Berlin. Es ist der erste Sommertag des Jahres. Die Sonne strahlt, kein Wölkchen trübt den Himmel, schon vormittags klettern die Grade auf fast 30 Grad. Eigentlich ideales Wetter für einen Spaziergang. Aber Benjamin Herrmann kann sich nur eingeschränkt freuen. Zum einen befürchtet er, der Fotograf könne etwaige Schweißflecken unter den Ärmeln festhalten. In dem Punkt können wir Entwarnung geben. Zum anderen weiß er: Bei schönem Wetter gehen abends alle in den Biergarten, aber keiner ins Kino. Ein Filmproduzent kann das nicht wollen. Ein Filmverleiher auch nicht. Benjamin Herrmann ist beides.
Und einer der Erfolgreichsten seiner Branche. Mit einem eher ungewöhnlichen Geschäftsmodell. Bevor wir aber zu den bewegten Bildern kommen, geht es erstmal mit Gemälden los. Wir treffen uns in der Villa Grisebach in der Fasanenstraße. Da ist gerade Vorbesichtigung für die Frühjahrsauktion. Und der 46-Jährige hat sich hier gerade umgesehen. „Ich habe noch nie was ersteigert“, sagt er, als müsse er sich entschuldigen, „und ich habe das auch nicht vor.“ Aber er nutze Grisebach wie ein exklusives Privatmuseum, „wo man Bilder in einer Zusammenstellung sehen kann, die es so nie wieder gibt.“ Die Bilder hängen nur drei Tage, dann sind sie weg für immer. „Die künstliche Verknappung, die wir in unserer Branche kennen, funktioniert auch hier.“
Ein Filmproduzent kann sich über gutes Wetter nicht freuen
Die Fotos machen wir gleich hier, im Garten hinter der Villa. Damit der Fotograf bei der Hitze nicht seine ganze Ausrüstung hinter uns herschleppen muss. Kurz gibt es da einen kleinen Rollentausch. Bei Filmen steht der Produzent ja eher im Hintergrund. Hier aber muss er nun selbst vor die Kamera und den Anweisungen des Fotografen folgen wie ein Filmschauspieler einem Regisseur. Benjamin Herrmann macht das tapfer mit. Danach wirkt er dennoch irgendwie entspannter. Ohne Fotograf machen wir uns los Richtung Kurfürstendamm.
Es ist sein Kiez, seit Herrmann fast pünktlich zur Jahrtausendwende im April 2000 in die Hauptstadt kam. Das war die Zeit, als Berlin sich endgültig als Metropole manifestiert und München als heimliche Filmhauptstadt abgelöst hat. Aber Moment mal? Alle Neuberliner damals zogen nach Mitte, das war einfach angesagt. Ist Charlottenburg da nicht irgendwie „old fashioned“? Herrmann wohnt in der Mommsenstraße, sein Büro ist in der Bleibtreustraße. Angefangen hat er aber bei Senator Film, die saßen am Ku’damm 65. „Da ist jetzt eine Zahnarztpraxis drin, was eine gewisse Ironie hat, wenn man an Hanno Huth“ – seinen einstigen bärbeißigen Chef – „denkt“. Danach ist Herrmann hier hängengeblieben.
Das ist der Moment, wo wir ein bisschen biografisch ausholen müssen. Herrmann, 1971 im hessischen Friedberg geboren, hat an der Münchner Filmhochschule Regie studiert, kam dann zu ProSieben, wo er 40 Kino- und TV-Filme produziert hat. Auch an dem Mega-Erfolg „Der Schuh des Manitu“ war er beteiligt, wenngleich sein Beitrag da, wie er betont, verschwindend gering war. „Das war diese wilde Zeit des Privatfernsehens, wo man als ahnungsloser Neuling viele Sachen hat machen können.“ Aber nach wenigen Jahren hat das Management, haben „die Zahlenmenschen“ immer stärker übernommen, das war nicht mehr seins. Und Herrmann war schon damals klar, er wollte nur Kino machen.
So kam er zu Senator. Und nach Berlin. Nach zehn Jahren war es Zeit für einen Tapetenwechsel, München wurde auch irgendwie zu teuer. Und Senator war damals eine der größten Produktionsfirmen, fast auf Augenhöhe mit der mächtigen Constantin. Hier hat Herrmann Erfolge wie Oliver Hirschbiegels „Das Experiment“ oder Sönke Wortmanns „Wunder von Bern“ produziert. Aber die Senator geriet, wie man weiß, dennoch in die Krise. Das ärgert ihn heute noch. Die operativen Töchter, die er führte, hatten keine Finanzprobleme. Aber die AG hat Neue-Markt-Deals gemacht und sich dabei übernommen. Sie musste in die Insolvenz gehen. Und als dann neue Herren kamen und den Laden neu aufstellen wollten, da war Herrmann wieder klar, dass das nicht seins war. „Das war der Moment, sich auf eigene Füße zu stellen.“
Es ist sicher reiner Zufall, dass wir nicht weiter Richtung Senator bzw. Zahnarzt laufen, sondern jetzt rechts in die Knesebeckstraße biegen. Oder ist es doch feine Dramaturgie, um zu betonen, dass man seinen eigenen Weg gemacht hat? Herrmann jedenfalls hat sich, da muss man jetzt mal mit seinem Vornamen spielen dürfen, als Benjamin unter die großen Produzenten gemischt, mit seiner Firma Majestic, die er 2006 gegründet hat. Gleich die erste Produktion des Unternehmens, Doris Dörries „Kirschenblüten – Hanami“, wurde mit 1,1 Millionen Zuschauern der erfolgreichste Arthouse-Film des Jahres 2008.
Weitere Erfolge waren etwa Philipp Stölzls Bergsteiger-Drama „Nordwand“ oder „John Rabe“, eine „Schindlers Liste“-Geschichte aus China, gedreht von seinem Studienfreund, dem Oscar-Preisträger Florian Gallenberger, Feo Aladags „Die Fremde“ oder Christian Züberts Sterbehilfedrama „Hin und weg“. Majestic ist der Große unter den Independents. Neben diesen Arthouse-Blüten produziert Herrmann auch Kinderfilme wie „Tom Sawyer“ oder Bestseller-Adaptionen wie „Feuchtgebiete“. Die jüngste Produktion mit dem blumigen Titel „Grüner wird’s nicht sagte der Gärtner und flog davon“ kommt Ende August ins Kino. Noch mal eine Paraderolle für Elmar Wepper, der mit „Hanami“ eine unvermutete Alterskarriere startete.
Im Gegensatz zu den großen Produktions- und Verleihfirmen verfolgt die Majestic ein anderes Geschäftsmodell. Weil sie nur drei, maximal vier Filme im Jahr ins Kino bringt. Jedes andere Unternehmen würde sagen, das Risiko ist viel zu groß. Aber vielleicht ist das gerade das Erfolgsgeheimnis. „Vielleicht“, Herrmann sagt jetzt, was ihn sehr sympathisch macht, bewusst nicht „ich“, „vielleicht holt mein Team gerade deshalb so viel aus den Filmen heraus, weil wir nicht so viele herstellen, und die umso intensiver betreuen.“
Ein Auto, das an uns vorbeiflitzt, hupt an dieser Stelle ein Ausrufezeichen aufs Band. Auch das könnte sich kein Dramaturg besser ausdenken. Wir sind am Savignyplatz, überqueren die Kantstraße und folgen der stillen Carmerstraße. Jetzt müssen wir mal eine ganz naive Frage stellen. Wie wird man eigentlich Filmproduzent? Als Kind träumt man ja davon, Schauspieler zu werden, nee, eigentlich Filmstar. Einige drehen auch schon kleine Filmchen und wollen mal Regisseur werden. Aber Produzent? Das sind die, die das Geld haben, die sich ständig einmischen und bei Preisverleihungen am Ende die Hauptpreise entgegennehmen. Aber so richtig kennt man die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht.
Mega-Verantwortung und lauter Nebenjobs
Auch Herrmann hat ja erst Regie studiert. Wieso dann der, Verzeihung, unattraktivere Job? Alles Glück, so die entwaffnende Antwort. Vielleicht, denken wir später, auch Fügung. Herrmann ist da jedenfalls „so reingerutscht“. Es ging ihm immer ums Filmemachen. Nach ersten Kurzfilmen suchte er nach einem Stoff, fand aber keinen. Der Ochsentour über TV-Vorabendserien wollte er sich aber auch nicht unterziehen. In einem Urlaubssemester hat er dann bei ProSieben eine Dramaturgie-Abteilung aufgebaut. Und die sagten: Komm doch nach dem Studium zu uns. Ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann. So kam dann eins zum anderen.
Wie er neben uns herspaziert, erfüllt er eigentlich so gar nicht das Klischee eines hektischen Produzenten. Auch sein Mobiltelefon brummt eigentlich kaum. Aber Herrmann gibt zu, dass das eine Zeit lang schon anders war. Er hat dann mal eine kurze Auszeit nehmen müssen. Und seit zwei Jahren hat er eine feste Beziehung mit einer Journalistin. Die Majestic ist also nicht alles. Seit einigen Jahren hat Herrmann auch zahlreiche Nebenjobs. Er ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Filmakademie, die auch den Deutschen Filmpreis verleiht, Vorstandsmitglied auch im Verband der Filmverleiher, Förderkommissionsmitglied der Filmförderungsanstalt. Und daneben unterrichtet er an mehreren Filmhochschulen.
Misserfolge muss man wegstecken können
Aber schon wieder wiegelt Herrmann ab. Das klinge alles viel aufwendiger, als es ist. Nur die Filmakademie, die mache durchgängig viel Arbeit. Aber das sei auch eine Bereicherung. Und: Ganz lange habe er sich aus all dem herausgehalten, habe aber davon profitiert, dass andere sich ehrenamtlich engagierten. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen.“ So wurde der Produzent aus dem Hintergrund zu einer vielfach prägenden Figur des deutschen Films.
Wir sind jetzt bei c/o Berlin an der Hardenbergstraße angekommen und beschließen spontan, uns trotz der Geräuschkulisse hier ins Café zu setzen. Ob ich die aktuelle Fotoausstellung über Irving Penn gesehen habe? Herrmann schwärmt davon, er denkt tatsächlich nicht nur an bewegte Bilder, er scheint vielfach interessiert. Und sich auch Zeit dafür zu nehmen. Bei Gemälden starten, bei Fotografien enden, das scheint eine sinnige Klammer.
Trotz all der Erfolge als Produzent: Hat Herrmann eigentlich nie bereut, nicht mehr selbst Regie zu führen? Herrmann grinst. Wir haben wohl ins Schwarze getroffen. Und ja, gibt er zu, fast hätte er es kürzlich getan. Bei besagtem „Grüner wird’s nicht“. Am Ende hat dann doch Florian Gallenberger übernommen, der Freund, den Herrmann am ersten Studientag kennengelernt hat - fast alle seiner Filme haben sie gemeinsam gemacht. Elmar Wepper spielt darin einen Gärtner, dessen Betrieb kurz vor dem Ruin steht und der mit einer Propellermaschine ausbüxt.
Die vielen Flugaufnahmen, die immerhin hat Herrmann gedreht. Second Unit Director, heißt das im Abspann. So ganz ist die Regie also noch nicht aus dem Blick geraten. „Vielleicht“, gibt Herrmann zu, und man spürt, wie es ihn reizt, „muss ich da noch mal ran.“ Aber ob das funktioniert, schränkt er gleich wieder ein, produzieren, verleihen und inszenieren?
Flops muss man abhaken können
Eine Frage bleibt noch. Wurmt es einen Produzenten eigentlich, wenn ein Film mal nicht so ankommt wie erhofft. Klar, schon. Aber das gehöre zum Geschäft dazu. „Die Chefin eines neu gegründeten Verleihs rief mich kürzlich nach ihrem ersten Nicht-Erfolg verzweifelt an, weil sie nicht mehr wusste, ob sie die Richtige für ihren Job ist. Ich sagte: Mach einen Haken darunter, es hilft nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.“ Auch der Misserfolg habe viele Väter. Ob ein Film ankommt, das hänge von ganz vielen Faktoren ab, die man nicht steuern kann. Womit wir auch wieder beim Wetter sind. Du kannst den tollsten Film gemacht, mit den besten Schauspielern gearbeitet und die besten Kritiken bekommen haben, aber dann startet der in einer Woche, in der unerwartet der Sommer ausbricht. Und dann guckt keiner den Film.
So ist das mit Produzenten. Man kann mit ihnen in der Sonne sitzen. Aber so ganz genießen können sie das schöne Wetter nicht.
Zur Person
Werdegang: Benjamin Herrmann wurde 1971 im hessischen Friedberg geboren. An der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film studierte er Regie, wo er 1997 für seinen Abschlussfilm „Der große Lacher“ mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Danach ging er zu ProSieben, wo er über 40 TV- und Kinofilme produzierte. Im Jahr 2000 wechselte er nach Berlin zu Senator, wo er Filme wie „Das Experiment“ oder „Das Wunder von Bern“ betreute.
Eigene Firma: 2006 gründete er sein eigenes Unternehmen Majestic, das Filme produziert und verleiht und zu den führenden Independents der Branche zählt. Außerdem doziert der 46-Jährige an verschiedenen Filmhochschulen und ist unter anderem als Vorstandsvorsitzender für die Deutsche Filmakademie tätig.
Auszeichnungen: Die von Majestic produzierten und verliehenen Filme erreichten insgesamt über neun Millionen Zuschauer und gewannen elf Deutsche Filmpreise, Herrmann selbst gewann 2009 die Lola in Gold für „John Rabe“ sowie zwei Bayerische Filmpreise 2009 und 2016.
Spaziergang: Es ging durch Herrmanns eigenen Kiez, von der Villa Grisebach über den Kurfürstendamm in die Knesebeck- und Carmerstraße, dann bis zu C/O Berlin an der Hardenbergstraße.
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