Handball

Die WM ist die zweite Chance für Christian Prokop

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Björn Goldmann
Bundestrainer Christian Prokop (r.) kann wieder auf die Unterstützung seines Teams bauen.

Bundestrainer Christian Prokop (r.) kann wieder auf die Unterstützung seines Teams bauen.

Foto: Tilo Wiedensohler / imago/Camera 4

Handball-Bundestrainer Christian Prokop will nach eineinhalb turbulenten Jahren bei dieser Weltmeisterschaft durchstarten.

Berlin.  Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, auch zum Stift greifen zu müssen. Doch als die deutsche Handball-Nationalmannschaft vor dem Auftaktspiel der Weltmeisterschaft in Berlin am Donnerstag gegen ein vereintes koreanisches Team (18.15 Uhr, ZDF) eine öffentliche Trainingseinheit absolvierte, schrieben nicht nur die Nationalspieler Uwe Gensheimer, Andreas Wolff und Silvio Heinevetter im Anschluss Autogramme. Auch die Handschrift Christian Prokops war gefragt. Der Bundestrainer setzte also Unterschriften auf Trikots und Bälle. Die Vorfreude auf die WM war ihm in diesem Moment anzusehen, seine Augen leuchteten. Christian Prokop lächelte, wie er es häufig dieser Tage tut, er wirkt locker und selbstbewusst. Was keine Selbstverständlichkeit ist.

Eineinhalb turbulente Jahre liegen hinter dem 40-Jährigen. Turbulente Monate, wie sie wohl noch kein Handball-Bundestrainer vor ihm erlebt hat. Die Geschichte der Amtszeit von Christian Prokop ist eine von Erwartungen, von Enttäuschungen und eine vom Neubeginn. Sie lässt sich am besten in drei Abschnitte unterteilen: vor, während und nach der Europameisterschaft 2018 in Kroatien.

Der DHB zahlte eine Rekord-Ablösesumme

Als es Dagur Sigurdsson Anfang 2017 nach Japan zog, dauerte es nicht lange, bis der Deutsche Handballbund (DHB) einen Nachfolger für den Europameister-Trainer von 2016 präsentierte: den eher unbekannten Christian Prokop, damals Trainer des Bundesligisten SC DHfK Leipzig. Akribischer Taktiker, versiert in der Arbeit mit jungen Spielern, erfolgshungrig - DHB-Vizepräsident Bob Hanning hatte seinen Wunschkandidaten.

Um Prokop aus seinem Vertrag zu lösen, überwies der DHB 500.000 Euro nach Leipzig - eine im Handball bis dahin unvorstellbare Summe für einen Trainerwechsel. Die Vertragsdauer: fünf Jahre - eine kleine Ewigkeit. „Das ehrt mich, dass mir so viel Vertrauen entgegengebracht wird. Auf der anderen Seite weiß ich auch um die Verantwortung“, sagte Prokop. Etwas nervös und steif wirkte der Mann mit dem abgeschlossenen Lehramtsstudium in Fernsehinterviews, aber auch voller Tatendrang. In Anlehnung an Hoffenheims ebenfalls taktikbesessenen Fußballtrainer wurde er zum „Julian Nagelsmann des Handballs“ ernannt. Schon vor dem offiziellen Amtsantritt im Juli 2017 herrschte Aufbruchstimmung, die mit der dominant beendeten EM-Qualifikation Nahrung erhielt. Was sollte da noch schiefgehen?

Der 40-Jährige bezieht seine Spieler jetzt mehr mit ein

Es ging eine Menge schief bei der ersten Bewährungsprobe. Und der Gesichtsausdruck und das Verhalten des Bundestrainers spiegelten dies in der für das deutsche Team nur zwei Wochen dauernden Europameisterschaft wider. Ob seine Eltern auch vor Ort seien, wurde er zu Beginn gefragt. „Sie sitzen auf der Tribüne“, sagte Prokop lächelnd. Wenige Tage später waren erneute Fragen zu diesem Thema tabu. „Kein Kommentar, das ist Privatsache“, sagte der gebürtige Köthener nun mit versteinerter Miene, nachdem sein Team eine durchwachsene Vorrunde gespielt hatte und erste Unstimmigkeiten erkennbar wurden. Kreisläufer Hendrik Pekeler sollte später zugeben: „Es gab Reibereien.“

Zu sehr versuchte der Bundestrainer, seine Spieler in sein System zu zwängen, statt dieses an den Stärken der Spieler auszurichten. „Wir haben dem Druck nicht standgehalten“, gab er den Tränen nahe nach dem Hauptrunden-Aus zu. Der Spitzname „Bad Boys“, von der Mannschaft bis dahin kultiviert, ist seitdem Geschichte. Erst nach einer fast drei Wochen andauernden Diskussionsphase stand fest, dass Prokop bleiben darf. Auch, weil DHB-Vizepräsident Bob Hanning im gegensätzlichen Fall seinen Rücktritt angekündigt hatte. Prokop erhielt eine zweite Chance.

Über eine Job-Garantie will niemand sprechen

Doch wie schnell kann man sich ändern? Als Mensch? Und auch als Trainer? Mit dem Beginn der WM-Vorbereitung setzte Christian Prokop auf eine neue Herangehensweise: mehr Offenheit, mehr Gespräche, mehr Spaß. Vergangenen Sommer ging es nach Japan, um den Zusammenhalt zu stärken. Prokop telefoniert seitdem häufiger mit seinen Profis. „Ich ziehe die erfahrenen Spieler mehr in Entscheidungen ein“, sagt er. Widerspruch gibt es von Spielerseite nicht. „Die Stimmung war noch nie so gut“, sagt Kreisläufer Patrick Wiencek. „Wir haben Schritte aufeinander zugemacht. Er bringt seine Forderungen besser rüber, wir setzen sie besser um“, sagt auch Torhüter Andreas Wolff.

Gespräche mit einem Mentaltrainer hier, ein Austausch mit Weltmeistertrainer Heiner Brand dort - es sind mehrere Stellschrauben, an denen der 40-Jährige in den vergangenen Monaten gedreht hat. Er hat alles daran gesetzt, die Mannschaft optimal auf diese WM einzustellen. Auf die Frage nach einer Job-Garantie für den Bundestrainer im Falle eines erneuten Scheiterns wollte Bob Hanning aber nicht antworten. Nur so viel: Der DHB-Vizepräsident wolle ab Donnerstag begeisternden Handball sehen. Und die Handschrift des Trainers im Spiel erkennen.

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