Berlin. In Berlins kinderreichstem Bezirk bleiben 27 Schulen in miesem Zustand. Manche Lernorte ziehen sogar Tiere an.

Waschbären im Dach, wackelnde Scheiben und Horror-Bäder: Wer die Klaviatur des Verfalls an Schulen in Berlin studieren will, sollte einen Blick auf Pankow werfen. Hier hat die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) persönlich die Rettung des Gymnasiums am Europasportpark verfügen lassen – nachdem Homeschooling wegen Verletzungsgefahr durch abstürzende Fenster drohte. Ein Notfall, für den Berlin außerplanmäßig 40 Millionen Euro springen lässt.

Aber dieser Notfall, er ist im Grunde nur einer von vielen. Im Bezirksamt Pankow kann Schulstadträtin Dominique Krössin (Linke) eine vierseitige Liste von Schulen präsentieren, für die sie sofort eine Sanierung anmelden müsste. Eine Liste, die Planer und Familien verzweifeln lässt. Denn 27 von 29 Projekten liegen wegen Geldmangels jahrelang auf Eis. Und das, obwohl manche Pankower Schulen so löchrig sind, dass sich inzwischen wilde Tiere eingenistet haben.

Im Max-Delbrück-Gymnasium zum Beispiel krochen laut Krössin Waschbären durch Löcher ins Dach. „Dort herrschen Bedingungen, dass Tiere sich wohlfühlen“, schildert sie das animalische Glück, das mit dem völlig maroden Zustand des Gebäudes zusammenhängt. Nun gehört das Trappeln von Pfoten über den Decken der Klassen zum Lernalltag Hunderter Kinder. „Man öffnet Türen, da denkt man, es ist eine Abstellkammer. Doch es sind Duschen für den Sport. Erstaunlich, dass die Schulgemeinschaft des Delbrück-Gymnasiums so lange ruhig blieb“, sagt Krössin mit Blick auf das aktuelle Erfolgsbeispiel. Durch medienwirksamen Widerstand war der Krisenfalls des Gymnasiums am Europasportpark (GESP) zuletzt in Franziska Giffeys Hände gelangt, die sich zum Handeln gezwungen sah.

Bezirk Pankow kann schlimmstenfalls den „Havarie-Fall“ ausrufen

Eigentlich hatte Pankow das GESP als eine von drei Schulen über die so genannte „Öffnungsklausel“ zur Not-Reparatur anmelden wollen, die in Berlin ein Vorziehen von Schulsanierungen bewirken kann. Doch dafür würde wohl jeweils ein anderes Berliner Projekt zurückgestellt. Entscheidend für die Rettung der nun deutschlandweit bekannten Trümmer-Schule war laut Krössin eine noch schlimmere Einstufung: als „Havarie-Fall“. Ein Extrem-Status wegen Verletzungsgefahr durch bauliche Schäden. Außer dem Gymnasium am Europasportpark in Pankow griff diese Sonderregel zuletzt auch bei der der Anna-Lindh-Schule in Mitte, wo ein Schimmelbefall keinen Unterricht mehr zuließ.

Das Symbolbild für den Sanierungsstau an Berliner Schulen: Ein Fensterrahmen im Pankower Gymnasium am Europasportpark zeigt gefährliche Missstände durch verschleppte Baumaßnahmen.
Das Symbolbild für den Sanierungsstau an Berliner Schulen: Ein Fensterrahmen im Pankower Gymnasium am Europasportpark zeigt gefährliche Missstände durch verschleppte Baumaßnahmen. © Thomas Schubert

Ob der Waschbären-Befall des Max-Delbrück-Gymnasiums nicht auch als „Havarie“ durchgehen könnte? Noch belässt es der Bezirk hier bei der zweithöchsten Alarm-Stufe und hofft auf eine Bewilligung der rund 31,7 Millionen Euro teuren Sanierung durch die „Öffnungsklausel“. Als zweiter Lernort in dieser Kategorie wartet auch das Rosa-Luxemburg-Gymnasium auf die Freigabe zur außerplanmäßigen Instandsetzung und Erweiterung.

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Pankows Bürgermeister: Rettung des Gymnasiums am Europasportpark als Präzedenzfall

Doch in beiden Fällen dauern die Prüfungen des Senats nun schon seit Wochen an, ohne dass eine Bewilligung oder Ablehnung stattfand. Während das Delbrück-Gymnasium Prüfer mit seiner Waschbär-Plage beeindrucken könnte, ist es beim Luxemburg-Gymnasium die schiere Enge. Ein Erweiterungsbau war schon vor Jahren bewilligt worden, fiel aber dann dem vom Senat verordneten Sparzwang zum Opfer. Rund 27 Millionen Euro für dieses Projekt hat Berlin in diesem Fall eingefroren.

Demonstration für Schulsanierung erfolgreich: Mit einem Klassenausflug zum Roten Rathaus setzen 800 Schüler des Gymnasiums am Europasportpark in Pankow Senat und Bezirksamt unter Druck. Kann dieses Beispiel Schule machen?
Demonstration für Schulsanierung erfolgreich: Mit einem Klassenausflug zum Roten Rathaus setzen 800 Schüler des Gymnasiums am Europasportpark in Pankow Senat und Bezirksamt unter Druck. Kann dieses Beispiel Schule machen? © Thomas Schubert

Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) sieht es weiter als geboten an, dass der Senat sowohl das Delbrück- als auch das Luxemburg-Gymnasium außerplanmäßig reparieren lässt. Weil die Rettung für das ähnlich angeschlagene Gymnasium am Europasportpark als Präzedenzfall wirkt. „Wenn der Spalt einmal offen ist, braucht es gute Gründe, warum man die Maßnahmen zwei und drei ablehnt“, hofft Benn auf eine Gleichbehandlung der baufälligsten Schulen im Bezirk.

Sanierungsstau an Schulen: Berliner Senat und Bezirke beschuldigen sich gegenseitig

Dass 27 von 29 Projekten in Pankow aus den aktuellen Planungen gestrichen sind, hält Benn für nicht vermittelbar. „Auf Landesebene ist vielleicht nicht verstanden worden, welche Not wir im Schulwesen in Berlin haben“, beklagt der Bürgermeister. Auf Landesebene wiederum zeigt man mit dem Finger auf die Bezirke, die mit Nachlässigkeiten bei der Anmeldung von Baubedarf die Not der maroden Schulen mitverursacht haben. Dieses Argument aus dem Hause von Schulsenatorin Astrid Busse (SPD) half im Fall des Gymnasiums am Europasportpark den Familien von 800 Kindern nicht weiter. Die gingen auch wegen des Behörden-Ping-Pongs zwischen Senat und Bezirk auf die Straße. Bis Franziska Giffey persönlich die Freigabe von 40 Millionen Euro verfügen ließ.

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Es sind 40 Millionen für ein Gymnasium in Prenzlauer Berg, das nur einen Punkt auf der vierseitigen „Giftliste“ der maroden Schulen im Bezirk Pankow ausmacht. Stadträtin Krössin kann zu vielen der Stichpunkte Details nennen, die Außenstehende staunen lassen. In der Paul-Lincke-Schule seien Elektro-Leitungen defekt, in der Kurt-Schwitters-Schule weiß man von Brandschutzmängeln. Und in der Hufeland-Schule gebe es Anzeichen von „Verrottung“.

Wenn Pankow kaputte Schulen schließt, droht die große Umverteilung

Gegen herabfallende Fenster: Dieser Verschlag aus Holz und Blech bewahrt Kinder vor dem Gymnasium am Europasportpark in Pankow vor Verletzungen.
Gegen herabfallende Fenster: Dieser Verschlag aus Holz und Blech bewahrt Kinder vor dem Gymnasium am Europasportpark in Pankow vor Verletzungen. © Thomas Schubert

Angesichts dieser geballten Not fordert Grünen-Politiker Karsten Dirk Gloger, der Vorsitzende des Pankower Schulausschusses, bei der Ausrufung weiterer „Havarie-Fälle“ in Pankow nicht zimperlich zu sein. „Dann bleibt dem Land kaum etwas anderes übrig, als die Sanierung zu finanzieren“, meint Gloger. Und Lars Bocian von der CDU-Fraktion empört sich darüber, dass in Pankow wegen verschobene Reparaturprojekte acht Millionen Euro Planungskosten „verrauchen“. Warum also meldet Pankow nicht noch mehr Havarien an?

Aus schierer Platznot, erwidert Stadträtin Krössin. Denn die Ausrufung der Havarie bedeutet die sofortige Schließung einer Schule – „dann werden Hunderte Kinder umverteilt. Den Platz muss man andernorts erstmal haben.“ Das ist das nächste Problem mit Pankows Schulen: Sie sind nicht nur zu kaputt, sondern auch zu voll.

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