Die Morgenpost-Analyse zeigt, warum Hertha in der Bundesliga-Hinrunde ins Schlingern geriet: Zwar waren die Berliner vorn effektiv, dafür aber in der Defensive und im Kreativbereich besonders schwach.

Es ist trübe geworden, so kurz vor Weihnachten. Bevor Herthas Spieler in den Winterurlaub aufbrechen durften, frühstückten sie am Montagmorgen noch einmal auf der Geschäftsstelle des Klubs. Die Stimmung war mies. Das Debakel gegen Hoffenheim zum Abschluss der Hinrunde vor eigenem Publikum schlug aufs Gemüt.

Es war der denkbar schlechteste Abschluss eines Halbjahres, das den Berlinern ohnehin schon genügend Rätsel aufgegeben hat.

Nun schwebt das 0:5 als letzter Eindruck wochenlang über dem Hauptstadtklub bis zum Start der Rückrunde am 1. Februar in Bremen und schürt die Angst vor dem erneuten Gang in Liga zwei. Nur ein einziger Zähler trennt Hertha als Liga-13. mit 18 Punkten von der Abstiegszone.

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Trainer Luhukay bleibt im Amt

Von einer „schwierigen Hinrunde“ sprach Herthas Manager Michael Preetz. Die Enttäuschung bei ihm und allen Beteiligten ist groß. Ein Umdenken, wie von manchen Fans in Sachen Trainer und Manager gefordert, gibt es aber nicht. Hertha setzt auf Kontinuität. Preetz hat als Geschäftsführer Sport weiter die Leitung, Jos Luhukay bleibt Cheftrainer. „Wir sind jetzt zusammen gefragt, diese Situation gemeinsam zu überstehen“, sagte Preetz. „Wir müssen eine bessere Rückrunde spielen.“

Herthas Fußball in dieser Hinrunde war wie ein altes Auto im tiefsten Winter. Luhukay setzte sich ans Steuer, konnte aber nie mit Gewissheit sagen, ob der Wagen anspringt oder nicht. Erst stotterte der Motor zu Saisonbeginn, als vier Spiele lang kein Sieg gelang. Dann kam das 1:0 gegen Wolfsburg und man dachte: Jetzt läuft die Kiste. Doch prompt soff sie wieder ab. Nach vier von fünf der bisherigen Saisonsiege folgten stets Niederlagen. Nie gab es Konstanz, und Hertha schlingerte daher durch die Hinrunde wie auf einer spiegelglatten Fahrbahn.

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Sie lassen sich auffächern in defensive und offensive Probleme. Nur eine besondere Stärke bewahrte Hertha davor, noch tiefer in den Tabellenkeller zu rutschen: die Effizienz vor dem Tor.

Die meisten Großchancen zugelassen

Beginnen wir hinten: Hertha unterhält mit 35 Gegentoren die zweitschlechteste Defensive vor Bremen (39). Das liegt kurioser Weise nicht daran, dass Luhukays Team zu offen agiert. Nur vier Mannschaften haben weniger Torschüsse zugelassen. Aber wenn der Gegner zum Abschluss kommt, lädt Hertha ihn ein: Kein Team gewährt mehr Großchancen (33).

Das lässt auf einen Mangel an Konzentration in den entscheidenden Zweikämpfen schließen. Um dies zu illustrieren, ist ein Blick auf die Kopfball-Statistik sinnvoll: Hertha erlaubt dem Gegner zwar relativ wenig Kopfballchancen (33, Platz sieben), aber wenn, dann schlägt es oft ein: Kein Klub kassiert mehr Kopfball-Gegentore (acht). In der Luft hat Hertha also ebenso ein Problem und das führt zum nächsten: die Anfälligkeit bei Standards. Nur zwei Teams kassieren mehr Tore nach ruhenden Bällen als Hertha (zehn) – fünf davon nach Freistößen (Platz 15).

Was aber macht man, wenn man über diese Schwachstelle bescheid weiß? Man vermeidet Freistöße des Gegners. Doch hier kommt Hertha die größte Schwäche in die Quere: die schlechte Zweikampfführung. Kein Team foult häufiger (306). Zwar führt Hertha überdurchschnittlich viele Zweikämpfe in der Defensive (nur vier Teams führen mehr), doch die Berliner verlieren auch überdurchschnittlich viele. Nur Freiburg hat eine schlechtere Quote bei defensiven Zweikämpfen als Hertha (49 Prozent).

Dazu kommt, dass im Abwehrverhalten zum Ende der Spiele die Konzentration besonders nachlässt: Nur Eintracht Frankfurt (11) kassiert mehr Tore in der Schlussviertelstunde als Hertha (9).

Hertha hat die effektivsten Stürmer der Liga

Nun könnte man meinen, das Team sei körperlich nicht auf der Höhe. Doch das stimmt nicht. Denn im Endspurt der Partien schießen auch nur fünf Mannschaften mehr Tore als Hertha (6).

Und hier kommen wir zum Paradoxon dieser Mannschaft: So anfällig Hertha in den entscheidenden Zweikämpfen in der Defensive ist, so stark ist Luhukays Team in den entscheidenden vor dem gegnerischen Tor: Hertha ist die neben Schalke die effektivste Mannschaft der Liga. Lediglich sieben Torschüsse benötigen die Berliner für einen Treffer.

Hertha (67 Prozent) verwertete die zweitmeisten Großchancen hinter Frankfurt (68) und hat mit Julian Schieber und Salomon Kalou die effektivsten Stürmer der Liga (vier Torschüsse pro Tor). Zudem ist nur Wolfsburg (11 Tore) bei eigenen Standards noch stärker als die Berliner (10).

Einkäufe im Winter sind möglich

Doch dieser Umstand kaschiert auch Herthas Offensiv-Probleme: Luhukays Mannschaft fehlt es an Spielkultur, Passsicherheit und Kreativität: Kein Team hat weniger Spielanteile (nur 44 Prozent Ballbesitz). Lediglich Köln schießt seltener aufs Tor. Zudem verbucht Hertha die zweithöchste Fehlpassquote der Liga (31 Prozent).

Die Ausfälle der Spielgestalter Alexander Baumjohann und Tolga Cigerci konnten ebenso wenig kompensiert werden wie die Ausfälle von Fabian Lustenberger und Sebastian Langkamp in der Abwehr. Luhukay hofft in der Rückrunde auf die beiden Innenverteidiger. Doch auf der Spielmacher-Position ist Verstärkung nötig. Noch gab es keinen Vorstoß. Das Transferfenster ist bis zum 2. Februar geöffnet. „Wir halten uns alle Optionen offen“, sagte Preetz der Morgenpost.

Um die Angst vor dem Abstieg zu vertreiben, muss Hertha zur defensiven Stabilität zurückkehren – die Basis der Vorsaison – und ideenreicher im Spiel nach vorn werden. Es braucht jetzt also ein paar größere Reparaturarbeiten. Sonst fährt der Wagen nicht sicher.