Das absurdeste Bild ist das mit den Goldfischen. Warum die beiden alten Damen mit dem offenen Glas ins Taxi einsteigen und wohin sie damit wollen, das vergisst man schnell wieder. Aber wie das Glas zerschellt und der Taxifahrer schnell eine Plastiktüte zückt, um die zwei zappelnden Fische zu retten, das vergisst man nicht.
Denn der Taxifahrer ist Jafar Panahi. Und die Fische in der zugeknoteten Tüte, die gerinnen zur sinnigen Metapher auf seinen schwebenden Zustand, seit der iranische Filmemacher 2010 – wegen „Propaganda gegen den islamischen Staat“ – zu einer sechsjährigen Haft und einem 20-jährigen Berufs- und Ausreiseverbot verurteilt wurde.
Film als Schmuggelware
Panahi ist nun für das Kino das, was Ai Weiwei für die Bildende Kunst ist: eine Symbolfigur. Einer, der sich nicht unterkriegen lässt, der im Gegenteil mutig den Kampf aufnimmt gegen die Repressionen, die man ihm auferlegt. Panahi dreht heimlich weiter und lässt seine Werke außer Landes schaffen: Kinokunst als Schmuggelware.
Filme von Panahi sind nicht einfach nur Filme, sondern immer auch eine Demonstration für die Freiheit der Kunst, die es zu verteidigen gilt. Auf den großen Festivals der freien Welt werden sie gezeigt, wogegen das iranische Regime so reflexhaft wie vergeblich protestiert. Und dort ernten sie regelmäßig wichtige Preise. Schon auch, aber nicht nur aus Solidarität. Sondern einfach weil sie gut sind.
Durch die Beschränkung ihrer Möglichkeiten muss sich Panahi, auch das hat er mit Ai Weiwei gemein, notgedrungen selbst zum Teil ihrer Kunst machen. Panahi hat dafür quasi ein eigenes Genre erfunden: den Selfie-Film.
Sein erstes Werk nach dem Verbot, eine Art Videotagebuch, 2011 in Cannes gezeigt und kämpferisch „Dies ist kein Film“ genannt, hatte er noch in seinen eigenen vier Wänden gedreht, „Geschlossener Vorhang“, 2013 auf der Berlinale uraufgeführt, spielte in einem entlegenen Landhaus hinter der titelgebenden Fensterverhängung. Dass diese Drehs von Panahis Überwachern übersehen worden sind, konnte man sich immerhin noch vorstellen.
Ein Akt desWiderstands
Mit „Taxi Teheran“ – der im Februar noch unter dem kürzeren Titel „Taxi“ den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen hat und nun endlich in die deutschen Kinos kommt – kehrt Panahi nun aber in die Hauptstadt, ins Zentrum seines Landes zurück. Und er versteckt sich nicht länger. Sondern fährt als vermeintlicher Fahrer eines Sammeltaxis mitten durch die Straßen: ein offener Affront, ein selbstbewusster Akt des Widerstands.
Es ist die einfachste Form des Filmemachens: das Roadmovie. Man sitzt in einem Auto und er-fährt einiges über die Gegend, durch die man fährt. Das Leben vor der Windschutzscheibe, das Taxiinnere als Spiegel und Mikrokosmos der Gesellschaft. Und der Zuschauer sitzt praktisch mit dabei.
Hier wird ein Stück Alltag der iranischen Gesellschaft gezeigt, sonst weiße Flecken in unserer Wahrnehmung. Hier steigt etwa ein schlitzohriger Schwarzhändler zu, der raubkopierte Hollywood-DVDs verkauft. Oder ein Mann wird nach einem Unfall ins Auto gehoben und will sein Testament auf Panahis Handykamera machen – was seine Frau später unbedingt haben will: „für alle Fälle“. Solche Begegnungen wirken noch zufällig und komisch in ihrer Absurdität.
Panahi hat dazu eine Minischwenkkamera am Rückspiegel befestigt, so kann er immer wieder zwischen sich und seinen „Fahrgästen“ schwenken. Ein Spiel der Inszenierung, das die Künstlichkeit des scheinbar Dokumentarischen unterstreicht. Denn natürlich sitzt hier kein Fahrgast, der nicht wüsste, das hier ein Film gemacht wird. Und das Spiel mit dem Spiel wird auch offensiv betrieben, wenn manche Fahrgäste Panahi erkennen – oder gar, wie der windige DVD-Dealer, für ihr Geschäft anwerben wollen.
Drei Waffen gegen das Regime
Aber natürlich geht es nicht nur um solche Zustandsbeschreibung. Der Ton ist immer auch dezidiert politisch: Gleich zu Beginn fordert ein Mann, die Todesstrafe müsste zur Abschreckung noch öfter angewendet werden, wogegen eine Lehrerin mit weit überzeugenderen Argumenten protestiert – und dafür als Frau diskriminiert wird. Später wird auch die Anwältin Nasrin Sotudeh zusteigen, die eine Mandantin im Hungerstreik vertritt und der, ähnlich wie Panahi, ein Berufsverbot droht.
Immer geht es in dieser 82-minütigen Taxifahrt um Repression, um Zensur – und Selbstzensur. Am offensichtlichsten wird das, wenn Hana, die kleine Nichte des Regisseurs, ins Auto steigt. Die Zwölfjährige will für die Schule auch einen kleinen Film drehen. Aber ihre Lehrerin hat dabei diverse Vorgaben für einen „vorzeigbaren“ Film gemacht. Die Verbotsliste ist lang, und alles, was Schwarzmalerei ist, muss ausgeblendet werden. Das kleine Mädchen verzweifelt darüber, weil sie die Realität auf diese Art ja gar nicht realistisch abbilden kann.
Der verwirrte Blick der kleinen Hana wird wie die Tüte mit den Goldfischen zum Sinnbild des Films. Panahi setzt dem System, das ihn zum Schweigen verurteilt hat, hier gleich drei starke Waffen entgegen: die versteckte Kamera. Einen verschmitzten Humor („Taxi Teheran“ könnte man tatsächlich als Komödie klassifizieren). Und eben der naive Blick eines unschuldigen Kindes.
Dieses Mädchen hat uns gleich zwei Mal zu Tränen gerührt: einmal im Film, auf der Leinwand. Und dann bei der Berlinale-Preisverleihung, als sie stellvertretend für den Onkel den Goldenen Bären entgegennahm – und in Tränen ausbrach.
Triumph der Kunst über die Repression
Ganz am Ende dieses subversiven Meisterwerks brechen zwei Maskierte in das leer stehende Taxi ein. Sie montieren die Kamera ab, stellen aber verblüfft fest, dass die Speicherkarte leer ist. Der letzte Triumph der Fantasie, der Kunst über jene, die sie zensieren und verbieten wollen.
Nach der Einigung im Atomabkommen mit den internationalen Großmächten hoffen die Iraner, dass sich ihr Land nun dem Westen öffnen wird. Es ist sehr zu hoffen, dass auch Panahis Situation dadurch eine Besserung erfährt.