Das Bild ist eine Fälschung. Salomon Kalou hat ein bisschen getrickst. Zwei Stunden nach dem Abpfiff der Partie gegen Augsburg – also ziemlich genau zwei Stunden und zwei Minuten nach Kalous 1:0-Siegtreffer – postete Herthas Angreifer ein Photo auf Instagram. Es zeigt ihn beim Torjubel. Und Torjubel heißt bei Kalou nicht ausschweifendes Gekreische, sondern eher eine hochgezogene Augenbraue und ein Gesicht, das sagt: Wisst ihr doch. Ich kann so etwas.
Nur stammt jenes Bild nicht vom Sonnabend. Nicht die Augenbraue nach dem Augsburger K.o. in den Schlusssequenzen des Spiels ist zu sehen. Die bunten Sterne auf dem Trikot verraten Kalou. Hertha trug das Sonderdress nur ein einziges Mal: beim 1:0-Heimsieg gegen den VfL Wolfsburg in der Hinrunde. Auch damals traf Kalou. Auch damals jubelte er mit der Augenbraue.
„Ein guter Kampfgeist“
Aber jenes Photo erzählt trotzdem etwas über den Moment. Es zeigt nämlich den Ausgangspunkt einer Annäherung zwischen Spieler und Klub und kommt nun wieder hervor, da Kalou sich auf diesem Weg einen Schritt weiter vermutet. Gegen Wolfsburg hatte der 29-Jährige seinen ersten Treffer für Hertha erzielt. Nun gegen den FC Augsburg war es sein sechster. Dazwischen lagen zwar vier weitere Tore, aber auch Monate voller Missverständnisse.
„Man muss Spaß am Spiel haben – und am Kämpfen“, sagte Kalou. „Den haben wir jetzt wieder. Wir haben einen guten Kampfgeist.“ Vom Kampf war viel die Rede bei Hertha nach dem seltenen Glücksmoment gegen den FCA. Aber vom Kampf sprach man zuvor in dieser zähen Spielzeit selten im Zusammenhang mit Kalou. Falsche Bilder gab es nämlich viele in Berlin: Der Klub hatte vor Saisonbeginn ein falsches von der eigenen Stärke, die meisten Beobachter ein falsches von Kalou, und der Ivorer selbst ein falsches von sich.
Der Afrikaner passte nicht in Luhukays Spiel
Als Jos Luhukay und Michael Preetz den Stürmer im August des vergangenen Jahres dem OSC Lille für 1,8 Millionen Euro abkauften, dachten der damalige Trainer und der Manager, einen nahezu identischen Torjäger zum abgewanderten Adrian Ramos verpflichtet zu haben. Das war ein Trugschluss, weil Ramos sich nicht nur als Angreifer sah, sondern auch als erster Verteidiger.
Aber Kalou hatte ja auch die Etikette dabei, schon einmal die höchsten Weihen des europäischen Fußballs erlangt zu haben: den Champions-League-Titel. Einen Star habe man da an Land gezogen. Allein die dazugehörige Mannschaft hatte man nicht. Hertha rutschte schnell in den Abstiegskampf und spielte einen destruktiven und sicherheitsorientierten Fußball. Darin fand sich Kalou nie zurecht, was deshalb komisch war, weil er einst unter Trainer José Mourinho beim FC Chelsea in einem ähnlichen Stil funktionierte. Aber in London war er auch kein Star.
Dardai tätschelt statt triezt
Luhukay nahm Kalou aus der ersten Elf, was ihm nicht nur viel Kritik von den Fans, sondern auch von Kalou einbrachte. Um einen „großen Spieler“ wie ihn müsse man eine Mannschaft aufbauen, fand Kalou. Er aber hatte die schlechtesten Zweikampfwerte im Team und bewegte sich zu wenig. Eine Mannschaft im Abstiegskampf, fand Luhukay, könne sich so einen Spieler außerhalb der Reihe nicht leisten.
Pal Dardai ist das Problem anders angegangen. Luhukays Nachfolger hat Kalou seit seiner Berufung vor dreieinhalb Wochen getätschelt statt getriezt. Nach dem Sieg gegen Augsburg sagte der Ungar: „Wegen mir kann Salomon nur drei Ballkontakte im Spiel haben. Aber er muss knipsen.“ Stürmer seien nun einmal „Künstler“. Und Künstler brauchen Freiräume und Vertrauen, um ihre Kunst zu entfalten.
65 Prozent mehr gewonnene Zweikämpfe
Kurioserweise hat Dardai damit erreicht, was Luhukay immer wollte: Kalou hat sein eigenes Starempfinden abgestreift und sich seinem Team angepasst, das diese Saison nur im Kampf unbeschadet übersteht – und nicht in der Kunst.
Seit Dardai da ist, hat Kalou drei Spiele bestritten: gegen Freiburg, Wolfsburg und nun Augsburg. Sein Zweikampfwert aus jenen Partien liegt bei durchschnittlich 37,33 Prozent. Das ist eine Steigerung von 65 Prozent zu seinem Durchschnittswert aus den 13 Spielen davor unter Luhukay (22,6 Prozent).
Zieht man Kalous Laufleistung heran, illustriert sich sein neuerlicher Einsatzwille ebenso deutlich: Vier Mal ließ Luhukay Kalou über die vollen 90 Minuten spielen. Durchschnittlich 9,52 Kilometer lief der Afrikaner in jenen Partien. Dardai gewährte ihm dagegen zweimal in drei Partien die gesamte Spielzeit. Kalou legte 10,81 Kilometer pro Spiel zurück. Das ist eine Steigerung von 13,5 Prozent. Der Künstler scheint zum Kampf gefunden zu haben.
13,5 Prozent mehr Kilometer gelaufen
„Der Trainer bringt einen neuen Geist rein – einen kämpferischen Geist“, sagte Kalou. Dardais erstes Anliegen war, den Aufwand seiner Mannschaft auf dem Feld deutlich zu erhöhen. Kalou steht vorerst für das Gelingen jenes Unterfangens. In jedem Spiel der vier Partien unter Dardais Leitung ist Hertha mehr gelaufen als der Gegner. In drei davon gewannen die Berliner mehr Zweikämpfe. Beides war in der Hinserie unter Luhukay sehr selten zu sehen.
Nun war es in der gesamten Saison aber auch immer so, dass bei Hertha gute Spiele stets von schlechten abgelöst wurden. Deshalb sagte Preetz: „Wir haben ein Spiel gewonnen, nicht mehr, nicht weniger.“ Bei Hertha hoffen sie, dass das Bild diesmal nicht täuscht.