Nicht einmal 50 Zentimeter groß, über 3300 Jahre alt und nach Schätzungen 400 Millionen Euro wert ist die sagenumwobene Büste der Nofretete. Vor knapp 100 Jahren hat der Berliner Archäologe Ludwig Borchardt die ausnehmend gut erhaltene, bunt bemalte Plastik aus Kalkstein und Gips entdeckt.
„Farben wie eben aufgelegt, Arbeit ganz hervorragend“, notierte Borchardt in sein Tagebuch. „Beschreiben nützt nichts. Ansehen.“ Der Berliner ist sofort fasziniert von der Büste, die er am 6. Dezember 1912 nachmittags in der mittelägyptischen Ruinenstadt Tell el-Amarna ausgegraben hatte.
Immer noch zieht die geheimnisvolle Figur zahlreiche Betrachter in ihren Bann. Die majestätische Präsentation im Nordkuppelsaal des Neuen Museums in Berlin tut ein Übriges. Jedes Jahr zieht es eine Million Besucher zu Nofretete. „Die Faszination liegt in der ungeheuren Lebendigkeit“, sagt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger: „Bei der Betrachtung hat man das Gefühl, die Backenknochen bewegen sich, so lebensnah ist das.“ Der Finanzier von Borchardts Ausgrabungsexpedition, James Simon, schenkte die Königinbüste 1920 dem Ägyptischen Museum, das heute zur Stiftung gehört.
Seit ihrer Ausgrabung hat die Dame eine wahre Odyssee hinter sich. Auf der Berliner Museumsinsel scheint sie nun ihre Ruhestätte gefunden zu haben. Zwar hatte Ägypten seit Jahrzehnten immer wieder Rückforderungsansprüche laut gemacht, doch seit dem „Arabischen Frühling“ sind sie leiser geworden.
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Nicht aufgehört haben die Spekulationen um ihre Person. Nofretete („Die Schöne ist gekommen“) lebte im 14. Jahrhundert v. Chr. und war die Hauptgemahlin des ägyptischen Königs Echnaton. Beide sorgten in Ägypten maßgeblich für eine Kulturrevolution, durch die der Monotheismus zeitweilig Einzug in die pharaonische Gesellschaft hielt. „Nofretete war dem König im Rang fast gleichgestellt, befand sich stets an seiner Seite“, ist sich der Ägyptologe Hermann Schlögl sicher. Aber war sie nicht nur die Mutter von sechs Töchtern, sondern auch vom späteren Pharao Tutenchamun, bevor sie im Alter von 35 Jahren bei einem Unfall auf einem Streitwagen starb?
Das Geheimnisvolle, das Nofretete umgibt, sorgt für den Kult, der nach Parzingers Einschätzung „mittlerweile eine gewisse Irrationalität“ erreicht hat. Daran sind ihre Entdecker und heutigen Hüter nicht ganz unschuldig, die ihren Schatz zunächst selber versteckten. Erst 1923 wurde die Ausgrabung der Öffentlichkeit präsentiert, gegen den Willen Borchardts. Der Archäologe, der eigentlich ein Architekt war, fürchtete wohl nicht zu Unrecht, dass er in den Verdacht des Kunstraubs geraten könnte.
Zwar dürften die Vorwürfe unberechtigt sein, Borchardt habe bei der damals üblichen Fundteilung die ägyptische Antikenverwaltung betrogen, die unter französischer Oberhoheit stand. Allerdings nutzte er es wohl aus, dass der zuständige Beamte nur Ahnung von Papyrusrollen hatte.
Weimarer Republik erwog Rückgabe
Schon bald nach der Erstpräsentation kam es dann auch zu Rückforderungsansprüchen. Noch während der Weimarer Republik erwog die Reichsregierung eine Rückgabe, auch der Ausgrabungsfinanzier James Simon plädierte für einen Eintausch der Nofretete gegen andere Kunstwerke. Selbst nach der Machtübernahme der Nazis gingen die Verhandlungen weiter, bis Hitler ein endgültiges Machtwort sprach: „Ich werde ihr ein Museum in Berlin bauen.“
Mit dem Zweiten Weltkrieg setzte dann für Nofretete die Odyssee ein: Um sie vor Bomben zu schützen, wurde sie zunächst in einen Berliner Flakbunker gebracht, danach in ein Thüringer Bergwerk. Von dort nahmen sie bei Kriegsende US-Soldaten mit nach Wiesbaden, wo sie 1946 erstmals unter hohem Besucherandrang wieder ausgestellt wurde. Später ging es zurück nach Berlin, wo die Büste erst in Dahlem und später am Schloss Charlottenburg der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Derweil erhob auch die DDR Besitzansprüche, Nofretete wurde zu einem Zankapfel des Kalten Kriegs.
Deutsche Besitzansprüche hinterfragt
Immer wieder bestand Ägypten unterdessen auf Rückgabe, zumal im Jahr 2003 eine Videoinstallation, bei der die Büste auf einen fast nackten Bronzekörper gesetzt wurde, in ihrer Heimat als obszön empfunden wurde. Vier Jahre später hinterfragte die Kampagne „Nofretete geht auf Reisen“ die deutschen Besitzansprüche.
„Was die Mona Lisa für den Pariser Louvre darstellt, ist für uns der Pergamonaltar und besonders die Nofretete“, untermauert demgegenüber Präsident Parzinger die Position der Stiftung: „Sie lockt Besucher an“. Museen bräuchten solche Kunstwerke, damit sie auf sich aufmerksam machen könnten: „Es ist unser wertvollstes Schaustück.“