Berlin. Familien wollen mit einer Demo die Reparatur maroder Schulen erzwingen – bevor es Verletzte gibt. Nun meldet Pankow eine Lösung.
Wackelnde Fenster, Schächte, die Kinder vor herabfallenden Trümmern schützen und drohendes Homeschooling wegen Verletzungsgefahr: Der Fall des völlig maroden Gymnasiums am Europasportpark in Prenzlauer Berg verlangt nach einer schnellen Lösung. Und die scheint das Bezirksamt Pankow nun gefunden zu haben: Voraussichtlich um kommenden Jahr zieht die komplette Schule mit fast 800 Kinder in ein leeres Bürohaus in der näheren Umgebung. So meldet es nun Bildungsstadträtin Dominique Krössin (Linke). „Wir Prüfen, ob wir die komplette Schule auslagern“, erklärt sie nach einem Besichtigungstermin, der offenbar erfolgreich verlief. Zuerst hatte dazu die TAZ berichtet.
Einer Verlagerung des Unterrichts aus der kaputten Schule ins Bürohaus steht aber noch die Kostenfrage im Wege - Krössin bemüht sich darum, dass der Senat die Mietkosten für den 860 Quadratmeter großen Bürobau übernimmt. „Es ist noch nicht in Sack und Tüten“, sagt dazu die Stadträtin. Weil am Ersatzstandort ein Umbau stattfinden muss, könnte noch ein Jahr vergehen, bis der Umzug gelingt, berichtet Krössin der Morgenpost.
Derweil wird ein bröselndes Fenster an der wohl marodesten Schule Pankows zum Symbolbild einer Berliner Protestbewegung: Ein Demonstrationsplakat mit dem Foto des zerfallenden Holzrahmens aus einer Klasse des Gymnasiums am Europasportpark soll zeigen, warum die Initiative „Schule muss anders“ am kommenden Montag zu einem Protestmarsch durch Pankow zieht: Ein Sparplan des Senats führt dazu, dass der Bezirk mehrere dringende Sanierungsprojekte auf die Zeit nach 2026 verschieben muss – so auch die Total-Reparatur und Erweiterung der Trümmer-Schule am Europasportpark.
Demonstration in Pankow: Eltern empört vom Sparen an Schulen
Und weil nicht nur die Sanierung, sondern auch die Erweiterung der betroffenen Pankower Schulen ruht, muss der Nachwuchs in den intakten Klassen des Bezirks noch dichter zusammenrücken – oder in angemietete Büros ausweichen. So beklagt es das Protestbündnis um den Elternvertreter André Mors, der das Trümmer-Fenster-Besuchern des Problem-Gymnasiums mit einem bitteren Hinweis vorführt: Es gehört zu den ganz wenigen Luken des verfallenen DDR-Typenbaus aus den 1970er Jahren, die man überhaupt noch öffnen darf – trotz des verheerenden Zustands.
Der große Rest der über 700 Fenster droht aus den Angeln zu kippen und wurde mit Warnaufklebern für gesperrt erklärt. Es steht sogar die Empfehlung im Raum, die Schule ganz zu schließen, wenn ein Sturm aufziehen könnte. Nur, wo die fast 800 Kinder dann hinsollen, darauf wussten Bezirk und Senat keine Antwort - bis jetzt die Büro-Lösung aufkam.

Es handelt sich nur um den bekanntesten Fall des Nord-Berliner Sanierungsdramas. Dementsprechend viele Familien dürften am kommenden Montag, 17. Oktober, ab 16.30 Uhr zur „Schule muss anders“-Demonstration am Bahnhof Pankow antreten. „Die Pankower Grundschulen und Oberschulen sind überfüllt, platzen aus allen Nähten. Aktuell fehlen insgesamt circa 5000 Grund- und Oberschulplätze“, heißt es im Aufruf. „Sofort Ausweichstandorte schaffen, wenn die Gesundheit bedroht ist“, so lautet die vielleicht bedenklichste der Forderungen für die Kundgebung.
Die weiteren Wünsche an die Politik lauten: Ausreichend Schulplätze schaffen durch Sanierung und Neubau. Ausreichend Geld für Schulsanierungen durch das Land bereitstellen lassen. Und die dringend notwendigen Sanierungsprojekte in Pankow und anderen Bezirken sofort weiterbauen. Dazu wollen die Eltern die abgespeckte Investitionsplanung für 2022-26 korrigieren und eine so genannte Öffnungsklausel für gestoppte Sanierungsprojekte anwenden lassen. Genau diese Klausel versucht derzeit Pankows Schulstadträtin Dominique Krössin (Linke) zu nutzen, um eine Notfallreparatur für das Gymnasium am Europasportpark anzumelden.
Gymnasium am Europasportpark: Logische Lösungen waren „nicht umsetzbar“

Was Eltern Sorge bereitet, sind gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen Senat und Bezirk. Während letzterer den Sparzwang für dringend benötigte Reparaturen beklagt, legt der Senat dem Bezirk nahe, zu stark beschädigte Schulen bei Investitionswünschen nicht genügend priorisiert zu haben.
Dort verwaltet man wiederum derart viele marode Schulen, dass die Bezirksverwaltung gar nicht so viele Maßnahmen anmelden kann, wie man müsste. Schon der Fall des Gymnasiums am Europasportpark zeugt von einem Dilemma. Wie nun aus einer Anfrage des FDP-Fraktionschefs Thomas Enge hervorgeht, ließ Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) alle Rettungsversuche prüfen. Doch die drei logischsten Optionen fallen aus. Sowohl die Komplettauslagerung des Schulbetriebs, als auch die Sanierung im laufenden Schulbetrieb und die komplette Schulschließung gelten als „nicht umsetzbar“. Weil andernorts der Platz fehlt und die Schäden so grob sind, dass sie sich nur noch als Ganzes beheben lassen, nicht mehr in Teilen.
Pankows kaputtestes Gymnasium: Fassade ist reif für den Abriss

So wäre laut Benn das Auswechseln einzelner beschädigter Fenster kontraproduktiv. „Da die derzeitige Planung der Schulsanierung einen kompletten Rückbau der Stahlbetonfassade einschließlich Fenster vorsieht, ist eine vorgezogene Fenstererneuerung nicht sinnvoll“, hält er fest. Für die Übergangszeit gilt eine Minimallösung: Mit dem Schulamt habe man sich darauf verständigt, „pro Klassenraum zwei Fenster gang- und schließbar herzustellen“, berichtet Benn. Doch eine mehrjährige Wartezeit auf die Bewilligung von Geld für die Gesamtreparatur hatte im Bezirk eben niemand auf der Rechnung.
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Dass die bereits 2014 geplante Modernisierung des Gymnasiums im Europasportpark im ersten Anlauf nicht zustande kam, begründet Benn mit bürokratischen Widrigkeiten. So sei zwischenzeitlich eine Neuplanung nötig gewesen, „da zwischenzeitlich die Standards für Schulbau gravierend überarbeitet worden waren“. Mit Beginn der Berliner Schulbauoffensive traten „neue Verfahrensabläufe“ und ein „neues Bedarfsprogramm“ in Kraft. So wartet die Problemschule am Velodrom in Prenzlauer Berg seit über sechs Jahren auf die beschlossenen Bauarbeiten. Eine weitere Verschiebung um drei bis vier Jahre scheint auch den Bauexperten im Bezirk unzumutbar.
Initiative „Schule muss anders“ will Hilfe von Pankower SPD-Abgeordneten

Für die Familien-Initiative „Schule muss anders“ ist klar, wozu die Verschiebung solcher Baumaßnahmen in die zweite Hälfte des Jahrzehnts führt: „Vollere Klassen, mehr Stress und Lärm, weniger Räume für Förderangebote oder Teilungsgruppen und weniger Gesundheitsschutz.“ Erschwernisse, die Familien im boomenden Nord-Ost-Bezirk nicht hinnehmen wollen. Ziel des Protestzugs vom Bahnhof Pankow durch den Florakiez wird das Büro des SPD-Abgeordneten Torsten Schneider, von dem sich der Tross der Eltern Unterstützung erwartet.
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