Berlin. Die Beschilderung ist klar, auch die Straßenverkehrsordnung dürften Führerscheininhaber kennen. Aber trotzdem missachten Berliner Autofahrer massenhaft die Fahrradstraßen-Regeln, besonders auf einer Strecke in Pankow, die immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Bei einer offiziellen Zählung waren nun bis zu 71,6 Prozent der Pkw rechtswidrig in die Stargarder Straße eingebogen. Hier sind seit der Umwidmung zur Fahrradstraße vor einem Jahr eigentlich nur Autos von Anliegern erlaubt. Doch laut der Zählung ignorieren Auswärtige in hoher Zahl das Durchfahrverbot. Bis zu 1512 Autos ohne „Anliegen“ innerhalb von acht Stunden zählten Kontrolleure im besonders stark belasteten Abschnitt zwischen Schönhauser Allee und Pappelallee – so geht es aus einer Anfrage der Grünen-Verordneten Patrizia Flores hervor.
Sie hatte sich beim Bezirk zur Durchsetzung von Verkehrsregeln erkundigt, speziell auf den Fahrradstraßen Stargarder Straße und Ossietzkystraße, wo etwa das Netzwerk Fahrradfreundliches Pankow immer wieder Regelverstöße und Unfälle beklagt. Auch auf der Ossietkystraße gibt die Verkehrszählung des Bezirks Missstände wieder, wenn auch nicht ganz so stark wie auf der Route in Prenzlauer Berg.
Bis 32 Prozent der Autofahrer waren hier bei der Erfassung ortsfremd und hätte nicht einfahren dürfen, so zeigt die Bilanz auf Flores Anfrage. Zugleich zeigt das Beispiel Ossietzkystraße auch, wie stark der Radverkehr in Berliner Kiezen mit Fahrradstraßen inzwischen dominiert. Innerhalb von zwölf Stunden erfasste der Bezirk 6364 Radfahrer gegenüber nur 1291 Autos.
Fahrrad-Netzwerk Pankow verlangt erneut Poller gegen Autos in Fahrradstraßen
Es sind Statistiken, in denen sich aus Sicht des Netzwerks Fahrradfreundliches Pankow zeigt: Radfahrer wollen neu gewonnenen Verkehrsraum nutzen – und brauchen auf den Straßen des Bezirks mehr Schutz, weil Autofahrer die Durchfahrverbote offensichtlich ignorieren. „Andere Bezirke wie zum Beispiel Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg berücksichtigen gleich bei der Planung den Berliner Fahrradstraßenleitfaden, in dem sie gegenläufige Einbahnstraßen oder Diagonal- oder Durchfahrtsperren für Autos errichten“, sagt Netzwerk-Sprecher Tobias Kraudzun zur Tatsache, dass sich Pankow nicht bereit erklärt, Fahrradstraßen mit Pollern zu versperren.
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„Obwohl der Auto-Durchgangsverkehr in den Pankower Fahrradstraßen tagtäglich weiterhin viele Behinderungen und Gefährdungen Radfahrender verursachet, befindet sich das Bezirksamt im allseits bekannten Modus des Prüfens“, kritisiert Kraudzun das zögerliche Vorgehen. Bislang vertraute Verkehrsstadträtin Manuela Anders Granitzki (CDU), die alle aktuellen Fahrradstraßen-Planungen von ihrem Grünen-Vorgänger übernommen hatte, auf kommunikative Maßnahmen: Flyer für Anwohner, persönliche Ansprache von Autofahrern bei Polizeikontrollen – so wollte Pankow die neuen Regeln in Stargarder- und Ossietzkystraße einüben. Wie die neue Bilanz zeigt, mit geringem Erfolg.
Pankower Verkehrsstadträtin erklärt: Deshalb ist das Ja der Polizei wichtig
Warum der Bezirk anders als in Mitte vor Poller-Sperren zurückschreckt? Immer wieder nannte Anders-Granitzki eine fehlende Einigung mit der Berliner Polizei als Hemmnis für die bauliche Sperrung von Schleichwegen. Die Deutung, dass die Polizei ein Veto gegen Verkehrsberuhigung einlegen und Maßnahmen des Bezirks so blockieren kann, hat die Stadträtin nun im Pankower Verkehrsausschuss aber inzwischen selbst relativiert.
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„Ein ablehnendes Votum der Polizei ist zwar nicht bindend. Unser Sachbearbeiter könnte sich auch darüber hinwegsetzen, müsste dann aber selbst für die Entscheidung haften. Das wollen wir jedem Mitarbeiter ersparen“, erklärt Anders-Granitzki das langsame Prüftempo für Poller. „Und wenn ein Bürger gegen die Sperren klagt, wäre ein Negativurteil der Polizei vor Gericht nicht förderlich. Wir sollten lieber jetzt Zeit investieren und Konsens herstellen, als später rechtliche Probleme zu heilen.“