1. Der Start. Grund für die Luftbrücke – die komplette Versorgung der Vier-Sektoren-Stadt aus der Luft durch amerikanische, britische und französische Flugzeuge – war die Blockade der Landwege aus den West-Zonen durch die Sowjetarmee vom 24. Juni 1948 bis 11. Mai 1949. SED-Chef Wilhelm Pieck hatte im März 1948 bei Sowjetführer Joseph Stalin darüber geklagt, dass seine Partei bei den anstehenden Herbst-Wahlen zum Gesamtberliner Magistrat keine Aussichten habe gegenüber der im Westen etablierten SPD. Beide sahen, dass die Wahl zu SED-Gunsten nur zu manipulieren sei, wenn die West-Alliierten die Stadt verlassen hätten. Laut später gefundenen Protokollen sagte Stalin zu Pieck: „Lasst uns einen Versuch starten – vielleicht können wir sie hinausdrängen.“ Man entschied, die Straßenverbindungen zu blockieren, und setzte darauf, dass die Westmächte den Weg nicht freischießen, vielmehr West-Berlin aufgeben würden. Die Lage spitzte sich zu, als im Juni die neue D-Mark West auch in West-Berlin eingeführt wurde. Transitstraßen und der Mittellandkanal wurden gesperrt. Begründung: „technische Probleme“ und „dringender Reparaturbedarf“. West-Berlin war abgeschnürt. Die West-Alliierten starteten am 26. Juni 1948 die Versorgung aus der Luft, die „Luftbrücke“, drehten den Spieß um und setzten nun ihrerseits darauf, dass die Sowjets nicht auf die Flugzeuge schießen würden. Zu Recht. Damit hatte Stalin nicht gerechnet.
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2. Die Macher. Geht es um die Frage, wer die Luftbrücke an den Start gebracht hat, wird stets Lucius D. Clay genannt, der damalige Gouverneur der US-amerikanischen Besatzungszone nach dem Krieg. In der Tat war er es, der die Operation „Vittles“ (deutsch „Verpflegung“) auf der politischen Ebene leitete. So gab er den Befehl zu den ersten Transportflügen, noch ohne US-Präsident Truman zu informieren. Operativer Chef für die Abwicklung der Flüge aber war William H. Tunner, General der US Air Force. Nach Clay ist eine große Allee von Zehlendorf über Dahlem nach Schmargendorf benannt. Nach Tunner nur eine eher unbekannte Straße im südwestlichen Lichterfelde.
3. Das Vorbild. Tunner konnte sich bei Einrichtung der Luftbrücke nach Berlin auf seine Erfahrungen stützen, die er bei „The Hump“ sammeln konnte, der bis dahin einzigen ähnlichen Flugzeugtransportlinie. Sie verlief zwischen 1942 und 1945 von Indien in den Südwesten Chinas zur Versorgung der nationalchinesischen Truppen von Chiang Kai-shek. Die kämpften im Südwesten Chinas gegen die Kommunisten Mao Zedongs und die japanischen Invasionsarmeen. Der Luftweg von knapp 1000 Kilometern über 5000 Meter hohe Himalaya-Berge war der einzige Zugang zum besetzten und bürgerkriegserschütterten Land.
4. Die Flüge. Die genauen Verkehrsregeln für die Luftbrücke spielten sich erst nach ein paar Wochen ein. Eine Zäsur brachte der 13. August 1948. Über Berlin hatte sich bei dichten Wolken ein enormer Stau von Flugzeugen gebildet. Die Fluglotsen in Tempelhof (bei denen stets auch die Sowjets mit am Tisch saßen) verloren die Übersicht. Schließlich verunglückten drei Maschinen auf der Landebahn, eine brannte aus, Todesopfer gab es keine. Tunner – selbst in einem der Flugzeuge – orderte per Funk alle Flugzeuge zurück. Und gab neue Regeln aus. Ab sofort war nur noch ein Landeversuch gestattet, gelang der nicht, musste der Pilot wieder nach Westen abdrehen. Auch war nur Einbahnverkehr gestattet. Richtung Berlin im nördlichen (von Hamburg) oder südlichen Korridor (von Fulda), in Gegenrichtung nur noch im mittleren Korridor nach Helmstedt. Unterschiedlich schnelle Maschinen mussten auf verschiedene Höhen gehen.
5. Die Fracht. Über die genaue Tonnage und Anzahl der Flüge gibt es widersprüchliche Angaben. Wahrscheinlich waren es bei 277.500 Flügen über 2,1 Millionen Tonnen, davon 1,4 Millionen Tonnen Kohle, 487.000 Tonnen Nahrungsmittel. Zudem 53.000 Meter Uniformstoff und 15 VW Käfer für die West-Berliner Polizei, Spezialzucker für die Bienenvölker, Heu für 8947 Rinder, 4,5 Tonnen frisch gedruckte Geldscheine und Fleisch für die Blindenhunde. Auch wurden 60.000 Menschen ein- und 168.000 ausgeflogen. Anfangs wurden nur die Flughäfen Tempelhof und Gatow genutzt. Nach nur 90 Tagen Planung und Bau standen ab November auch Gebäude und Landebahn in Tegel zur Verfügung – mit 2,4 Kilometern die längste in ganz Europa. Auf der Havel landeten Flugboote.
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6. Die Stars. Zu regelrechten Legenden avancierten zwei Männer im Laufe der Luftbrücke. Einmal der Berliner SPD-Politiker Ernst Reuter, früher selbst begeisterter Bolschewist und 1921 kurzzeitig erster Sekretär der KPD (er hatte sich hierbei ausgerechnet gegen Pieck durchgesetzt). Nun, als eingefleischter Antikommunist, wandte er sich auf dem Höhepunkt der Blockade am 9. September 1948 vor 300.000 West-Berlinern mit seiner berühmten Aufforderung an die größte nur denkbare Öffentlichkeit: „Völker der Welt! Schaut auf diese Stadt!“ Seine Worte gehören zu den markantesten des 20. Jahrhunderts. Zum anderen der Pilot Gail Halvorsen. Sein Name wurde erst Jahrzehnte später so richtig bekannt. Doch er war es damals, der für den sofort populären Begriff „Rosinenbomber“ verantwortlich war. Ab dem 3. Dezember 1948 öffnete er bei seinen Landeanflügen auf Tempelhof stets das Seitenfenster und ließ an selbst gebastelten Fallschirmen Süßigkeiten herabsegeln auf die unten staunenden Kinder. Bald machten es ihm andere Piloten nach.
7. Die Energie. Mit das größte Problem für die Berliner war die Energieknappheit. Der Osten stellte den West-Berlinern Strom und Gas komplett ab. Die eigenen kleinen Kraftwerke hatten eine viel zu geringe Kapazität. Elektrizität – auch für die U-Bahnen – gab es nur noch stundenweise. Kohle wurde rationiert, Parkbänke verfeuert, und die Alliierten gaben den Befehl, in den Wäldern West-Berlins 100.000 Festmeter Holz zum Anzünden zu schlagen. Im – glücklicherweise milden – Blockadewinter kam der Plan auf, ein komplettes demontiertes Kraftwerk einzufliegen. 195 Tonnen davon kamen an, bis Ende der Blockade aber eben nicht alles.
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8. Die Landbrücke. Hermetisch abgeschlossen war West-Berlin keineswegs. Die Mauer stand ja noch nicht. Viele West-Berliner holten sich aus dem Umland offen oder verdeckt Gemüse und andere Lebensmittel, auch Kohle und Brennholz. Die Ost-Berliner Behörden regierten nicht durchgehend einheitlich darauf. Setzten sie doch darauf, dass sich die West-Berliner Bevölkerung in Richtung Osten orientierte. Auch konnten sich in den ersten Wochen einzelne beladene Lkw aus den West-Zonen auf verschlungenen Wegen nach West-Berlin durchschlagen. Darüber hinaus gab es an mehreren Stellen im Bereich der (noch offenen) Grenzen Schwarzmärkte mit Ost-Waren, insbesondere um den Potsdamer Platz. Oft gab es dort Ärger mit Vopos bis hin zu Schießereien. Im Lauf der Blockade ließ die SED an vielen Straßenübergängen feste Sperren errichten, doch Schleichwege fanden sich weiterhin. Die meisten dieser Barrieren wurden nach Ende der Blockade wieder entfernt.
9. Die Opfer. Auch über die Zahl der Todesopfer bei den Hunderttausenden Flügen gibt es unterschiedliche Angaben. 85 Menschen starben wohl bei Unfällen während der Blockadezeit, Amerikaner, Briten, Franzosen und Deutsche. General Tunner sagte, die insgesamt 120 Unfälle entsprächen lediglich der Hälfte dessen, was bei der Anzahl von Flugstunden durchschnittlich zu erwarten gewesen sei. Der spektakulärste Vorfall war der Absturz eines „Rosinenbombers“ in das Dach eines Wohnhauses in der Friedenauer Handjerystraße. Beide Piloten kamen dabei um.
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10. Das Ende. Stalin musste im Frühjahr 1949 einsehen, dass er sich verkalkuliert hatte. Ost-Berlin und auch die Ost-Zone hatten selbst unter den unterbrochenen Wirtschaftsbeziehungen zum Westen zu leiden. Und der erhoffte Abzug der West-Alliierten blieb eine Illusion. Im April ließ General Tunner mit seiner „Oster-Parade“ zur Show noch einmal die Muskeln spielen. Innerhalb eines Tages wurden mit 1398 Flügen und 12.849 Tonnen Fracht demonstrativ alle Rekorde gebrochen. Konsultationen zwischen Amerikanern und Sowjets führten zum Ende der Blockade. Am 12. Mai waren alle Land- und Schiffsverbindungen zwischen den West-Zonen und West-Berlin wieder offen. Zur Sicherheit hielten die West-Alliierten die Logistik noch aufrecht und beendeten die – nun verhaltener verlaufende – Luftbrücke erst am 30. September 1949. Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus hatten am 5. Dezember 1948 nur in den West-Sektoren stattgefunden. Nach dem überwältigenden SPD-Sieg zog Ernst Reuter als Regierender Bürgermeister ins Rathaus Schöneberg ein. Berlin war geteilt.