Berlinale 2015

Der Goldene Bär geht an den Iraner Jafar Panahi für „Taxi“

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Peter Zander

Foto: Michael Kappeler / dpa

Die Berlinale-Macher haben den iranischen Regisseur Jafar Panahi seit langem unterstützt. Jetzt wurde er mit dem Goldenen Bären für „Taxi“ geehrt. Der Berlin-Film „Victoria“ bekam einen Trostpreis.

Was für ein bewegender Moment. Ein Film bekommt den Goldenen Bären, aber da der Filmemacher nicht kommen durfte, tritt an seiner Statt ein kleines Mädchen auf die Bühne, Hana Saeidi, die Nichte des Regisseurs, die in seinem Werk auch mitgespielt hat. Ganz allein steht sie da, streckt triumphierend mit der rechten Hand den Bären hoch. Und muss dann weinen: „Ich bin nicht in der Lage, etwas zu sagen“, stammelt sie, „ich bin zu ergriffen.“ Und alle im Berlinale-Palast vergießen ein kleines Tränchen.

Jetzt wird Teheran wieder aufschreien. Zweimal hat der Iran gegen die Berlinale protestiert. Einmal, als das Filmfestival ankündigte, dass Jafar Panahis neuer Film „Taxi“ im Programm laufen wird, und dann noch einmal, nach der Premiere im Wettbewerb.

„Die Berlinale stand mal für Kunst und Kultur“, so der Vorwurf, „jetzt aber hören wir immer wieder die lauten Schritte der Politik.“ Dieter Kosslick hat das nicht beeindruckt, im Gegenteil. Er werde so oft Filme von Jafar Panahi zeigen, bis der Regisseur nach Berlin reisen dürfe. Und auch die Internationale Jury um den Präsidenten Darren Aronofsky zeigte sich davon unbeeindruckt. Oder, wer weiß, wurde dadurch gerade angetrieben. Gestern Abend bekam Panahis Film im Berlinale-Palast den Goldenen Bären für den Besten Film überreicht.

Ein Akt der Solidarität

Es ist der vorübergehende Höhepunkt des Falles Panahi und Berlin. Jafar Panahi hat auf der Berlinale 2006 den Großen Preis der Jury für „Offside“ gewonnen. Vor fünf Jahren wurde der Regisseur im Iran dann zu sechs Jahren Haft sowie 20 Jahre Berufsverbot verurteilt. Die Haftstrafe besteht weiterhin, auch wenn sie nicht vollzogen wird.

Kosslick hatte ihn vor vier Jahren dennoch demonstrativ in die Jury einberufen. Da er nicht ausreisen durfte, blieb sein Stuhl demonstrativ leer. Noch im gleichen Jahr wurde, trotz des Berufsverbots, ein neuer Film von Panahi in Cannes gezeigt, „Dies ist kein Film“, herausgeschmuggelt offenbar in einer Torte. Vor zwei Jahren war dann wieder auf der Berlinale ein weiteres verbotenes Werk zu sehen, „Pardé“, gedreht in Panahis eigenen vier Wänden. Und erhielt einen Silbernen Bären für das beste Drehbuch.

Ja, die Berlinale stand und steht für Kunst und Kultur, sie steht aber immer auch für Politik. Jede Vorführung eines Filmes von Panahi ist ein Akt der Solidarität – und eine Demonstration für die Freiheit der Kunst. Der Goldene Bär ist da nur Schluss- und Höhepunkt dieses Engagements für den unterdrückten Künstler. Aber, das müssen sich die iranischen Kunstexperten schon sagen lassen, es ist eben nicht nur eine politische Entscheidung. Sondern eine, die auch unter künstlerischen Aspekten richtig ist.

Alles richtig gemacht

Panahi hat seinen Film heimlich in einem Taxi gedreht, hat sich, allein das zeigt seinen Mut, selbst hinters Steuer gesetzt. Und chauffiert diverse Menschen durch Teheran, die die ganze iranische Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen widerspiegeln. Er zeigt, mit nur zwei Kameras, scheinbar banale Alltagsszenen und deckt damit doch die gesellschaftlichen Missstände in seiner Heimat auf. Die Szenen sind aber, und das war nun wirklich nicht zu erwarten, teils hochkomisch.

Die Komik als Waffe gegen das System, von dem man sich nicht unterkriegen lässt. Es geht in diesem Film oft ganz direkt um Panahi, immer aber auch um die Kunstfreiheit in einer geschlossenen Gesellschaft. Diese Taxifahrt durch Teheran sagt mehr über die derzeitigen iranischen Verhältnisse, als es ganze Reportagen vermögen. Und zeigt auch, welche künstlerischen Kräfte Repressionen freisetzen können. Mit diesem Goldenen Bären hat die Jury alles richtig gemacht. Und weiß wohl jeden hinter sich, was bei den Bären-Vergaben der vergangenen Jahre durchaus nicht immer der Fall war.

Auch die nächstwichtigen Preise sind klare politische Statements. Sei es der Alfred-Bauer-Preis für den ersten guatemaltekischen Film im Wettbewerb, „Ixcanul“, der in kraftvollen, poetischen Bildern von der Unterdrückung armer Maya-Kaffeebauern erzählt und ganz nebenbei auch von Korruption, Analphabetismus und Zwangsadoption.

Ein Gerücht wollte wissen, dass dies der erklärte Favorit des Jurypräsidenten Aronofksy war. Oder der Große Preis der Jury für „El Club“, der chilenische Beitrag über das Reizthema Missbrauch in der Kirche: Hier müssen Priester, die ihren Vertrauensstand für sexuellen Missbrauch ausgenutzt haben, ihr Dasein in einer Zwangs-WG fristen und sich zuletzt, so das rabendüstere Ende, auch noch um eines ihrer Opfer kümmern.

Seltsame Bärenteilung

Dass gleich zwei Trophäen ex aequo, zu gleichen Teilen also an zwei Filme geht, zeigt wohl eher, dass sich diese Jury nicht recht einigen konnte. Ein Eindruck, den man schon im Berlinale-Palast immer mal wieder gewinnen konnte, als die Juroren nicht, wie sonst stets, traut nebeneinandersaßen, sondern immer mit einem leeren Platz dazwischen. Als ob man bewusst auf Distanz zueinander ging. Nur so ist es wohl zu erklären, warum ein erklärter Liebling dieses Festivals, Sebastian Schippers grandioser One-Take-Film „Victoria“, nur in einer Sonderkategorie für die beste Kamerat berücksichtigt wurde – und sich diese auch noch mit dem russischen Beitrag „Under Electric Clouds“ teilen musste.

Auch der Regiepreis wurde dann noch geteilt. Wohl um mit Malgorzata Szumowska auch eine der drei Regisseurinnen dieses Wettbewerbs zu berücksichtigen. Aber zwei Bären ex aequo: Das hat es noch auf keiner Berlinale gegeben, das widerspricht auch den Reglements. Und unterstreicht wohl die Uneinigkeit.

Zeichen einer Uneinigkeit?

Noch eine seltsame Doppelauszeichnung: „45 Years“, das stark gespielte, aber doch sehr fernsehfilmige Drama um ein allmählich zerbröselndes Ehepaar, ebenfalls ein Publikums- und Kritikerliebling, bekam gleich beide Darstellerbären: für Charlotte Rampling als beste Schauspielerin und Tom Courtenay als bester Schauspieler. Zumindest Rampling, ein Dauergast der Berlinale und nicht zuletzt Jury-Präsidentin anno 2006, hatte ihn endlich einmal verdient. Aber, Hand aufs Herz, gab es nicht auch andere Filme, in denen Schauspieler agierten? Und außerordentliche Leistungen zeigten?

So endet die 65. Berlinale mit einem Bärenvotum, das einen seltsam unzufrieden zurücklässt. Da ist die Freude über das zweite Gold an einen iranischen Film in nur fünf Jahren und über die Würdigung eines starken Debütfilms aus Guatemala. Aber da ist auch der Eindruck, die Jury wollte es allen Seiten recht machen. So stark das politische Zeichen bei den Hauptpreisen, so hilflos wirken die Entscheidungen bei den Silbernen Bären.