Berlin. „Das Beste für die Stadt“ ist das erste Papier überschrieben, das CDU und SPD nach dem ersten Tag der Koalitionsverhandlungen verabschiedet haben. Die Chefverhandler beider Parteien zeigten sich am Donnerstagnachmittag in seltener Einigkeit über die Bewertung der Verhandlungen: Professionell, lösungsorientiert, überraschend zügig und schnell fortschreitend sei die erste Runde verlaufen, waren sich CDU-Chef Kai Wegner und CDU-Generalsekretär Stefan Evers sowie die Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und der Landesvorsitzende Raed Saleh (beide SPD) einig.
Wegner bedankte sich bei der SPD für die guten Gespräche, Giffey gab den Dank für eine professionelle Verhandlungsrunde zurück. CDU und SPD wollen dafür sorgen, dass Berlin an allen Stellen funktioniert, vertrauensvoll zusammen regieren und den Klimaschutz vorantreiben, heißt es in dem achtseitigen Papier.
Die CDU setzt eine Ausweitung der Video-Überwachung in Berlin durch
Um das zu Erreichen sind beide Seiten einen Schritt aufeinander zu gegangen: Die CDU macht beim Wahlalter 16 und dem Rückkauf der Fernwärme mit, die SPD gibt der CDU bei neuen Modellversuchen zur Videoüberwachung nach. Es gelte, nicht das Rad neu zu erfinden, sondern auf Prozesse aufzubauen, die der gegenwärtige Senat auf den Weg gebracht hat, sagte Giffey. Viele Vorhaben des gegenwärtigen Senats werden demnach fortgeführt. Dennoch sieht Wegner ein klares Signal für einen Neubeginn. „Ich glaube felsenfest an einen Neustart“, sagte Wegner.
Dem ersten verabschiedeten Papier zufolge, das den insgesamt 13 Arbeitsgruppen als Leitfaden für ihre Verhandlungen in den kommenden drei Wochen dienen soll, ist verabredet, einen Schwerpunkt auf die Verwaltungsreform zu legen. Dabei soll auf die bereits auf den Weg gebrachten Schritte des Chief Digital Officers Ralf Kleindiek aufgebaut werden.
Das Berliner 29-Euro-Ticket wollen CDU und SPD über Ende April hinaus beibehalten
Die Schulbauoffensive soll fortgeführt und die Lehrerausbildung ausgebaut werden. Auch das 29-Euro-Ticket, soll nach Möglichkeit über den 30. April hinaus erhalten bleiben, wohl aber nicht nahtlos, wie Giffey einräumte. Dazu müssten noch Verhandlungen mit dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) geführt werden. Die Wirtschaft soll durch die Entbürokratisierung der Vergabeverfahren unterstützt werden.
Allerdings steht der neuen Landesregierung dafür nicht so viel Geld zur Verfügung wie den Vorgängerregierungen. Die Unterstützungsprogramme für Corona- und Energiehilfen haben die finanziellen Spielräume eingeschränkt, sind sich CDU und SPD einig. „Wir haben nicht nur wenig Zeit für Vieles, sondern auch wenig Geld für Vieles“, sagte Evers, auch mit Blick auf die mit dreieinhalb Jahren kurze Zeit bis zu den kommenden Wahlen.
Über eine Bebauung des Tempelhofer Feldes soll in Arbeitsgruppe geredet werden
Dennoch will auch ein CDU-SPD-Senat am Neubauziel von jährlich 20.000 Wohnungen festhalten und Mieterinnen und Mieter wirksamer als jetzt schützen. An der kostenfreien Bildung von der Kita bis zur Uni will der künftige Senat nichts ändern, das bereits von der aktuellen Landesregierung beschlossene Mietenkataster soll nun endlich auch kommen. Andere Themen, wie die von der CDU gewünschte Randbebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof, spart das erste Papier der Koalitionsverhandlungen aus. „Ich muss Beschlüsse der SPD zur Kenntnis nehmen“, sagte Wegner.
Die SPD hatte sich mit knapper Mehrheit auf einem Landesparteitag gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes ausgesprochen. Man werde behutsam vorgehen, so Wegner. Der designierte neue Regierende Bürgermeister favorisiert eine Volksbefragung, um die Stimmungslage der Berlinerinnen und Berliner bei der Frage der Bebauung des Tempelhofer Feldes abzufragen. Allerdings ist eine solche Befragung von oben in der Verfassung nicht vorgesehen. Damit soll sich die entsprechende Facharbeitsgruppe beschäftigen.
Streitpunkt Kopftuch entschärft: Neutralitätsgesetz soll angepasst werden
CDU und SPD kamen zudem überein, das Berliner Neutralitätsgesetz so anzupassen, dass etwa Kopftücher muslimischer Lehrerinnen an allgemeinbildenden öffentlichen Schulen nicht mehr grundsätzlich untersagt sein dürfen. Die Regeln sollten gerichtsfest an die geltende Rechtssprechung angepasst werden. Der Streit über das Berliner Neutralitätsgesetz gilt als ausgeurteilt, seit das Bundesverfassungsgericht im Januar diesen Jahres eine Beschwerde des Senats gegen eine frühere Entscheidung des Bundesarbeitsgericht nicht zur Verhandlung angenommen hatte.
Das Bundesarbeitsgericht hatte 2021 einer klagenden muslimischen Frau eine Entschädigung zugesprochen, weil ihre Bewerbung in den Berliner Schuldienst abgelehnt worden war. Sie sei wegen ihrer Religion diskriminiert worden, stellten die Richter fest.
Ein Kopftuchverbot an Schulen könnte künftig nur in begründeten Einzelfällen möglich sein, etwa wenn der Schulfrieden konkret und belegbar gestört würde. Kriterien für solche Fälle müssten die Koalitionspartner in spe in den kommenden Monaten erarbeiten. Solange es solche Kriterien nicht gibt, gehen Juristen davon aus, dass grundsätzlich alle Bewerberinnen mit Kopftuch auch eingestellt werden müssten. Experten gehen aber nicht von einer kurzfristig hohen Zahl von angehenden Lehrerinnen mit Kopftuch aus.
Giffey und Saleh wollen die Schwarz-Rot-Kritiker in den eigenen Reihen überzeugen
Den Forderungen des Volksentscheides zur Enteignung großer Wohnungskonzerne wollen CDU und SPD mit einem „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ nachkommen, das erst nach einer gerichtlichen Überprüfung in Kraft treten soll.
Giffey und Saleh sagten zu, die Kritiker aus den eigenen Reihen vom Sinn einer gemeinsamen Koalition mit der CDU überzeugen zu wollen. Vor allem die Jungsozialisten kritisieren das Vorgehen der Parteispitze scharf und wollen ein entsprechendes Bündnis nach Möglichkeit verhindern. Mit Neukölln hat auch der SPD-Heimatkreis von Franziska Giffey sich bereits gegen ein Bündnis mit der CDU ausgesprochen, wie auch die SPD in Steglitz-Zehlendorf. „Es gibt auch Skeptiker“, räumte Giffey ein. „Aber es gibt auch einen Vorstandsbeschluss der SPD.“ Sie glaube, am Ende die Mitglieder überzeugen zu können. Saleh verwies auf die laufenden Gespräche. Wenn am Ende viele Ziele der SPD in einem Koalitionsvertrag verabredet werden können, werde die Mehrheit der Sozialdemokraten dem Ergebnis zustimmen. „Es geht darum, die besten Ideen für die Stadt zu finden“, sagte Saleh. Am kommenden Mittwoch trifft sich die Dachgruppe von CDU und SPD erneut, dann soll die Präambel des Koalitionsvertrages formuliert werden.