragoneer Investment Group, Thrive Capital sowie Benchmark und Founders Fund, welche die ersten beiden Finanzierungsrunden angeführt hatten.

Nach Gates-Einstieg stehen Investoren Schlange

Seit Bekanntgabe der Investitionsrunde laufen bei Ijad Madisch die Telefone heiß. Zahlreiche Investoren wollen bei ResearchGate einsteigen. Zu spät. Der Gründer weist sie ab, denn die Runde ist abgeschlossen. „Bei Kapitalgebern gibt es einen Herdentrieb“, sagt Madisch und erinnert sich an früher, als die gleichen Leute das junge Forschernetzwerk belächelten.

Der Gründer, der in Hannover und Harvard studierte, beschreibt die Funktionsweise der Plattform am aktuellen Beispiel eines italienischen Wissenschaftlers, der die tödlich verlaufende Herzkrankheit EFE erforschen wollte, aber nicht nach Afrika reisen konnte, wo sie verbreitet ist.

Über ResearchGate fand er einen nigerianischen Arzt, der ihm nach dem Tod eines Kleinkindes Proben für seine Forschung senden konnte. Dadurch wurde ein neuer Typ des Erregers entdeckt. Die Forschungsergebnisse stehen allen Wissenschaftlern zur Verfügung – sofort und kostenfrei. Im herkömmlichen Wissenschaftsbetrieb wären Monate bis zur Veröffentlichung verstrichen.

ResearchGate beschleunigt die Forschung

„Bei ResearchGate gibt es viele solcher Erfolgsgeschichten, weil Leute zusammenarbeiten“, sagt Madisch. Er will die Einstellung der Forscher verändern und die Strukturen des herkömmlichen Wissenschaftsbetriebs demokratisieren, in dem nur Erfolge veröffentlicht werden. „Wir wollen alle Datensätze sozialisieren“, sagt er. „Man darf hier nicht zwischen Erfolg und Misserfolg unterscheiden“, sagt er. Denn aus dem Misserfolg eines Forschers lernen alle anderen.

Ein internes Reputationssystem beschreibt die Aktivität eines Forschers auf der Plattform. Diese RG-Scores entstehen auf der Grundlage von Veröffentlichungen und der Bereitstellung von Daten durch einen Wissenschaftler.

Madisch will mit dem frischen Kapital zwei Ziele realisieren: Zum einen die Plattform verbessern und zum anderen eine Monetarisierungsstrategie anschieben. „Wir wollen die Plattform öffnen, so dass andere mit unseren Daten neue Programme entwickeln können“, sagt der Gründer, der ResearchGate zum grundlegenden Kommunikationswerkzeug aller Wissenschaftler weltweit machen will.

Die Server-Farm des Unternehmens soll dem exponentiellen Wachstum der bei ResearchGate gespeicherten Publikationen angepasst und das vor drei Monaten gestartete automatische Tagging von Datensätzen perfektioniert werden.

Stellenbörse und Marktplatz, aber keine Werbung

Neben der bereits existierenden Stellenbörse mit 15.000 Angeboten will ResearchGate einen transparenten Marktplatz für die wissenschaftliche Forschung aufbauen. „Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Wissenschaftler bessere Entscheidungen treffen können“, sagt Madisch. Denkbar sei, dass Wissenschaftler über ResearchGate Zellkulturen kaufen können. Werbung solle es allerdings nicht geben, auch wenn damit viel Geld verdient werden könnte.

Auf die Idee zu ResearchGate kam Madisch im Jahr 2007, als er vor seiner Dissertation zum Arzt bei einem Problem nicht weiter kam. 2008 begann er, sein soziales Netzwerk für Forscher aufzubauen.

Das war nicht einfach. Sein Professor in Hannover tat die Idee als „Firlefanz“ ab. Madisch kündigte einen Tag später, ging nach Harvard zurück und fand dort Unterstützer für seine Idee. Im Sommer 2010 traf er dann Matt Cohler, früher Vizepräsident bei Facebook und Mitgründer des Business-Netzwerks LinkedIn als Investor, Berater und Board-Mitglied.

Cohler trug dazu bei, dass es das Unternehmen in seiner heutigen Form gibt. Er schärfte Madisch und seinen Mitgründern ein, Businesspläne erst einmal zu vergessen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Sich zu fokussieren, ist das wichtigste für ein Start-up“, sagt er.

Ijad Madisch entschied sich bewusst gegen das Silicon Valley

Und dieser Fokus bestand für Madisch „im Aufbau des nachhaltigsten weltweiten Forschernetzwerks “ und in der Schaffung von Werten. Um die Monetarisierung könne man sich dann später kümmern, sagt er.

Madisch siedelte das junge Start-up in Berlin an und entschied sich bewusst gegen das Silicon Valley. „Die Samwer-Brüder hatten mit ihren Erfolgen hier ein Ecosystem für weltverändernde Start-ups geschaffen“, erinnert er sich. Hinzu kam, dass die Stadt billig, die Talente zahlreich, die Konkurrenz niedrig und die Lage im Zentrum Europas ideal gewesen sei.

Wie attraktiv das Geschäftsmodell wissenschaftlicher Netzwerke ist, zeigt die jüngste Übernahme des Researchgate-Rivalen Mendeley durch den niederländisch-britischen Wissenschaftsverlag Reed Elsevier. Dessen Investment-Tochter Elsevier soll laut dem Branchendienst Crunchbase zwischen 67 bis 100 Millionen US-Dollar gezahlt haben. Elseviers Venture-Ableger hatte kürzlich mit anderen Geldgebern auch zehn Millionen US-Dollar in den Berliner Sprachlerndienst Babbel investiert.

Researchgate ist einer der drei Start-up-Leuchttürme

ResearchGate gehört inzwischen neben dem Audiostreamingdienst Soundcloud und dem Spieleentwickler Wooga zu den drei wichtigsten Berliner Start-ups. „Bill Gates hätte nicht investiert, wenn wir kein funktionierende Produkt präsentiert hätten“, sagt er. Von ihm und seinen Beratern erhofft sich der Gründer Hilfe auf dem Weg zum Weltmarktführer.

Übrigens: Professor „Firlefanz“ aus Hannover hat seine Meinung über ResearchGate geändert und nutzt das Netzwerk seit acht Monaten.