Berlin. Noch bis 8. November läuft in der ARD die aufwändige Serie „Babylon Berlin“, die Verfilmung des ersten Gereon-Rath-Krimis von Volker Kutscher. Da erscheint am Dienstag schon der neue, mittlerweile siebte Roman dieser Buchreihe. Mit jedem Buch, das im historischen Berlin spielt, geht der Autor ein Jahr weiter und erzählt neben einem spannenden Krimifall auch, wie langsam der Nationalsozialismus in den deutschen Alltag dringt. Mit „Marlow“ ist Kutscher nun im Jahr 1935 angekommen. Wie sieht Volker Kutscher selbst die „Babylon Berlin“-Serie, die sehr frei mit seiner Vorlage umging? Und wie schwer war es bei all dem Medienhype, sich auf den neuen Roman zu fokussieren? Wir haben den Erfolgsautor, der immer in Berlin recherchiert, aber weiter in Köln lebt, gesprochen.
Herr Kutscher,gucken Sie donnerstags eigentlich „Babylon Berlin“ im Fernsehen?
Volker Kutscher: Ich habe beide Staffeln schon nach Fertigstellung sichten dürfen und dann noch mal bei Sky gesehen. Jetzt schaue ich sie nicht noch mal, weil ich in meiner Romanwelt ja auch schon ganz anders unterwegs bin. Die Serie gefällt mir sehr, die drei Regisseure Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten machen das schon sehr gut. Ich habe die Rechte vertrauensvoll in deren Hände gegeben, weil ich mich auf mein Romanprojekt fokussieren musste, das noch lange nicht abgeschlossen ist.
Die Serienmacher haben Ihren ersten Krimi „Der nasse Fisch“ aber sehr frei adaptiert und Figuren auch stark verändert. Die Figur der Charly etwa ist ganz andere und heißt konsequent auch Lotte. Finden all diese Veränderungen Ihr Okay? Oder murrt man da als Autor schon mal?
Es gab schon Gründe, die Figur Lotte zu verändern, dass man sie ins proletarische Milieu versetzt hat. So kann man das Mietskasernen-Elend nicht nur von außen zeigen. Und sie ist von Anfang an eine Hauptfigur. In den Romanen ist Charly erst im dritten Band auf Augenhöhe mit Rath. Die Serie ist ein eigenständiges Kunstwerk, das seine eigene Welt schafft. Ich kann mit beiden Welten gut leben. Auch die Serie bringt das unters Volk, was mir am Herzen liegt: den Zerfall der Weimarer Republik aus Sicht der Zeitgenossen zu erzählen, ohne Wissen um die spätere Entwicklung.
Ihre Bücher waren schon sehr erfolgreich. Aber werden Sie jetzt durch diese Serie anders wahrgenommen? Hat das noch mal eine andere Dimension bekommen?
Natürlich. Aber es gibt ja noch viel mehr Adaptionen, es gibt Hörbücher, einen Comic und auch ein Hörspiel zu „Der nasse Fisch“. Es ist schön, dass dadurch noch mal ganz andere Menschen auf das Thema gestoßen werden, die ich allein mit den Romanen vielleicht nicht erreicht hätte. Und der Erfolg kam ja zum Glück auch nicht über Nacht. Ich habe mir schon mit den Romanen eine beachtliche Lesergemeinde erschrieben, und auch mit der Verfilmung ging es ja Schritt für Schritt. Als Tom Tykwer sagte, er wolle das machen, gab es gewisse Erwartungen, aber dass es so groß werden und solch einen Hype auslösen würde, hätte damals wohl niemand gedacht.
Die Serie wird bereits fortgesetzt. Wobei die Filmemacher aber klar gemacht haben, dass sie nicht so weit gehen wollen wie Sie.
Haben Sie das? Die Reihe macht jedenfalls wenig Sinn, wenn man vor 1933 stehen bleibt. Bis zu diesem Jahr muss man mindestens erzählen. Soweit ich weiß, wollen die Kreativen das auch. Die Frage ist nur, ob die Geldgeber, die bei einem solchen Projekt ja nicht unwichtig sind, so einen langen Atem haben.
Nach all dem Rummel um die Serie seit der Premiere vor einem Jahr: Mussten Sie sich davon auch wieder frei machen, um Ihren nächsten Rath-Krimi schreiben zu können?
Nein, gar nicht. Ich habe die beiden Welten von Anfang an strikt auseinandergehalten, und so überschneidet sich da eigentlich nichts. Ich bin ja mit meinen Figuren auch schon deutlich weiter, im Jahr 1935. Das ist schon rein historisch eine ganz andere Welt als die von 1929, in der die Serie spielt. Ich wusste selber nicht, wie das werden würde, aber zu meiner großen Erleichterung habe ich festgestellt, dass sich die Bilder in meinem Kopf durch die Visualisierungen in keinster Weise verändert haben. So muss es auch sein.
Sie gehen mit jedem Ihrer Krimis ein Jahr weiter und lassen sie zu einem Reizdatum in jenem Jahr spielen. In „Marlow“ ist das der Reichsparteitag 1935. War von Anfang an klar, dass Sie dafür die Handlung von Berlin weg nach Nürnberg verlegen?
Als ich die Reihe vor Jahren konzipiert habe, habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Ich arbeite mich von Roman zu Roman voran, jetzt bin ich gerade dabei, mir erste Gedanken zu dem nächsten zu machen, der 1936 spielt. Da wird es um die Olympischen Spiele gehen, aber ich habe noch keine Ahnung, wie ich das dramaturgisch einbette. Manchmal bringt einen die Recherche auf Ideen, aber die eigentliche Geschichte entsteht immer erst beim Schreiben. Ich lasse mich selbst überraschen, wohin es mich treibt, so war das auch bei „Marlow“. Es war relativ schnell klar, 1935 muss der Reichsparteitag im Mittelpunkt stehen, schon weil dort die Nürnberger Rassengesetze beschlossen wurden. Außerdem wollte ich meinen Kommissar in ein Nazi-Massenspektakel schicken.
Rath gerät dabei sogar auf die Tribüne, auf der Hitler seine Rede schwingt. Ist das womöglich etwas zu dick aufgetragen?
Das hat mich sehr gereizt, ihn in diese Situation zu zwingen, in der er sich nicht sonderlich wohlfühlt.
Der Roman heißt „Marlow“ und ist die große Abrechnung mit dem König der Unterwelt, der Rath in allen bisherigen Fällen beschäftigt hat. Ist der große Gegenspieler damit weg oder wird er wiederkehren?
Aber Herr Zander, wir können doch nicht spoilern! Er überlebt, das muss reichen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dieses Damoklesschwert weiter über Gereon Rath schwebt.
Wie lange werden Sie Ihre Reihe eigentlich noch fortführen? Ursprünglich sagten Sie, bis 1936, dann haben Sie spekuliert, es könnte bis 1938 weitergehen.
Bis 1938, dabei wird es bleiben. Auch wenn ich noch nicht weiß, wieviel Romane ich dafür brauchen werde. Der nächste wird auf jeden Fall 1936 in die Olympischen Spiele eingebettet. Danach werde ich entscheiden, ob ich das Jahr 1937 auch noch beackere oder direkt ins Jahr 1938 gehe. Die Pogromnacht ist das Ereignis, das ich auf jeden Fall noch aufgreifen will. Weil dann klar wird, wohin es mit dem Deutschen Reich geht, dass es auf die Ermordung der Juden und auf den Krieg hinausläuft. Aber den Krieg selbst oder den Holocaust, die möchte ich nicht mehr schildern.
Wird man nicht müde, immer in diesem braunen Sumpf recherchieren zu müssen, der ja immer brauner wird?
Jein. Natürlich ist das unangenehm, sich über Jahre wieder und wieder mit diesem Thema auseinanderzusetzen. All diese Bücher zu wälzen, diese Blut- und Boden-Sprache zu ertragen. Andererseits ist es wichtig zu verfolgen, wie das langsam in den Alltag eindringt und diesen schließlich bestimmt. Das Dritte Reich hat sich ja mit unterschiedlicher Geschwindigkeit installiert, da wurde nicht 1933 ein Schalter umgelegt. Auch das will ich zeigen.
Als Sie die Krimireihe begannen, schien das ganz weit weg und sehr historisch. Jetzt haben wir einen Rechtsruck in Deutschland, Antisemitismus nimmt wieder zu. Ihre Bücher sind plötzlich erschreckend aktuell – hat sie das selbst überrascht?
Der erste Roman ist vor elf Jahren erschienen, da habe ich an eine solche Entwicklung nicht im Traum gedacht. Man sollte sich allerdings hüten, zu plumpe Parallelen zu sehen. Wir leben nicht im Jahr 1929, die wirtschaftliche Situation damals war ungleich dramatischer, das Elend können wir uns nicht ansatzweise vorstellen. Die Afd distanziert sich zwar erschreckenderweise nicht von den vielen alten und neuen Nazis in ihren Reihen, was sie in meinen Augen zu einer rechtsextremen Partei macht, sie ist jedoch nicht mit der NSDAP gleichzusetzen. Was sich aber heute mehr als deutlich zeigt in der westlichen Welt: Unsere Demokratie ist nicht so in Stein gemeißelt, wie meine Generation das lange geglaubt hat. Sie ist fragil und verletzlich, und sie ist in Gefahr. Und die lauert nicht nur rechts. Aber auch damals wäre die Republik vielleicht nicht zerstört worden ohne die vielen Gleichgültigen, denen sie egal war. Das sehe ich auch heute als die größte Gefahr: diese Politikverdrossenheit, sich ins Private zurückzuziehen. Wir müssen begreifen, dass die Freiheiten und Rechte, die wir genießen, nicht selbstverständlich sind, das es Errungenschaften sind, für deren Erhalt wir kämpfen müssen. Gegen jeden, der sie in Frage stellt, innen oder außen.
All die Nachrichten heute über Pegida, AfD, Chemnitz, fließt das rückwirkend in Ihre Romane mit ein, reflektiert man das mit?
Was mich immer ärgert, ist die grassierende Geschichtsvergessenheit. Wenn eine Frauke Petry etwa behauptet, „völkisch“ sei doch nur das deutsche Wort für „national“. Nein, ist es nicht, das ist ein Nazibegriff, ein Begriff, der die Volkszugehörigkeit allein vom Blut, also von der Rasse abhängig macht. Dass diese Begriffe jetzt wieder benutzt werden, unwidersprochen und unreflektiert, ist gefährlich, denn Sprache ändert das Denken und Denken ändert das Handeln. Es ist wichtig zu wissen, wo wir herkommen. Und welche Fehler unsere Vorfahren gemacht haben. Das war immer auch ein Aspekt meiner Romane: dass ich versuche, Leute für Geschichte zu interessieren und zu sensibilisieren.