Berlin. Freunde werden sie wohl nicht mehr. Kollegen sind sie, die sich gegenseitig schätzen. Auch Weggefährten aus gemeinsamen Züricher Zeiten. Sicher werden sie sich höflich begrüßen in der Alten Försterei, an diesem Sonnabend, wenn der 1. FC Union im Topspiel des dritten Bundesliga-Spieltages um 18.30 Uhr (Sky) Borussia Dortmund empfängt.
Aber richtige Freunde? Dafür sind Urs Fischer, Trainer des Aufsteigers aus Berlin, und Lucien Favre, Coach des selbsternannten Meisterschaftsanwärters aus dem Ruhrpott, zu unterschiedlich. Und sie haben zu viel miteinander erlebt.
Dass sich die Wege der beiden Trainer erst im deutschen Fußball wieder kreuzen, vor einem Jahr bereits im DFB-Pokal, nun in der Bundesliga, unterstreicht auch den Werdegang, den beide eingeschlagen haben. Und es ist ein Beleg für die unterschiedlichen Charaktere der zwei Schweizer.
Urs Fischer wird für Bodenständigkeit geschätzt
Hier Urs Fischer, zu Profizeiten gern als kratzbürstiger Verteidiger umschrieben, einer aus dem Volk, nahbar und nicht zuletzt deshalb auch perfekt passend zu Union, seiner ersten Auslandsstation. Zuvor feierte er beim FC Zürich, FC Thun und FC Basel Erfolge in der Schweiz. Mehr ist in der Schweiz kaum möglich.
Dort Lucien Favre, als offensiver Mittelfeldspieler gern als elegant bezeichnet, der Kreative, der schnell der Schweiz entwuchs und über Hertha BSC, Borussia Mönchengladbach und OGC Nizza im Sommer 2018 in Dortmund landete.
Fischer wird bei den Köpenickern nicht zuletzt wegen seiner Bodenständigkeit geschätzt, Favre in Dortmund vor allem für den Fußball, den er spielen lässt. Union-Präsident Dirk Zingler gefällt an seinem Trainer, „dass er ausgleichend wirken kann“. Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc sagt über Favre: „Er hat unserem Team eine klare Handschrift gegeben, wir haben einen Wiedererkennungswert.“
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Fischer rettete Lucien Favres Job in Zürich
Wie viel Freundschaft zwischen beiden tatsächlich nur möglich war, zeigt die einzige gemeinsame Zeit beim FC Zürich. Favre heuerte dort 2003 als Trainer an – und beendete als eine der ersten Maßnahmen die Karriere Fischers. Gern hätte der 37 Jahre alte Kapitän, die Klubikone, noch ein Jahr drangehängt, auch wenn Fischer immer wissen ließ, dass er mit dem Aus nie ein Problem hatte.
Doch Favres Start beim FCZ war desaströs, Schlusslicht nach dem ersten Saisondrittel. Prompt wurde Fischer vom damaligen Klubchef zum Teamcoach befördert. Um den Puls der Spieler zu fühlen, wie es hieß – und um Favre den Job zu retten. Es sollte gelingen.
Zwei Meisterschaften holte Favre mit Zürich, Auszeichnung genug, um der Schweiz zu entwachsen. Fischer, nach Favres Rettung dessen U21-Trainer, benötigte Meisterschaft und Doublegewinn mit Basel, um das Ausland auf sich aufmerksam zu machen.
Bei Hertha hospitierte Fischer unter Favre
Die subjektive Deutung jener Zeit zeigt das Verhältnis der Zwei zueinander. Favre habe eine „gute Erinnerung“ an Fischer, aber: „Wir haben nicht zusammengearbeitet in Zürich, doch als ehemaliger Spieler war er sehr oft da. Wir haben einen sehr guten Kontakt.“
Fischer offenbarte: „Wir hatten sehr intensiv zu tun, als wir noch beide in Zürich waren, danach sicher auch noch ein bisschen mehr Kontakt.“ Fischer hospitierte bei Hertha, als Favre dort Trainer war. „Der Kontakt wurde dann immer weniger“, so Fischer weiter, „ich glaube, das ist aber auch verständlich.“
Gemeinsam war bei beiden der Auftrag, mit dem sie ihre Engagements bei Union und in Dortmund angetreten sind. Beide sollten ihre Mannschaft in der Liga nach oben führen, Union in Liga zwei, der BVB in der Bundesliga.
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Favres Schwierigkeit, vom Titel zu sprechen
Die Aufgaben wurden gelöst, mit einem kleinen, aber feinen Unterschied. Fischer gelang es, mit seiner zurückhaltenden Art – was die Aufstiegsformulierung betrifft – die Mannschaft auf dem Weg in die Bundesliga zu halten.
Favres Weigerung, von der Meisterschaft zu sprechen, trug mit dazu bei, dass der BVB seinen Neun-Punkte-Vorsprung verlor und am Ende doch wieder dem FC Bayern den Vortritt lassen musste.
Die Zielsetzungen beider Klubs haben sich für 2019/20 logischerweise geändert. Union strebt nicht mehr als den Klassenerhalt an. Das wird auch von allen im Klub so kommuniziert. In Dortmund hat man die Meisterschaft auf die Agenda gehoben. Favre sagt dazu nur: „Wir wollen versuchen, Meister zu werden.“
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Favre lobt Fischers Mannschaften
Die Rollenverteilung am Sonnabend ist jedenfalls eindeutig. Außenseiter Union muss laut Fischer „einen sehr guten Tag erwischen und vieles richtig machen“ für einen (Teil-)Erfolg. Bei Favorit Dortmund (ohne Thorgan Hazard und Axel Witsel) warnt Favre vor einer Mannschaft, die „viel Power“ hat und dank Fischer „immer sehr gut organisiert“ ist.
Das Pokalspiel vom Oktober vorigen Jahres kann, so Fischer, nur bedingt als Mutmacher gelten, auch wenn Union dem BVB beim 2:3 nach Verlängerung bis zuletzt das Leben schwer machte. „Das ist etwas ganz anderes. Für uns war es im Pokal ein Highlight zum Alltag. Jetzt ist Dortmund alltäglich.“ Die Begegnung zwischen Fischer und Favre wird es nicht sein.
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