Ist der Gründerboom in Berlin ein Hype? Bestimmt, denn jede sprunghafte Veränderung wird von einem Hype begleitet. Und ist das schlecht? Das wäre es, wenn in der deutschen Hauptstadt ausschließlich nur Luftschlösser gebaut würden. Aber das Gegenteil ist der Fall, auch wenn Start-up-Papst Mike Butcher von TechCrunch Europe das anders sieht.
Zu den Fakten: Berlin ist Sitz des größten Online-Fashion-Händlers Europas, Zalando: eine Milliarde Euro Umsatz, zum Ende des Jahres mehr als 3000 Beschäftigte. In Berlin arbeitet Wooga, nach dem US-Konkurrenten Zynga weltweit die Nummer zwei im Markt für Social Games. In Berlin sitzt der Audiostreamingdienst Soundcloud, der gerade in den USA zu einer der meistgenutzten Plattformen für die Speicherung von Musik und Tönen wird. Hier arbeitet Researchgate, ein Wissenschaftsnetzwerk, das Wissenschaftler und Forscher weltweit miteinander verbindet
Lieferheld, Hitfox, Babbel, Motain – nur eine kurze Liste der mehreren hundert jungen Unternehmen aus Berlin, die weltumspannend Geschäfte machen, vor Ort Arbeitsplätze schaffen, die Stimmung in Berlin derart verändert haben, dass sich das Berliner Wirtschaftswachstum von dem deutschen abgekoppelt hat und nur noch einen Weg kennt: nach oben.
In keiner anderen deutschen Region werden im Start-up-Sog so viele Unternehmen gegründet wie ihn Berlin. Hierher fließt soviel Wagniskapital wie in keine andere deutsche Gründer-Start. Keine andere deutsche Stadt verzeichnet solche Zuwächse an Touristen – und Einwohnern. Das alles hat nicht nur aber vor allem auch mit dem Start-up-Boom zu tun.
Damit spielt Berlin längst noch nicht in der selben Liga wie das seit mehr als 60 Jahren prosperiende Hightech-Mekka Silicon Valley, aber es ist neben London zum besten Platz für die Gründung eines Start-ups in Europa geworden. Und das innerhalb kürzester Zeit, die ältesten Unternehmen in der Aufzählung sind gerade mal fünf Jahre alt.
Doch wie immer, wenn es um Berlin geht, reicht es nicht. Seit Butcher auf TechCrunch Europe am Sonntag bemängelte, dass in den letzten sechs Monaten kein größeres Berliner Start-up verkauft oder an die Börse gebracht wurde, herrscht Häme in den Netzwerken. „Das Valley lacht über den Berliner Start-up-Hype“, titelt Meedia.
Dabei sind schon Butchers Argumente zu hinterfragen. Er bemisst den Erfolg des Standortes allein an Multimillionen-Dollar-Exits und schürt damit eine öffentliche Erwartungshaltung, die die in der Regel ein bis zweijährigen Unternehmen nicht erfüllen können. Dass die Gründer von Wooga und Soundcloud erklärtermaßen nicht verkaufen wollen, sondern das Geschäft aus eigener Kraft ausweiten, wertet er als Makel. Erfolgreiche Online-Händler wie Zalando nimmt er aus seiner Betrachtung aus, weil E-Commerce-Unternehmen keine Technologie-Unternehmen seien. Die jüngsten Übernahmen – Peritor durch Amazon, Aupeo durch Panasonic, Tunedin durch Axel Springer („Bild“, Berliner Morgenpost) – wertet er nicht, weil die Kaufsummen nicht veröffentlicht wurden.
So kann man Erfolge kleinreden – wenn man in London sitzt.