Michael Müller (SPD) muss öfter schmunzeln, als er im Interview über Fußball spricht. Der begabteste Spieler, das schimmert durch, war Berlins Regierender Bürgermeister früher nicht. Aber Müller hat den Fußball trotzdem immer geliebt. An diesem Sonnabend empfängt der 50-Jährige als Gastgeber die Weltöffentlichkeit: Im Berliner Olympiastadion treffen Juventus Turin und der FC Barcelona im Finale der Champions League aufeinander (20.45 Uhr, ZDF und Sky). Ein Gespräch über Freud und Leid am Fußball, den Rücktritt von Fifa-Präsident Blatter und seine Vorliebe für Torhüter.
Berliner Morgenpost: Herr Müller, haben Sie selbst auch Fußball gespielt?
Michael Müller: Nicht im Verein. Aber im Schulsport und mit Freunden auf dem Hof.
Was waren Sie für ein Spielertyp?
Ich war immer ganz begeistert, wenn ich Torwart sein durfte. Und wenn das nicht ging, stand ich in der Abwehr. Der Sturm war eher nicht so meine Sache.
Torwarte gelten als ziemlich eigen. War das bei Ihnen auch so?
Sie sehen ja, ich bin am Ende nicht Torwart geworden. Wahrscheinlich kam meine Vorliebe für Torwarte durch Sepp Maier. Ich bin mit den deutschen Weltmeistern 1974 groß geworden. Das waren meine Fußball-Idole.
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Was hat Ihnen an Sepp Maier gefallen? Auch er galt ja im besten Sinne als ziemlich eigen.
Er war ein besonderer Typ, das stimmt. Aber er hat es auch geschafft, gleichzeitig ein wichtiger Teil der Mannschaft und Individualist zu sein. Ihm ist es schon damals gelungen, einen Kult um seine Person zu erzeugen. Das fand ich klasse.
Torhüter stehen immer besonders unter Druck. Wenn Sie einen Fehler machen, leidet die ganze Mannschaft. Das trifft auch auf Sie als Spitzenpolitiker zu.
Ich würde es anders herum sehen: Ich erinnere mich, wie Oliver Kahn 2001 am letzten Spieltag der Bundesliga seine Mannschaft angetrieben hat, als sie 0:1 in Hamburg hinten lag und die Meisterschaft zu verlieren drohte: „Weiter, immer weiter!“ Und dann ist ja in der Nachspielzeit noch das erlösende Tor für den FC Bayern gefallen. So etwas ist mir sehr sympathisch. Das motiviert mich. Was Oliver Kahn an Willen aufgebracht hat, hat mir immer imponiert.
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Würden Sie sagen, dass es eine Zeit in Ihrem Leben gegeben hat, in der Sie ein echter Fußballfan waren?
Bei der WM 1974, meiner ersten bewusst wahrgenommenen WM, habe ich wirklich stark mitgefiebert. Danach gab es eine längere Zeit der Durststrecke in meinem Fan-Dasein. Aber seit etwa zehn Jahren habe ich wieder richtig Spaß daran, ins Stadion zu gehen. Das hängt auch mit meinen eigenen Kindern zusammen: Meine Tochter ist begeisterter Fußballfan. Sie ist immer ganz verzweifelt, wenn sie mit mir bei Spielen von Hertha BSC in den VIP-Bereich kommen soll. Sie sagt dann schon mal: Lass uns doch lieber in den Fanblock gehen! Da ist es viel cooler.
Kann man als Politiker denn ein echter Fan eines Vereins sein?
Das kann man sehr wohl. Ich bin Fan meiner Heimatklubs. Ich gehe gerne zu Hertha und zum 1. FC Union oder auch zu Länderspielen. Aber Hertha ist Berlins Erstligist und hat eine große Tradition. Da fiebere ich richtig mit. Daneben spielt es für mich als Politiker aber natürlich auch eine Rolle, dass es gut für Berlin ist, wenn mindestens ein Klub aus der Stadt in der Bundesliga spielt. Vielleicht schneidet Hertha in der Zukunft wieder etwas besser ab und spielt international. Davon würde dann auch Berlin profitieren.
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Herthas Saison war ziemlich schwierig. Wie haben Sie das erlebt?
Wenn ich mich an das letzte Heimspiel gegen Frankfurt erinnere (Ergebnis 0:0, Anm. der Red.), das war grauenvoll. Da gibt es nichts drum herum zu reden. Hertha hätte den Klassenerhalt schon dort perfekt machen können. Das hat frustriert.
Wie ist es bei einzelnen Spielern?
Ich bin fasziniert von manchen Einzelleistungen und von einzelnen Spielern: Bastian Schweinsteiger zum Beispiel, oder Philipp Lahm und Marco Reus. Diese Spieler beeindrucken mich, egal, für welchen Verein sie spielen.
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Fußball und Politik gehen oft eine besondere Beziehung ein. Angela Merkel zeigt sich gern mit der Nationalelf. Ihr Vorgänger Klaus Wowereit hat sich gern einen Hertha-Schal umgehängt. Muss man als Politiker heute den Fußball auch für sich selbst nutzen?
Nein. Ich muss da nichts konstruieren und hoffen, dass ich zehn Stimmen mehr bekomme, wenn ich mit einem Fan-Schal auf der Tribüne zu sehen bin. Mir ist Sport persönlich wichtig. Darüber hinaus weiß ich, wie wichtig der Sport im Allgemeinen für die Stadt, aber auch für die Menschen ist, gerade für Kinder und Jugendliche, um sich orientieren zu können. Ich finde es schön, wenn ich das als Politiker mitbegleiten kann. Aber ich will den Fußball nicht benutzen und irgendetwas erfinden.
Wie kommt es, dass Politiker – besonders in der SPD – gern Begriffe aus der Fußballsprache verwenden, um Sachverhalte zu erklären?
Fußball ist zum einen in der Sozialdemokratie stark verwurzelt. Es ist ein Arbeitersport. Jeder kann es spielen, ohne dass er dafür große finanzielle Mittel braucht. Man braucht keine Golfschläger oder ein Polopferd. Fußball überwindet soziale Grenzen. Zudem muss man als Politiker überlegen, wie man komplexe, politische Sachverhalte so übersetzen kann, dass sie jeder versteht. Und die Fußballsprache versteht jeder. Wenn man das schafft und eine echte Nähe hat wie Gerhard Schröder oder Franz Müntefering, dann ist das gut. Müntefering hat seine eigene Rolle ja immer mit der von Katsche Schwarzenbeck verglichen.
Wie würden Sie denn Ihre Rolle als Politiker in die Sphäre des Fußballs übersetzen?
Ich möchte den Fußball nicht so für mich nutzen. Bei mir ist das Interesse am Fußball ein unpolitisches.
Aber man kann es ja schon übertragen: Sie sind in Berlin der Mannschaftskapitän der Rothemden. Frank Henkel ist der von den Schwarzhemden. Und nun laufen so langsam die Dehnübungen für das Endscheidungsspiel.
Das ist ein hübsches Sprachbild. Sehen Sie, so kann man es anschaulich machen, worum es geht.
Sie haben nun zum ersten Mal das wichtigste Endspiel im europäischen Vereinsfußball in Berlin: das Champions-League-Finale. Was bedeutet das für die Stadt?
Es ist ein Sportfest. Da kommt vieles Gute zusammen. Wir werden eine tolle Atmosphäre im Stadion und in der Stadt haben. Leider werden das Spiel im Stadion nur einige wenige Berliner sehen können. Dieses Ereignis aber wird in der Stadt zu spüren sein. Gleichzeitig können wir uns als Sportmetropole präsentieren. Wir können zeigen, welch gute Infrastruktur wir haben. Berlin ist ein Anziehungspunkt für Sportbegeisterte. Darüber hinaus werden die Bilder um die Welt gehen. Das ist unbezahlbare Stadtwerbung. Wir profitieren zum Beispiel bis heute von der WM 2006.
Es stehen sich im Finale zwei ausländische Mannschaften gegenüber. Der FC Barcelona, der für den schönen Offensivfußball steht, und Juventus Turin, ein Klub, der eher für das Defensivspiel steht. Für wen schlägt Ihr Herz?
Ich hätte mir gewünscht, dass eine deutsche Mannschaft im Finale steht. Das hat leider nicht geklappt. Ich habe für das Finale keine bevorzugte Mannschaft. Aber ich freue mich auf Lionel Messi. Seine individuelle Qualität kann das Spiel entscheiden. Neulich habe ich ein paar Szenen aus der Saison von Messi gesehen. Das ist die pure Freude.
Sie waren gerade in Argentinien. Da wird Messi verehrt wie kaum ein anderer.
Messi und der Papst! Für die Argentinier gibt es da in der Wertschätzung kaum einen Unterschied.
Dennoch gibt es auch Schattenseiten des Fußballs. Hat der neueste Korruptionsskandal bei der Fifa Ihr Bild von diesem Sport beeinträchtigt? Das hat kein gutes Licht auf den Fußball geworfen.
Nicht nur auf den Fußball, sondern auf den Sport insgesamt. Wir alle sagen und hoffen, dass der Sport eine Orientierungshilfe für Kinder und Jugendliche sein kann. Sport soll eine Richtschnur sein, wie man gut und fair miteinander umgeht. Aber der Sport muss auch dafür sorgen, dass er dieser Vorbildfunktion gerecht wird. Unter dieser Überschrift ist bei der Fifa mit ein paar Tagen unnötiger Verzögerung nun doch noch die Tür geöffnet worden für einen Neuanfang., der für Transparenz und Offenheit steht. Ich hoffe, dass man das in der Fifa unter neuer Führung in den nächsten Jahren ernsthaft angeht.
Haben Sie sich gewünscht, dass Fifa-Präsident Sepp Blatter zurücktritt?
Die Forderungen nach einem Rücktritt Blatters sind ja nicht nur von Politikern gekommen, sondern auch von Fachleuten anderer Verbände. Wir brauchen diesen Neuanfang, hieß es. Und diese Forderung kann ich sehr gut nachvollziehen.
Die Popularität des Fußballs hat nicht nur positive Seiten, sondern sorgt auch dafür, dass Randsportarten in Berlin immer mehr Probleme beim Finden von Sponsoren und Nachwuchs bekommen. Kann die Politik dagegenwirken?
Wir haben ein riesiges Gefälle zwischen erster Liga und zweiter, zwischen Fußball und allen anderen Sportarten und zwischen Männer und Frauen. Wir können uns nur bemühen, ein wenig auszugleichen. Das geht, indem man Sponsoren direkt anspricht und um Hilfe bittet – und eben nicht nur für die erste Mannschaft, sondern auch mal für den Nachwuchs oder der dritten Mannschaft im Handball, Basketball, Tennis, Wasserball. Zum zweiten bemühen wir uns über unsere Lottomittel. Wir haben dort ein festes Budget, um den Sport zu fördern – jenseits der Trends. Dort bekommen die Erstligavereine Unterstützung – zum Beispiel im Judo oder American Football. Das ist ein kleiner Ausgleich.
Es gibt kaum eine Stadt, die so viele Topvereine hat wie Berlin. Hertha BSC einmal ausgenommen sind das die Füchse, Alba, die Eisbären, die Wasserfreunde Spandau. Lässt sich das langfristig halten?
Das macht uns sehr stolz. Berlin ist eine Sportmetropole. Die Stadt ist, das darf man zudem nicht vergessen, auch Anziehungspunkt für Spieler und ihre Familien. Wenn der Spieler sich entscheiden kann: Berlin oder eine andere Stadt in Deutschland, dann heißt es meistens von der Familie: Nimm Berlin. Da würden wir gern leben. Das ist schön und spricht für diese großartige Stadt.