Gastronomie-Tests sind Momentaufnahmen. Deshalb hat Heinz Horrmann vier Berliner Restaurants erneut besucht - und ist wieder begeistert vom Lorenz Adlon, Les Solistes, Brasserie Lamazère und vom Grosz.

Wer kritisch hinsieht und Fehler aufzeigt, darf auch mal in höchsten Tönen jubeln, wenn es angebracht ist. So bei meinem Wiederholungs-Dinner im Lorenz Adlon Esszimmer. Mit Begeisterung für Hendrik Ottos Küche und den Service von Maître und Sommelier. Das Genusspaket stimmte mich euphorisch.

Zwei-Sternekoch Otto gehört für mich zu den vier kreativsten deutschen Künstlern am Herd, zweifellos. Darum habe ich gerade den Michelin aufgefordert, Otto bei der diesjährigen Wertung den verdienten dritten Stern zu geben. Das würde die deutsche Gourmet-Hauptstadt Berlin gebührend auszeichnen.

Ottos Menü war dieses Mal das Highlight der Übersicht zur Aktion der „zweiten Chance“, die ich Ihnen immer wieder einmal präsentiere. Ich halte es für wichtig, Restaurants mit außergewöhnlich guter oder erschreckend schwacher Bewertung noch mal zu besuchen – und die persönliche Einordnung zu überprüfen.

Hendrik Otto ist noch frecher geworden

Sie kennen meine Meinung: Gastronomie-Tests sind stets Momentaufnahmen. Eben so, wie sie auch der Gast bei einem genüsslichen oder ärgerlichen Restaurant-Besuch erlebt. Gewiss haben Küche und Service die Möglichkeit, sich zu verbessern und Ausrutscher, die ja mal passieren können, vergessen zu machen. Aber es lauert auch die permanente Gefahr, eine gute Wertung zu verschlechtern.

Hendrik Otto ist noch frecher beim Spielen mit den Aromen geworden. Ein paar Beispiele, die das belegen: Die Gänseleber vermählt er mit Orangen, Kaffee, Zwetschge und Trüffel. Langostinos und Calamaretti bekommen Korianderduft, Staudensellerie und Apfel, das geschmorte Rippenstück vom Nebraska-Rind gerösteten Mais und Gulaschsaft. Beim Amuse Bouche werden unter anderem Cannelloni von Toast Hawaii serviert. Ganz klassisch dagegen der süße Abschluss mit Pfirsich Melba.

Ebenfalls ein Kompliment hat sich das Gourmetrestaurant Les Solistes im Hotel Waldorf Astoria Berlin bei meinem erneuten Besuch verdient. Allerdings bedeutet die Anerkennung zugleich eine kritische Relativierung. Pierre Gagnaire, der für mich weltbeste Koch, der als Pate hin und wieder selber in der Küche steht, war zufällig zum zweiten Auftritt in Berlin und hat, wie nicht anders zu erwarten, sensationell gekocht.

Schade, dass der Meister so selten selbst am Herd steht

Das war mindestens eine Klasse besser als bei den „Platzhaltern“. Der Hummer beispielsweise, von Pierre Gagnaire zubereitet, hat Weltgeltung. Seine Linie ist die ausgewogene Kombination vom zarten (nicht faserigen) Fleisch und genügend feiner Säure. So wird er mit gedünsteter Mango, Pampelmuse und reichlich Zitronengras verbunden. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass man denken muss: Schade, dass der Meister hier so selten selbst am Herd steht. Doch was soll er machen, bei einem guten Dutzend Sterne-Restaurants weltweit, die er betreut. So viel sollte auch dazu gesagt sein.

Mit Pierre Gagnaire sind wir in der französischen Küche gewesen. Ebenfalls französisch, aber im deutlich preisgünstigeren Bereich folgt die Brasserie Lamazère am Stuttgarter Platz in Charlottenburg. Vorspeise, Hauptgang und Dessert kosten 30 Euro. Bei meinem zweiten Besuch war die Überraschung mit dem sensationellen Preis-Leistungs-Verhältnis genau so groß wie beim ersten Mal.

Dieses Mal probierte ich jedoch die ganz besonderen Eier im Pfännchen, die sogenannten Oeufs Cocotte mit Bayonner Schinken. Einfach, aber köstlich. Das gilt auch für den Loup de Mer mit getrüffeltem Blumenkohl und gerösteten Kartoffeln. Und wie beim ersten Besuch staunte ich über die Geschäftspraxis, nur so viel vom Bordeaux berechnet zu bekommen, wie ich tatsächlich aus der Flasche getrunken habe. Das hatte ich so bisher noch nie erlebt.

Ordentliche Portionen für zwei Gäste im Grosz

Dass Köstlichkeiten auch in einem „In-Restaurant“ nicht extrem teuer sein müssen, erlebte ich bei einem erneuten Besuch im Restaurant Grosz im Haus Cumberland, das von Gastronom Roland Mary betrieben wird. Drei Varianten gibt es von einer ganz exzellenten Bouillabaisse, die dem Gaumen schmeichelt und, leicht gebunden, auch satt macht.

Die normale Suppenschale, als „La Petit“ bezeichnet, steht mit zwölf Euro auf der Rechnung und enthält Filets von Rotbarbe, Butt und Lotte, herzhaft gewürzt. Die Bouillabaisse mit Edelprodukten, „La Special“ genannt, kombiniert Jakobsmuscheln, Langusten und Hummer. Allein vom Wareneinsatz kann das nicht billig sein, da werden 40 Euro berechnet. Aber: Das sind ordentliche Portionen für zwei Gäste.