Berlin . Eine Studentin hatte im März mit weiteren Aktivisten der Letzten Generation das Grundgesetz-Denkmal mit einer Flüssigkeit übergossen.
Die Freude stand der Angeklagten und ihrem Verteidigungsteam am Dienstag förmlich ins Gesicht geschrieben. Fast sah es gar so aus, als würden sie in den Jubel mit einstimmen wollen, der im Amtsgericht Tiergarten nach Verkündung des Urteils von den Zuschauerbänken aus durch den Saal brauste. Die 29-jährige Paulin F., die nachweislich an einer Aktion der Klimaaktivstengruppe Letzte Generation im März teilgenommen und damals die Kunstinstallation „Grundgesetz 49“ nahe des Reichstagsgebäudes mit schwarzer Flüssigkeit bestrichen hat, ist freigesprochen worden. Die Kosten für ihre Verhandlung - in einem hoch umstrittenen Schnellverfahren zumal - trägt nun die Staatskasse.
Die Entscheidung hatte sich bereits im Vorfeld abgezeichnet. Sogar die Staatsanwaltschaft plädierte auf Freispruch und sah den Tatbestand der gemeinschädlichen Sachbeschädigung nicht als erwiesen an. Zum einen sei das Kunstwerk bei der Aktion nicht zerstört worden, zum anderen seien die entstandenen Spuren der Flüssigkeit nicht erheblich und vor allem nicht dauerhaft gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Die verwendete Mischung aus Leim und Farbe, die Erdöl symbolisieren sollte, sei vielmehr leicht abwaschbar gewesen. Es ist ein Urteil, das noch für Gesprächsstoff sorgen dürfte.
- Themenseite: News & Hintergründe zur Letzten Generation im Überblick
- Newsblog: Aktuelle Informationen zu Blockaden der Letzten Generation in Berlin
- Kolumne: Die Letzte Generation ist ein Fall für den Psychiater
- Inkognito: Psychologin schleust sich ein – Vernichtende Einblicke
- Blockaden: Schmerzgriff gegen Klimaaktivisten – Was darf die Polizei?
- Notwehr: Darf man Aktivisten der Letzten Generation von der Straße ziehen?
- Hintergrund: Letzte Generation: Wie finanzieren sich die Klimaaktivisten?
Letzte Generation: Angeklagte sieht die Aktion als „politisch-künstlerische Performance“
Denn die umstrittene Protestaktion, an der im März sechs Aktivisten beteiligt gewesen waren, hatte damals ungewohnt heftige Reaktionen über Parteigrenzen hinweg zur Folge gehabt. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zeigte sich erschüttert. Die Kunstinstallation „Grundgesetz 49“ des israelischen Künstlers Dani Karavan besteht aus neun jeweils rund drei Meter hohen Glasscheiben, in denen die 19 Grundrechtsartikel des Grundgesetzes mit Laser eingraviert sind.
Die Angeklagte selbst, eine Kunststudentin, sah die Tat indes als eine Art „politisch-künstlerische Performance im öffentlichen Raum“ an. Solche Aktionen im Kollektiv habe sie bereits zuvor mehrfach ausgeübt - allerdings immer, wie sie selbst zugab, außerhalb der Strafbarkeit. Der Letzten Generation habe sie sich nach einem Urlaub angeschlossen, an der die sommerliche Hitze und Trockenheit vor Ort sie fassungslos zurückgelassen habe. Ihre Bedrücktheit gegenüber der Klimakrise habe sie durch ihre Mitarbeit bei den Klimaaktivsten in nützliche Bahnen lenken wollen.

Künstlerinnen und Künstler sollten ihrer Meinung nach dabei viel stärker als bisher auch politisch Stellung beziehen. In diesem Sinne wolle sie auch die Aktion am Reichstagsgebäude als Teil der Kunstfreiheit verstanden wissen. „Kunst findet heute vielfach in Wohlfühlzonen statt, ist ein Luxusgut geworden und interessiert nur noch gewisse gesellschaftliche Zirkel“, so die Angeklagte. Denkmäler wie das am Bundestag hätten daher kaum noch gesellschaftliche Relevanz und wenig bis gar keine Interaktion mit „echten Menschen“.
Restaurator: Regen hätte die Farbe abgewaschen
Durch die Aktion sollte das Grundgesetz-Denkmal wieder „aktiviert“ und in Bezug zu seiner relevanten Protestbewegung gebracht werden. „Viele Menschen werden das Kunstwerk erst durch unsere Aktion kennen“, sagte die Angeklagte. Und: „Jede Kunst wird bedeutungslos in einer Welt, die brennt.“
Eine Argumentation, der das Gericht allerdings nicht folgen wollte. Ausschlaggebender war hier die Einschätzung des Restaurators, der zwei Tage nach dem Vorfall im Auftrag des Bundestags die Schäden begutachten und bereinigen sollte. „Die wenigen Farbreste wären auch durch den Regen wieder abgewaschen worden“, zeigte er sich überzeugt. Zudem sei das Kunstwerk durch eine vorhandene Schutzfolie nie ernsthaft in Gefahr gewesen, so der Restaurator.
Dennis Meischen