Das dicke B an der Spree, wie die Band Seeed ihre Heimat liebevoll und doch mit der nötigen Körperlichkeit des Raggamuffin nennt, scheint am ersten ihrer vier Konzerte in der Wuhlheide bereits komplett anwesend zu sein. Von überall her strömen die Menschen über die unbeleuchteten Wege durch das dunkle Dickicht, bis sie in den letzten Sonnenmomenten schließlich im Halbkreis des Amphitheaters ankommen. 17.000. 17.000 einzelne Menschen, die sich entscheiden, ein Konzert zu besuchen. Am nächsten Tag werden wieder 17.000 kommen. Und an dem danach auch. Sogar der vierte Tag der Seeed-Konzerte ist ausverkauft.
Es ist fast ein bisschen unheimlich, im Schein des orangefarbenen Bühnenlichts die Handpaare in der Stärke einer Kleinstadt in akzentuierten Vierten pistolenhaft aufeinander schlagen zu hören. Seeed remixen ihren Song „Dickes B“, ihren ersten Hit von 2001, mit M.I.A.s „Paper Planes“, eben diesem Song mit dem charakteristischen Bang, Bang, Bang, Bang. Der Nachladesound erklingt, die Schüsse hallen durch die Wuhlheide, aber es sind Freudenschüsse. Pyramidenartig, auf Podesten, ist die Band auf der ganzen Bühne verteilt.
Shaken bis zum Morgen
Lediglich die drei Sänger nutzen die ganze Tiefe des Raumes. „Wir shaken, was wir haben bis morgens sieben Uhr/ woanders gibt’s ne Sperrstunde, bei uns die Müllabfuhr“, rappen Peter Fox, Boundzound und Dellé, das Dreigestirn der Band, das Lebensgefühl der jungen Stadtbewohner heraus, während sie in wohlarrangierten, ausladenden Schritten den Tanz coolen Club-Dudes tanzen.
Elf Leute, die exakt spielen, die in jedem noch so abrupten Übergang der Stücke - es gibt so viele, die M.I.A-Versatzstücke, die Justin-Timberlake-Sequenz, der Jay-Z-und-Kanye-West-Teil - ohne ein erneutes Einzählen den genau geshakten Hüftschwung nicht verlieren, das ist musikalische Perfektion. Sascha Ring, der Techno-Virtuose von Apparat und Moderat steht ganz oben und blickt auf das Meer der Reggae-Dancehall-Wellen, die durch die Körper gehen. Am Anfang des Monats war er mit Moderat auf dem Sonne-Mond-Sterne-Festival in Thüringen. Dort sah er drei Stücke von Seeed, die ebenfalls dort spielten.
Mit Speck fängt man Mäuse
Und auch ihm fiel das auf, wie ineinander verzahnt die Musiker von Seeed spielen. Wie der Bass das Fundament legt, die Bläser darüber schweben, wie Fox und seine zwei Gesangspartner die springenden Animateure geben, wie der Off-Beat der A- und G-Akkorde das Kopfwackeln angibt, wie jeder seinen Platz hat und wie von den Hunderttausenden von Watt der Riesen-Anlage befeuert, sich ein unfassbar großes Feier-Inferno entwickelt.
„Ein Stück haben wir noch, das hat vier Buchstaben. D! I! N! G!“, ruft Fox vor der Zugabe. Er trägt wie immer den Anzug des Pimps, der es zu etwas gebracht hat. Und anschließend, unter dem nach Zugabe lechzenden Applaus, fordert er doch tatsächlich auf, den Speck zu schütteln. „Mama, zeig' mir Dein Gepäck/ Baby, komm' schüttel Bug und Heck/ Perle, Dein Tisch ist gut gedeckt/ Schüttel Deinen Speck“. Und obwohl Seeed-Fans keineswegs dick sind, der Speck wird geschüttelt, was das Zeug hält. Mit Speck fängt man Mäuse. In vier Tagen fangen Seeed ganze 68.000.