Forscher sehen in der Königin eine der bedeutendsten Frauen in der Geschichte Ägyptens. In Berlin sorgte sie immer wieder für Streit.

Sie gehört zu den berühmtesten Skulpturen der Welt. Kaum ein anderes archäologisches Fundobjekt hat eine ähnliche Medienpräsenz. Die Museumsbesucher lieben sie, jedes Jahr lockt sie mehr als eine Million Menschen in das Neue Museum. In Berlin ist die Büste der ägyptischen Pharaonen-Gattin Nofretete („Die Schöne ist gekommen“) längst Wahrzeichen der Stadt.

Aber es gibt immer noch Rätsel um Nofretete, eine Fülle wilder Spekulationen, die zum Teil bizarre Formen angenommen haben. Beim Streit um die Büste ging es selten um Kunst, oft um politisches Gerangel. Die bizarren Verwicklungen, die dabei ans Tageslicht kommen, sind mitunter so spannend wie die archäologische Spurensuche selbst.

Neue Forschungserkenntnisse verdichten die Geschichte der sagenumwobenen Pharaonengattin nun mehr denn je. Und sie zeigen: Es ist längst nicht alles gesagt über die 3400 Jahre alte Porträtbüste. Der Altertumsforscher Hermann Alexander Schlögl hat Nofretete in seinem Buch „Die Wahrheit über die schöne Königin“, das am 30. August erscheint, zu einer Revolutionärin gemacht. In der Biografie schreibt er: „Nofretete war nicht nur die attraktive Dame an Echnatons Seite. Sie war, wie Inschriften aus der Tempelanlage Karnak zeigen, die treibende Kraft der kulturpolitischen Revolution von oben.“

Dem Altertumsforscher Schlögl geht es vor allem um eine klarere Festlegung des Stellenwerts der Königin an der Seite Pharao Echnatons, während der kurzen monotheistischen Aufwallung um die Gottheit Aton. An die Stelle der gewohnten, vielgestaltigen Gottheiten sollte dieser Aton treten als Lichtgestalt, als Gott der Sonne – eine für die Bevölkerung schwer vermittelbare und sehr abstrakte Größe, die Nofretete laut Schlögl aber maßgeblich missionierte. „Nofretete hat sich als aktive Dame hervorgetan. Ohne Einwilligung des Pharaos wäre dies natürlich nicht möglich gewesen“, sagte Schlögl Morgenpost Online. Eine bildliche Darstellung im Tempel, die sie auf dem königlichen Thron zeigt, während der Pharao neben ihr auf einem Schemel sitzt, so Schlögel, zeige die Struktur der Macht auf eine andere Weise.

Herkunft zweifelsfrei belegt

„Man kann Nofretete in einem neuen Licht sehen“, sagte Schlögl. Sie sei nun nicht mehr bloß die wunderschöne Frau an des Pharaos Seite; sie werde zu einem Menschen, der Einfluss nehmen wollte auf die damaligen religiösen und politischen Auffassungen. „Sie ist eine der bedeutenden Frauen in der Geschichte Ägyptens.“

Ohne Nofretete hätte es keine Kulturrevolution Echnatons gegeben. „Die Auffindung der Büste der Nofretete bei den Grabungen der Deutschen Orientgesellschaft in Amarna ist deshalb auch ein Meilenstein in der Historifizierung der Menschheitsgeschichte“, sagt Schlögl.

Auch Nofretetes Herkunft sei nun zweifelsfrei belegbar. „Sie ist die Tochter des Königs Aja. Ihre Mutter ist dessen Gemahlin Teje. Sie hat Echnaton sechs Töchter und einen Sohn geschenkt, nämlich Tutanchaton, der sich später Tutanchamun nannte. Dies alles ist humangenetisch gesichert und sollte nicht länger in Frage gestellt werden. Das wäre Zeitverschwendung.“

Schlögl widerspricht damit in Teilen den Darstellungen der ägyptischen Antikenverwaltung, die vor zwei Jahren – nach einer Prüfung des genetischen Materials aus den Mumien des Geschlechts – Zweifel geäußert hatte, ob denn Pharao Tutanchamun wirklich der Sohn Nofretetes gewesen sei.

Die spannenden Erkenntnisse Schlögls müssen übrigens nicht die letzten gewesen sein. 100 Jahre nach dem Fund der Büste arbeitet das Neue Museum zu Berlin an einer Sonderausstellung über die Ära Nofretetes. Dazu gehören Fundstücke, die bisher noch nie der Öffentlichkeit präsentiert worden sind. Aus diesem Anlass gibt es erstmals eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Funde – die eventuell weitere Geheimnisse der Königin ans Licht bringen werden. Zudem sind bereits neue Studien am Ausgrabungsort in Arbeit. Der englische Ägyptologe Barry Kemps und sein Grabungsteam suchen derzeit in Ägypten nach weiteren Erkenntnissen über die schöne Nofretete und ihren Gatten Echnaton.

Faszination nicht abgerissen

Die Faszination um Nofretete ist seit dem Fund ihrer Büste vor 100 Jahren nicht abgerissen. Dazu trägt auch der wundersame Weg bei, den die Königinnen-Büste nach Berlin nahm. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts leitete der deutsche Ägyptologe Ludwig Borchardt außerordentlich erfolgreiche Ausgrabungen. Von 1911 bis 1914 hatte die Deutsche Orientgesellschaft (DOG) eine Grabungskonzession für das südliche Areal der antiken Stadt Achet-Aton bei der heutigen Stadt Amarna. Achet-Aton war die Hauptstadt Ägyptens während der Regierungszeit von Echnaton und Nofretete. In diesem Bereich befanden sich mehrere Künstlerwerkstätten. Eine davon – die des Bildhauers Thutmosis – barg in einem Raum zahlreiche Modellbüsten, die als Vorbilder für Statuen dienen sollten. Unter den 7.000 bis 10.000 archäologischen Fundstücken dieser Grabungsphase befand sich auch die Büste der Nofretete, die am 6. Dezember 1912 geborgen wurde.

Unterstützt wurde Borchardts Projekt durch den Kunstmäzen James Simon. Im Rahmen der damals üblichen Fundteilung zwischen dem „Service des Antiqués“ in Kairo und den englischen und deutschen Ausgräbern, gelangten etwa 5.500 Objekte nach Berlin und gingen zunächst in Besitz des Financiers Simon. Simon ließ Kopien der wichtigsten Stücke anfertigen, um diese in seinem Haus aufzustellen; die Originale gab er, zunächst als Dauerleihgaben, an das Ägyptische Museum Berlin. 1920 wandelte er seine Leihgabe in eine Schenkung um. Drei Jahre später wurde die Nofretete der Öffentlichkeit zum ersten Mal gezeigt.

Seitdem musste die Büste zahlreiche Standortwechsel mitmachen: 1943 wurden viele Fundstücke des Ägyptischen Museums ausgelagert, die Nofretete-Büste kam in die Saline Kaiseroda im Harz. Dort wurde sie 1945, wie viele andere Objekte der Staatlichen Museen zu Berlin, von amerikanischen Truppen beschlagnahmt. Die Kunstgegenstände kamen erst nach Frankfurt am Main, dann in ein Zentrallager im Wiesbadener Landesmuseum. Dort wurden sie 1952 in einer Sonderausstellung präsentiert. 1956 ging die Nofretete mit anderen Amarna-Fundstücken nach Berlin zurück, zunächst ins Museum Dahlem. Vom 17. Oktober 1967 stand die Büste der Nofretete mehrere Jahrzehnte im Ägyptischen Museum im Östlichen Stülerbau am Charlottenburger Schloss. Von Februar bis August 2005 wurde die Büste in der Sonderausstellung „Hieroglyphen um Nofretete“ am Berliner Kulturforum Potsdamer Platz präsentiert.

Im August 2005 kehrte sie zurück auf die Museumsinsel Berlin und wurde bis Oktober 2009 im Obergeschoss des Alten Museums aufbewahrt. Zur Ikone der Berliner Museumslandschaft wurde die Nofretete mit der Eröffnung des Neuen Museums am 16. Oktober 2009, wo sie seither im Nordkuppelsaal ausgestellt ist.

Aktuell ruht der Streit

Begleitet wurden die Umzüge stets von Streit. Seit 80 Jahren gibt es Rückgabeforderungen aus Ägypten, allen voran von Zahi Hawass, dem Chef der Antikenverwaltung. Er ist von jeher der Auffassung, Borchardt habe die Verantwortlichen in Kairo – damals die französische Kolonialveraltung – mit unlauteren Mitteln hinters Licht geführt. Berlin verteidigt sein Glanzstück bisher jedoch erfolgreich – sämtliche Täuschungsvorwürfe werden vehement abgestritten.

Aktuell soll der Streit um die Büste allerdings ruhen. Die Direktorin des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung, Frederike Seyfried, betont, es gebe für die Nofretete keine offizielle Rückgabeforderung Ägyptens. „Immer wieder werden spekulativ Themen hoch gekocht“, sagt sie. „Ich bin dreimal in Ägypten gewesen in letzter Zeit und habe auch mit dem Antikenminister gesprochen. Die Resonanz auf unsere Ausstellung ist sehr positiv.“ Allerdings sind im Rahmen der Sonderausstellung keine Leihgaben aus Kairo geplant – die Kollision mit dem Arabischen Frühling traf die Macher genau in der Planungsphase.