Am Kulturforum wird erstmals das große Gesamtwerk des preußischen Architekten und Beamten gezeigt

Das Berliner Kupferstichkabinett. Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg hat noch 15 Minuten zum Delegieren. „Komme gleich!“, ruft er ein Stockwerk höher. Die große Schinkel-Ausstellung eröffnet am Kulturforum. Wir machen einen Rundgang. Karl Friedrich Schinkel also, der preußische Star-Architekt, der freischaffende Künstler, Alleskönner, Familienvater und Hofbeamte unter Hohenzollernkönig Friedrich Wilhelm III. „Wir zeigen das ganze Spektrum des Universalgenies Schinkel“, sagt Schulze Altcappenberg. Wie Chronometer sind die Räume eingerichtet. Die Bilder und Gegenstände orientieren sich grob an der Biografie: ein Skizzenbuch aus Schinkels Jugendzeit, Spielzeug und Porträts seiner Kinder, Andeutungen der Einflüsse in der Frühphase, Bühnenarbeiten für die Oper Unter den Linden und das Schauspielhaus. „Die Reflexion über das Kunst- und Geschichtsverständnis der Schinkel-Zeit steht im Mittelpunkt“, sagt der Direktor.

Zentrales Element im ersten Abschnitt ist die große Rekonstruktion des mechanischen Schaubilds „Der Brand von Moskau“. Ein frühes Kino, das Schinkel in den Adventstagen 1812 mit Wilhelm Gropius in Berlin aufführt. „Lichteffekte und bewegte Kulissen – die Kinder von Gropius saßen unter der Bühne und zogen die Strippen – erzählen vom ersten Endspiel der Napoleon-Feldzüge“, sagt ein begeisterter Schulze Altcappenberg. Explosionen von Pulvertürmen wurden nachgeahmt. Dazu ein Moritat: „Liebes Publikum! Hier sehen Sie...“

Schinkels politische Aktualität

Die Moskauer Bevölkerung hatte aus strategischen Gründen zwei Drittel der Stadt verbrennen lassen. Das Winterquartier der Franzosen war verbrannte Erde. Die Wende in Napoleons Russlandfeldzug Ende August vor 200 Jahren. Die Nachricht vom Rückzug ging um die Welt. Wochen später ziehen französische Truppen in Lumpen durch Berlin. Heruntergekommen und übel zugerichtet. Die Zeitenwende ist spürbar, der zweite Aufstieg Preußens beginnt. Schinkels Bericht hatte Reportagecharakter und bediente eine emotional hoch aufgeladene, politische Aktualität. Und es zeigt Schinkels Fähigkeit, sich aktiv hineinzuschreiben in den Diskurs der Stadt. Vorbilder für das Diorama waren Kupferstiche und Beschreibungen. Immer stütze er sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, studierte Vorlagenwerke. „Das ganze Kontinuum von Geschichte, Jetzt und Morgen, das hat er immer sehr genau beobachtet. Warten Sie!“ Schulze Altcappenberg holt ein schwarzes iPhone aus der Hosentasche und findet darauf eine Notiz mit dem topaktuellen Schinkel-Zitat: „Überall ist man nur wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft, überall, wo man sich ganz sicher fühlt, hat der Zustand schon etwas Verdächtiges; denn da weiß man etwas gewiß. Also etwas, was schon da ist, wird nur gehandhabt, wird wiederholt angewendet. Dies ist schon eine halbtote Lebendigkeit. Überall da, wo man ungewiß ist, aber den Drang fühlt und die Ahnung zu und von etwas Schönem, welches dargestellt werden muß, da, wo man also sucht, da ist man wahrhaft lebendig.“ Es zeigt Schinkels Vorwärtsdrang, mit dem Wissen der Geschichte nach vorn zu arbeiten.

Wir nähern uns der Mitte der Ausstellung, Schinkel als Architekt Berlins, ein weißes Modell des Alten Museums. Im Hintergrund schleift der Modellbauer an einer Darstellung der Holzpfähle unter dem Gebäude, solche, die bei Grabungen an der Staatsoper gefunden wurden und dort den Bau behindern. „Schinkel stellte Ansichten her, Werbung für die eigene Arbeit. Postkartenartige Darstellungen, eine Vorwegnahme der Idee heutiger 3-D-Animationen.“ Schinkel wusste sich zu vermarkten, den Auftraggebern die Idee nahezubringen, kein abstrakter Entwurf, sondern die knallreale Botschaft: So muss es, nur so kann es aussehen.

Das Panorama des Lustgartens ist ein weiteres Bild mit kulturgeschichtlicher Mission. „Im Zentrum steht der Dom, die geistige Macht. Auf der rechten Seite die weltliche Ecke, das Schloss. Dann links, nur eben angeschnitten, das Militär. Und daneben das Bürgerliche, die Bauakademie.“ Es ist die Idee einer geschlossenen Welt, der wichtigsten Stützen der Gesellschaft. Ein politisches Programmbild von Architektur. Schinkel wetterte, trotz aller Faszination für technischen Höchststand, gegen die pure Funktionalität der neuen, industriellen Fabrikbauweise. Bei allem Respekt, den Schinkel für die Funktion hatte: Es gehört das Element von Geschichte und Poesie dazu. Dann die späten Entwürfe. Schinkels letzte Träume vom „Bauen, Bilden und Schauen“. Er will noch einmal zeigen, was er kann. Eine Ansicht für ein Schloss an der Krim: Unten, im Bauch des Gebäudes ein Museum, das tragende Fundament der Geschichte. Oben drüber ein Pavillon, Gegenwart und Fortschritt. Das alte Schinkel-Programm. Voll verglast bis an die Säulen ist die Schlossfront gezeichnet. Glas in diesen Größen wurde damals nur in Russland gegossen. „Hier, hat Mies van der Rohe gesagt, hatte er seine Idee für die Nationalgalerie, nämlich das Glas direkt in die Eisenträger zu bauen“, sagt Schulze Altcappenberg. Dann das letzte Bild, das Schinkel malte, 1839, vor seinen Schlaganfällen. Es war ein Geschenk an seinen Freund Christian Peter Wilhelm Beuth, den damaligen Industrieminister Preußens. Schinkel hat Beuth in Unerkennbarkeitsferne mit dessen Hunden und einem roten Hut gezeichnet. Schinkel selbst hat sich darin aufgelöst.

Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz. Tel. 2664 24242. Di-So 10-18 Uhr, Do bis 22 Uhr. Sa/So 11-18 Uhr. Bis 6. Januar