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Ukraine-Krieg: Warum Russland Kamikaze-Drohnen einsetzt

| Lesedauer: 6 Minuten
Miguel Sanches
Mit iranischen Drohnen kommt die Angst nach Odessa

Mit iranischen Drohnen kommt die Angst nach Odessa

Es war ruhiger geworden in Odessa. Vorbei der ständige Beschuss mit russischen Raketen, sogar die Sandsäcke zum Schutz der historischen Gebäude sind größtenteils verschwunden. Doch nun greift Russland die südukrainische Hafenstadt mit iranischen Drohnen an und versetzt die Bewohner in Angst und Schrecken.

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Russland setzt im Ukraine-Krieg so genannte Kamikaze-Drohnen ein. Klein, billig, tödlich. "Made in Iran". Sind sie ein "Gamechanger"?

Berlin. Aus der Ferne fliegt die Drohne heran und schwebt über mehrere Gebäude. Wenig später: Eine Explosion erschüttert Kiew, Feuer bricht aus. Luftalarm. Solche Videos kursieren gerade in sozialen Netzwerken.

Nicht jedes ist überprüfbar. Doch in der Gesamtschau gibt es keinen Zweifel: Die russischen Streitkräfte setzen im Ukraine-Krieg verstärkt Kampfdrohnen ein.

Die Verteidiger sind oft hilflos. In der ARD-"Tagesschau" war am Montag zu sehen, wie Streifenpolizisten in Kiew mit ihren Pistolen versuchten, eine Drohne abzuschießen.

Es soll sich um "Schahed 136"-Drohnen aus dem Iran handeln. Die Russen nennen sie "Geran-2". Sie gelten als Einweg- oder Kamikazedrohnen, weil sie sich auf ein Ziel stürzen und es mit ihrem Gefechtskopf zerstören. Es ist in etwa so, als würde ein Artilleriegranate einschlagen, freilich mit einer höheren Präzision.

Ukraine-Krieg: Die iranischen Drohnen sind schwer zu orten

Westliche Geheimdienste sind sich seit Juli sicher, dass Russland Hunderte gekauft und weitere 2000 bestellt hat. Der Iran bestreitet das. Der zweifelsfreie Beweis – was die Amerikaner eine "Smoking Gun" nennen – fehlt, was sich aus Äußerungen des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell schließen lässt: "Wir werden nach konkreten Beweisen für die Beteiligung suchen."

Der von den Russen verwendete Drohnentyp wird von einem Propeller am Heck angetrieben. Die Drohne ist 180 bis 240 km/h schnell, hat eine Spannweite von 2,5 Metern und ein Gewicht von 200 Kilogramm. Ihre Reichweite wird ungenau mit "mehrere Hundert Kilometer" angegeben. Gestartet wird sie von einem transportablen Gestell. Ihr Ziel kann sie per Autopilot erreichen oder per Fernsteuerung.

Ukraine-Krieg: Mit Billigdrohnen gegen westliche High-Tech-Waffen

Sie ist schwer zu orten, da sie sehr tief fliegt. Wenn viele gleichzeitig angreifen, in Kiew wurden an einem Tag 28 Drohnen gezählt, stoßen die Verteidiger an Grenzen. Die Ukrainer schießen viele ab, bisweilen jede zweite.

Natürlich gibt es effektive Verteidigungssysteme. Das IRIS-T-System aus Deutschland ist hochmodern. Nur kostet es 140 Millionen Euro, eine iranische Drohne hingegen schätzungsweise 20000 Dollar. Es wäre ruinös, wenn Russland mit Billigwaffen die Ukraine zwingt, millionenteure westliche Raketen abzufeuern.

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Die Ukraine bräuchte mehr Hilfe bei der Luftabwehr, insbesondere von den Israelis. Sie haben die größte Erfahrung bei der Abwehr iranischer Drohnen. Aber sie scheuen davor zurück. die Ukraine auszurüsten.

Die Nato hat der Ukraine in der vergangenen Woche versprochen, "in Kürze" Jammer zu liefern: Elektromagnetische Störsender. Sie sollen die Funkverbindung zwischen Drohne und Steuerungsgerät blockieren. Einfach und kostengünstig.

Aus ähnlichen Motiven forciert Israel die Entwicklung von Laserwaffen, nachdem die Palästinenser mit billigen Raketen es dazu gebracht hatten, einen aufwendigen Schutzschirm aufzuspannen: den "Iron Dome". Nach erfolgreichem Test twitterte Ministerpräsident Naftali Bennett, "es mag wie Science-Fiction klingen, aber es ist real". Es sei das weltweit erste energiebasierte Waffensystem, das einen Laser verwende – zu Kosten von nur 3.50 US-Dollar.pro Schuss.

Ukraine-Krieg: Kiew setzte früh auf Drohnen, auch auf Kamikaze-Drohnen

Die "Schahed 136" sind die Antwort auf die High-Tech-Waffen der Amerikaner. Die Iraner bauen sie mit einfachsten Komponenten in einer Industrieanlage. Entscheidend ist, dass sie große Mengen zu geringen Stückkosten herstellen.

Es ist naheliegend, dass die Russen sich damit eindeckten, weil sie nach Ansicht des Hamburger Militärexperten Hans Krech "auf dem Gebiet der Drohnenentwicklung ein Entwicklungsland" sind. Sie haben weder die Produktionskapazitäten für die Massenherstellung noch das Know-How, um mit den USA, China oder Israel mitzuhalten. Sie sind zum Beispiel nicht in der Lage, Drohnen durch eine Cloud zu verbinden; und ganze Schwärme teilautonom einzusetzen.

Die "New York Times" berichtet, dass der Iran eigens Ausbilder abgestellt hat, um das russische Militär bei der Bedienung iranischer Drohnen zu schulen. Sie sollten den Russen helfen, Probleme mit der aus Teheran erworbenen Drohnenflotte zu bewältigen.

Wenn der ukrainische Generalstab behauptet, 1276 Drohnen abgeschossen zu haben, waren es überwiegend Aufklärungsdrohnen des Typs STT Orlan-1; die zumeist die Artillerie zu unterstützen. Umgekehrt hatte die Ukraine früh erkannt, wie tödlich effizient Drohnen im modernen Krieg sind.

Sie hat schon vor dem Krieg türkische Bayraktar-Drohnen gekauft und mit dem Hersteller eine gemeinsame Firma gegründet. Dass die Ukraine zum Friedhof russischer Kampfpanzer wurde, geht auch auf diese Drohne zurück.

Die Ukrainer besitzen ebenfalls Kamikaze-Drohnen: Die Switchblade 300 und 600 aus den USA. Das 300er-Modell ist nur knapp drei Kilo schwer und kann binnen 15 Minuten aufgebaut werden. Kostenpunkt: 70.000 Dollar. Anders als die iranischen Drohnen, die nach Angaben aus der Ukraine "wie eine Kettensäge oder ein Motorroller" klingen, ist die Switchblade leise, da sie von einem Elektromotor angetrieben wird.

Ukraine-Krieg: Sind die iranische Drohnen nur eine Notlösung?

Es kann sein, dass die Russen verstärkt auf iranische Drohnen setzen, weil ihnen die Raketen ausgehen, wie der britische Geheimdienst spekuliert. Oder: Aus ökonomischem Kalkül auf Billigwaffen zurückgreifen, "um den Verteidiger ökonomisch auszuhöhlen", wie es Burkhard Meißner vom German Institute for Defence and Strategic Studies in Hamburg für möglich hält.

In jedem Fall kopieren sie die Kriegsführung der Ukraine. Es ist zweifelhaft, ob die Drohnen das Kriegsgeschehen auf breiter Front verändern werden. Sie sind eher kein Gamechanger. Aber sie eignen sich für Schläge auf die zivile Infrastruktur. Als Terrorwaffen sind sie zum Fürchten..

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.morgenpost.de.