Wer hat, der hat, wird sich Berlins Opernstiftung gedacht haben, als sie den aktuellen Saisonauftakt plante: Die drei großen Häuser schicken ihre gewichtigen Premieren geballt am ersten Oktoberwochenende an den Start – zur Freude der Hoteliers und reisenden Opernfans. Die Staatsoper hebt eine Neuinszenierung von Wagners „Meistersinger“ ins Programm, die Deutsche Oper Meyerbeers „Vasco da Gama“, die Komische Oper startet den Marathon mit Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“.
Eine Oper, die es so eigentlich nicht gibt: Offenbach starb vor der Fertigstellung, schon die Uraufführung 1881 war eine eigenwillige Fassung, bis heute existieren zahlreiche Varianten. Also wird jede Inszenierung auch zur Interpretation von Offenbachs Absichten.
Hoffmann steht gleich dreimal als Erzähler auf der Bühne
Ein gefundenes Fressen für einen wie Barrie Kosky, der immer versucht, den Kern eines Werks freizulegen vom Ballast der Sehgewohnheiten. Er stutzt „Les Contes d’Hoffmann“ (gesungen wird Französisch) auf das zusammen, was von Offenbach stammt: Beginn, Schluss und Rezitative fehlen. Dafür steht jetzt mit Uwe Schönbeck ein Schauspieler auf der Bühne, der als einer von drei E.-T.-A.-Hoffmann-Verkörperungen Auszüge aus dessen Erzählungen spricht.
Schon das Libretto lässt den Dichter Hoffmann ja auf allerlei Motive und Figuren seiner Werke treffen: In einer Berliner Kneipe erzählt er Saufstudenten von drei fehlgeschlagenen Liebesversuchen, vermutlich allesamt Kopfgeburten des Dichters. Kosky geht noch weiter und sagt: Selbst die Studenten, die Kneipe sind Einbildungen Hoffmanns! Also sitzt der dicke, alte Mann anfangs allein zwischen Hunderten Flaschen auf der schwankenden Fläche.
Immer offen für Neues: Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper Reto Klar
Im Suff nuschelt er Texte aus Hoffmanns „Don Juan“-Erzählung. Vor ihm geistert Donna Anna aus Mozarts „Don Giovanni“ vorbei, hinter ihm jagt die Muse ihn durch seine Albträume, nur um ihm zu zeigen, dass er längst ihr gehört: fertig mit dem Leben, allein in der Kunst oder im Rausch. Was hier so halbwegs dasselbe ist.
Was zu herrlich absurden Bildern führt: Wenn sich Hoffmann in die Puppe Olympia verliebt, dann wackelt der gesamte Chor, der mit seiner fulminanten Präsenz wieder mal beweist, warum er jüngst erneut zum Opernchor des Jahres gewählt wurde, als grinsende Automatenzombies über die Bühne.
Quietschendes Kauderwelsch
Vorn aber steht ein Kasten, eine Mischung aus Schrank, Drehorgel und Puppenbühne: Geht oben der Vorhang auf, sieht man Olympias Gesicht, aus der Schublade schnellen die Hände, die Klappe unten zeigt ihre zarten Füße. In der Mitte öffnet sich – oho! – ein Loch, aus dem Hoffmann nicht enden wollendes Rapunzelhaar zieht.
Dass die Puppe ein noch nicht ganz ausgereifter Prototyp ist, spiegelt Olympias Gesicht: Wie Nicole Chevalier die Augen aufreißt, ihren Mund verzieht, wie sie in quietschendes Kauderwelsch verfällt und dabei noch die Koloraturen mit stupender Meisterschaft perlen lässt, erinnert daran, was aus diesem Abend hätte werden können.
Der Kopf-Erotiker bleibt einem egal
Doch Koskys Konzept, den Dichter in drei Männerfiguren zu spalten, geht nicht auf. Dominik Köninger singt Hoffmann in den ersten beiden Akten, die Offenbach ursprünglich für einen Bariton geschrieben hat. Fein nuanciert er die Rolle, wenn er etwa im berühmten „Klein-Zack“-Lied alle paar Takte eine andere Klangfarbe findet. Danach übernimmt Tenor Edgaras Montvidas mit ordentlich Schmelz und flackernder Höhe.
In dieser Zersplitterung und ohne Rezitative bleibt aber unklar, was diesen Hoffmann motiviert. Die hinzugefügten Erzählungsauszüge erklären nichts. Am Ende ist einem dieser passive Kopferotiker einfach egal. Zumal das Unheimliche seiner Fantasien merkwürdig abstrakt bleibt.
Das letzte Wort hat Mozart
Das ist besonders schade, weil die Sänger sich so wagemutig in ihre Rollen stürzen. Allen voran Nicole Chevalier: Wie sie jeder von Hoffmanns Hirngespinst-Damen einen eigenen Ton abringt, ist ebenso bewundernswert wie Karolina Gumos’ coole Muse, die Hoffmann mit strahlendem, vielseitigem Mezzo auf Kurs hält. Dimitry Ivashchenko wirkt dagegen mit seinem prachtvoll-dunklen Bariton in den Bösewichtrollen fast väterlich.
Das Orchester unter Stefan Blunier grenzt die Akte stilistisch klar voneinander ab: Nach dem spitzen Sound der Industrialisierung in der Puppenwerkstatt schwelgt es in den großen, romantischen Bögen und später in südlicher Leichtigkeit. Immer wieder spukt Mozart herein, Offenbachs und Hoffmanns großes Vorbild. Mozart hat auch das letzte Wort: Noch aus dem Sarg heraus krächzt der Bühnen-Hoffmann „Reich mir die Hand, mein Leben“. Vergeblich.
Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte, Tel.: 47 99 74 00. Nächste Termine:
7., 11., 14., 18. und 25. Oktober.