Rettung in der Not

So befreit Pankow Hunde aus qualvoller Haltung

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Katastrophale Haltungsbedingungen: Solche Hunde lässt das Bezirksamt Pankow sicherstellen – nur wo sollen sie hin, wenn Sammelstellen überfüllt sind?

Katastrophale Haltungsbedingungen: Solche Hunde lässt das Bezirksamt Pankow sicherstellen – nur wo sollen sie hin, wenn Sammelstellen überfüllt sind?

Foto: Bezirksamt Pankow / Berliner Morgenpost

Haustier-Chaos nach Corona belastet das Bezirksamt Pankow bis ans Limit. Ein gerettetes Tier brachten Helfer bis nach München.

Berlin.  Manchmal geht es um Beißattacken, manchmal um Unterernährung oder Krankheit. Wenn Pankows Veterinäramt zur Adventszeit ausrückt, werden die Mitarbeiter Zeugen von Extrembeispielen schlechter Tierhaltung. Anlass für den Einsatz bietet oft ein Hinweis aus der Nachbarschaft. Ein Tipp, dass jemand mit der Haltung von Hunden, Katzen und Vögeln völlig überfordert ist. „Es geht um die Abwehr von Gefahren“, erklärt Pankows Veterinärdirektor Dr. Zengerling die Notwendigkeit, schlimmstenfalls die Haustiere wegzunehmen und in der Berliner Tiersammelstelle zu verwahren.

Wie berichtet, ist das Aufkommen solcher Rettungseinsätze zum Schutz der Tiere derart angewachsen, dass Bezirke wie Pankow nicht mehr wissen, wohin mit verwahrlosten, verhaltensauffälligen, teils bissigen Hunden.

Speziell bei dieser Tierart hat die Umkehrung des Booms aus den Corona-Lockdowns ein Ausmaß erreicht, das Berliner Veterinärämter völlig überfordert. „Das Problem sind eigentlich die Menschen am oberen Ende der Leine“, beschreibt Zengerling ein Phänomen der Selbstüberschätzung. Weil Haustierhaltung in Deutschland nicht reglementiert und unbeschränkt möglich sei, hätten Berliner sich in Lockdown-Zeiten zu viele tierische Freunde angeschafft. Nun verlagern sich die Folgen von schlechter Erziehung und Verwahrlosung aus Zengerlings Sicht aus den Haushalten hin zu den Institutionen, die Tiere sicherstellen müssen.

Pankow zeigt drastische Bilder von verwahrlosten Tieren

Es geht dabei um nicht weniger als um die Rettung der Tiere vor den Menschen, die sie pflegen sollten. Und wenn keine freie Plätze zur Sicherstellung mehr existieren, droht das, was niemand will: Tiere bleiben in Händen derjenigen, die sie misshandeln. „Man nimmt sie ja gerade deshalb heraus, weil das Tierwohl nicht gesichert ist, und man will sie hinbringen, wo sich die Situation verbessern soll“, nennt Stadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU) das Ziel der Rettungseinsätze, das durch den Platzmangel gefährdet wird.

Als Beleg für den Handlungsdruck zeigt das Veterinäramt jetzt eindringliche Bilder: ausgemergelte und verkotete Hunde, ein Vogelschwarm, gefangen im winzigen Bauer. Eine gerettete Schlange habe man nach München bringen müssen, erzählt Anders-Granitzki – erst dort fand man ein freies Terrarium.

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Allein in Pankow kommt es jede Woche zu mindestens einer Sicherstellungsaktion, weil Nachbarn Alarm schlagen. Genaue Zahlen zu weggenommenen Tieren in diesem Jahr nennt der Bezirk zwar nicht. Doch die Lage sei so, dass manche Mitarbeiter überlegen, beschlagnahmten Hunde mit nach Hause zu nehmen – weil auch die Brandenburger Sammelstelle keine Notfälle mehr annimmt.

Tierrettung am Limit – Pankow plädiert für Neuregelung der Sammelstelle

Aus Zengerlings Sicht ein Zeichen für ein dysfunktionales System. Allein das Berliner Tierheim werde vom Land mit 2,8 Millionen Euro im Jahr finanziert, könne aber die Aufgabe der Sicherstellung kaum noch erfüllen. So falle die Verantwortung auf Amtstierärzte zurück – „sie haben eine Garantenstellung gegenüber dem Tier, aber kaum eine Chance auf eine sichere Unterbringung“. Wenn das Rettungssystem nicht umgehend reformiert würde, könnten Veterinäre zu dem Schluss kommen „Hunde in einer tierschutzwidrigen Haltung zu belassen“.

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Mit einem Brief an die Senatsumweltverwaltung drängt der Bezirk Pankow nun auf eine Lösung. Die könnte so aussehen, dass Berlin eine vom Tierheim unabhängige eigene Sammelstelle neu aufbaut, sie mit Geld und Personal ausstattet, um dem Ziel der Tierrettung gerecht zu werden. Sollte sich die Lage über Weihnachten weiter verschärfen, bleiben Pankows Veterinären zwei Möglichkeiten: Entweder man bringt Hunde bis nach Mecklenburg-Vorpommern. Oder man eröffnet einen eigenen Zwinger – in der Garage des Ordnungsamts.