Was hat man der Sopranistin nicht alles für Ehrentitel verliehen: Sie sei die slowakische Nachtigall, die Königin der Koloraturen oder die Primadonna assoluta. Tatsächlich ist Edita Gruberová die amtierende Königin des dramatischen Belcantos. Aber auch Herrscherinnen müssen auf der Bühne wie im Leben irgendwann ihre Macht weitergeben. Gruberova, die am 23. Dezember ihren 72. Geburtstag feiert, verabschiedet sich am heutigen Montag mit einem Sonderkonzert von der Deutschen Oper.
Es gibt eine lange Verbindung und viele Verehrer im Berliner Publikum. Die Charlottenburger Oper war für Edita Gruberová seit ihrem Hausdebüt als Lucia vor 38 Jahren stets ein Ort der Triumphe. „Selten hat Berlin in den letzten Jahren eine Sängerin so ausgezeichnet wie Edita Gruberová in der Premiere von Donizettis ,Lucia di Lammermoor‘ in der Deutschen Oper“, war nach ihrem Debüt vom 15. Dezember 1980 in der Berliner Morgenpost zu lesen. Und weiter: „Die schlichte Tatsache allein schon, dass da nach vielen mageren Monaten und Jahren endlich wieder eine Sängerin auf der Berliner Opernbühne stand von jenem Weltformat, wie man es sich eigentlich für Berlin siebenmal die Woche erhofft, brachte das Publikum schier aus dem Häuschen.“
Zuletzt feierte sie ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum
Es erinnert daran, dass es seinerzeit in West-Berlin nur das eine Opernhaus gab und sich manch namhafter Künstler scheute, in die Frontstadt zu kommen. Seit dem Fall der Mauer sind die drei Opernhäuser für alle zugänglich, Weltstars gehen ein und aus. Bei Gruberovás Hausdebüt war die Situation grundlegend anders. Unser Musikkritiker Klaus Geitel befand damals, sie singe geradeaus, schlankweg und ohne künstlerischen Umschweif drauflos, und sie könne es sich leisten. „Gleich ihre erste Arie singt die Gruberová mit gesunden Tönen, die von perlender Robustheit zeugen. Romantisch ist die Gruberová nicht für fünf Pfennig“, so der Kritiker. Als Lucia kehrte sie die folgenden Jahre regelmäßig an die Deutsche Oper zurück. Zu den Highlights gehörten die konzertanten Aufführungen der „Norma“ und der „Lucrezia Borgia“ im vergangenen Jahrzehnt. Ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum feierte der Belcanto-Star im Winter 2017 mit Sonderkonzerten.
Mit dem heutigen Sonderkonzert schließt sich der Kreis. Das Programm wird vom Haus damit beworben, dass die Diva noch einmal die wichtigsten Facetten ihrer Kunst zeigen will. Es reicht von der Koketterie der Rosina in Rossinis „Barbier“ über die Weltentsagung der romantischen Heldinnen Bellinis bis zur Transzendenz der Koloraturkunst in der Wahnsinnsarie der Ophélie in Ambroise Thomas’ „Hamlet“. Selbstredend wird die Sängerin vom Orchester der Deutschen Oper begleitet und verabschiedet. Edita Gruberová ist 1946, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, in Bratislava geboren – als Tochter des deutschstämmigen Gustav Gruber. Ihre Mutter gehörte zur ungarischen Minderheit in der Slowakei. Musikalisch wurde sie in ihrer Geburtsstadt ausgebildet, erste Erfolge hatte sie in der slowakischen Provinz, der Durchbruch begann Ende der 60er-Jahre in Wien. „Ein Sänger muss immer wissen, was er zu leisten hat“, sagte sie mir vor einigen Jahren bei einem Gespräch in München. Ihr Name steht für eine kontinuierliche Lebensplanung mit zwei Töchtern und Karriere. Was auch den jetzigen Abschiedsritus einschließt. Strenge Arbeitsregeln hatte sie sich von Anbeginn auferlegt. Sie führt selber Buch über ihre Partien und Auftritte. Dem haftet vielleicht etwas Altmodisches an, aber die Gruberová hat auch über Jahrzehnte hinweg die Moden des Musikbetriebs an sich vorbeiziehen lassen. Die Gruberová war irgendwie immer die Gruberová. Von Diventum und Skandalen keine Spur. Interviews hat sie übrigens in ihrer Karriere relativ wenige gegeben. Fotoshootings, Shoppen und PR seien nichts für sie, sagte Edita Gruberová.
Den Erfolg bezeichnete sie als Geschenk. Wenn sie spricht, wird schnell ihre humorvolle Bescheidenheit deutlich. Ihre bodenständigen Weisheiten hat sie an ihre Schüler weitergegeben. Zum Beispiel: Tenöre müssen nicht immer schreien. Oder man könne leiser singen, wenn das Orchester nicht spiele. Es gehe nicht nur um die schönen Töne, betonte sie, sondern um das Erlebnis. „Aber im Belcanto lässt es sich schlecht schwindeln. Jedes kleine Kratzerchen auf der Stimme hört man sofort. Deshalb sind eine klare Linie und klare Technik wichtig. Es muss immer strömen.“
Die Sängerin trägt ihr Herz auf der Zunge
Edita Gruberova gehört zu jenen, die ihr Herz auf der Zunge tragen, sie kann auf der Bühne wie auch im Gespräch immer nur die Wahrheit verkünden. Vielleicht spricht sie deshalb so ungern öffentlich, weil zu viel Wahrheit auch im Opernbetrieb manchmal unpassend ist. Für mich war sie der erste Weltstar, der freimütig darüber gesprochen hat, wie einsam eigentlich ein Sängerdasein ist. Wie erschöpft und euphorisch man am Ende der Vorstellung ist, und wie tief man anschließend fällt und lange nicht einschlafen kann. Und dann vorm Hotelfernseher sitzt.
„Sänger sind Gejagte“, sagte sie mit Blick auf die ständigen Sängerwechsel um sie herum. Viele Karrieren enden viel zu schnell wieder. Mit dem Gedanken an den Abschied von der Bühne spielt sie schon seit Jahren. Wenn sie aufhöre, scherzte sie, „dann, weil ich nicht mehr meinen Koffer packen möchte. Das macht mich wirklich wahnsinnig.“
Deutsche Oper, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 34 38 43 43, am 10.12.2018 um 19 Uhr