Gentrifizierung

Wie sich Kreuzberg zwischen Luxus-Loft und Hinterhof bewegt

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Andrea Huber

Foto: © JÖRG KRAUTHÖFER / JÖRG KRAUTHÖFER

Steigende Mieten und immer größere Touristenscharen. Berlin-Kreuzberg hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Studenten der FU haben den Wandel für eine Ausstellung dokumentiert.

In „Schwarz zu blau“ rappte Peter Fox drastische Zeilen über die Gegend rund ums Kottbusser Tor: „Ich seh die Ratten sich satt fressen im Schatten der Dönerläden. Stapf’ durch die Kotze am Kotti, Junks sind benebelt.“ Der Song von 2009 spiegelt das Image des Kiezes, doch der verändert sich gerade rapide. „Mich hat erstaunt, wie massiv dieser Wandel ist, er ist das große Thema im Kiez“, sagt Geografie-Professorin Felicitas Hillmann, die mit sieben Studierenden von der Freien Universität Trends der Stadtentwicklung im Kreuzberger Quartier aufgespürt und für die Dauerausstellung im Friedrichshain-Kreuzberg Museum dokumentiert hat. Vernissage ist am heutigen Mittwochabend.

Für Hillmann stellt sich Kreuzberg „wie ein Laboratorium der Stadtentwicklung dar, wo sich zugespitzt Prozesse abspielen, die wir auch aus anderen Städten kennen. Zu beobachten ist eine von Investoren gesteuerte Entwicklung.“ Wie die Anwohner den Gentrifizierungs-Prozess – inklusive des Austauschs eines großen Teils der Mieter – erleben, haben die Studierenden rund um den Kotti durch Befragungen sowie die Auswertung statistischer Daten herausgefunden. „Wir haben ganz verschiedene Welten kennengelernt, von schicken Künstler-Lofts bis zu sehr einfachen kleinen Wohnungen war alles dabei“, erzählt Studentin Marika Schroeder. Neben großer Offenheit erlebten die Studenten bei den Befragungen auch gereizte Reaktionen und Ablehnung – viele Kiezbewohner sind verunsichert.

Die Entwicklung der Mieten ist ein Gradmesser für die steigende Attraktivität des Viertels und für den Stand der Gentrifizierung. Im untersuchten Gebiet – Postleitzahl 10999 – kletterte die Kaltmiete bei Neuvermietungen zwischen 2008 und 2013 um 56 Prozent auf durchschnittlich 9,50 Euro pro Quadratmeter. Es gebe „extreme Miet- und Wohnkostensteigerungen“, so die Studierenden. Das Mietenthema beschäftigt die Anwohner besonders stark, haben sie festgestellt. „Wir in Kreuzberg sind jetzt dran. Die anderen Bezirke sind schon durch. Die ganze Stadt wird vermarktet“, so äußert sich ein Kiezbewohner.

Immer mehr Touristen

Ehrlich zeigte sich auch ein Neuvermieter, der 2009 ein Wohn- und Geschäftshaus im SO36 gekauft hat: „Die Sache sehe ich langfristig, ich will das Haus auf absehbare Zeit behalten und nicht als Eigentumswohnungen einzeln verkaufen, auch wenn ich gerade sehr viel Geld verdienen könnte.“ Derzeit reichen seine Mieteinnahmen für Zinsen und Instandhaltung. Auch der Hausbesitzer ist überrascht, in welchem Tempo die Preise bei Neuvermietungen derzeit in Kreuzberg nach oben gehen: „Das wird die Sozialstruktur in der Gegend verändern.“ Bei der studentischen Erhebung gaben 48 Prozent der Befragten an, dass sie erst nach 2008 in den Kiez gezogen sind – ein Beleg für die Dynamik des Wandels.

Als Problem sehen viele Anwohner, dass in den vergangenen Jahren viele Ferienwohnungen im Kiez entstanden sind – legale und illegale. „Wenn da alle zwei bis drei Tage neue Leute sind, ist das kein gutes Wohngefühl“, sagt die Mitarbeiterin eines Cafés. Immer mehr Reiseführer, so ergab eine Auswertung der Studenten, verweisen auf immer mehr Hotspots in Kreuzberg – auch das steigert das Interesse der Touristen an der Gegend. Von 2005 bis 2011 gab es bei der Zahl der Übernachtungen in Friedrichshain-Kreuzberg ein Plus von 80 Prozent, insgesamt lag sie bei 2,8 Millionen. „Wir haben einen immensen Zustrom von Touristen. Es ist schon zu viel. Das kann dieser Stadtteil gar nicht mehr auffangen“, beklagt eine Mitarbeiterin des Vereins Kotti e. V. das Verschwinden kleiner Läden mit Handwerk und die „Monopolisierung der Kulturlandschaft“.

Zahl der Gewerbetreibenden wächst

Die Zahl der Gewerbetreibenden in Friedrichshain-Kreuzberg wächst – seit 2006 um 45 Prozent: 2013 gab es 48.000 Betriebe. Bei den Gewerbean- und abmeldungen im untersuchten Kreuzberger Gebiet sind Unternehmer mit Migrationshintergrund in der Mehrheit, und es gibt eine starke Fluktuation. Die Vorstellung, dass vor allem Gemüseläden den Kern „migrantischer Ökonomie“ darstellen, entlarvt Hillmann als überholt. Die von Migranten gegründeten Unternehmen seien in vielen Branchen und „Teil einer städtischen Dienstleistungsgesellschaft“.

Für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gilt: Die meisten Betriebe und Unternehmen zählen zur Branche der wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen. Auch der Handel – insbesondere Kfz-Betriebe – ist im Bezirk stark, dahinter folgen Kunst-, Unterhaltungs- und Erholungsgewerbe. Die Gegend um den Oranienplatz punktet mit einem breiten gastronomischen Angebot, am Erkelenzdamm haben die FU-Studenten eine bunte Szene aus Handwerkern, kreativen Künstlern und Dienstleistern erlebt.

Flüchtlingscamp ist „Kreuzberger Besonderheit“

Ein Viertel von rund 70 Befragten engagiert sich nach eigenen Angaben für den Kiez. Ein großes Thema ist für sie das Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz, das viel Unterstützung erfährt – „eine Kreuzberger Besonderheit“, so Hillmann. Ein positives Beispiel für das Zusammengehörigkeitsgefühl im Kiez sind auch die erfolgreichen Prinzessinnengärten am Moritzplatz, in denen es kein Eigentum gibt und jeder zum Mitgärtnern eingeladen ist. „Der Garten lebt vom Engagement der Nachbarn und aller Freiwilligen“, erzählen die Studierenden.

Am Ende steht für das FU-Team deshalb trotz aller Veränderung fest, dass es „die typische Kreuzberger Mischung nach wie vor gibt“. Trotz zunehmender Attraktivität gilt der Bezirk weiter als Quartier mit sozialen Problemen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, 2010 waren in der nördlichen Luisenstadt, zu der das Kottbusser Tor gehört, 37,8 Prozent der Erwerbsfähigen von Transferleistungen abhängig. Was muss die Politik in dieser Situation tun? Anthropogeografin Hillmann, die zurzeit an der Kölner Universität tätig ist, hält das Tempo, in dem die Mieten steigen, für zu hoch. Sie setzt auf Partizipation der Anwohner: „Die Menschen müssen die Chance bekommen, die Veränderungen im Quartier mitzugestalten.“ Und: „Künstler und Kreative können dazu beitragen, ein Viertel zu stabilisieren.“ Das zeige die Erfahrung im Quartier.

Eine Art Liebeserklärung an den Kotti-Kiez ist ein weiteres Ergebnis der FU-Umfrage – nur 16 Prozent der Befragten planen danach einen Wegzug aus dem Kotti-Kiez. Eine Anwohnerin sieht den Wandel denn auch mit einer Portion Gelassenheit: „Der Kiez hat sich schon immer verändert. Alle fünf, sechs Jahre häutet sich Kreuzberg eben.“