Sie stellen ihre Tasche auf den Sitz, drängeln und pöbeln. In Berlins Bussen und Bahnen sind mitunter seltsame Menschen unterwegs.
Eine Freundin von mir hat eine interessante Theorie. „Es gibt nur zwei Arten von Menschen“, sagte sie, als wir neulich beim Abendessen zusammen saßen. „Diejenigen, die snoozen und diejenigen die nicht snoozen.“ Wie bitte?
Das bedeutet: Wenn der Wecker frühmorgens klingelt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder, man macht ihn aus, steht auf und startet in den Tag. Oder: Man drückt die „Snooze“-Taste, auch „Schlummertaste“ genannt, bei der der Wecker in fünf Minuten erneut klingelt. Und nach fünf Minuten wieder. Und wieder.
Es soll ja Menschen geben (habe ich gehört), die morgens so eine halbe Stunde oder mehr totschlagen, gefangen zwischen dem schlechten Gewissen, immer weniger Zeit für Dusche und Frühstück zu haben (was dann in einer Katzenwäsche und einer Milchschnitte auf dem Weg zum Bus endet), und dem Wunsch, noch ein bisschen zu schlafen. Der Theorie meiner Freundin zufolge kann man daraus eine grundsätzliche Lebenseinstellung ableiten: Die einen sind disziplinierte Macher, also Erfolgsmenschen auf ganzer Linie. Und die anderen die Luschen.
Mit dem ganzen Körper an die Haltestange lehnen – super!
Mag sein, dass da was dran ist. Ganz so rigoros sehe ich das persönlich aber nicht. Sondern glaube, dass man Menschen viel eher danach kategorisieren kann, wie sie sich im öffentlichen Nahverkehr verhalten. In jahrelanger Erfahrung habe ich zehn Kategorien entwickelt, die sich immer wieder zu bewähren scheinen.
Nummer eins: Die Trampeltiere. Sie haben ihren Lebensraum in allen Bussen, Bahnen und Trams in Berlin und treten oft im Rudel auf. Zu erkennen sind sie an ihrem Rucksack, den sie selbstverständlich nicht abnehmen und sich im Gespräch mit Artgenossen permanent drehen und wenden, so dass alle Umstehenden und Sitzenden das Gepäckstück vor den Latz geknallt bekommen.
Eng verwandt mit ihnen sind die Faultiere. Sie lehnen sich im vollen Wagen mit ihrem Körper an die Haltestangen, so dass sich niemand daran festhalten kann. In ihrer Nähe besteht für alle anderen das Risiko, in Kurven und bei Vollbremsungen auf die Nase oder den Schoß eines Mitreisenden zu fallen.
Zum Desaster wird die Fahrt, wenn sich dazu die Ignoranten gesellen, die sich einfach nicht bewegen wollen. Auch wenn von draußen immer mehr Menschen in den Wagen drücken: Sie rammen ihre Füße in den Boden, krallen sich an den Stangen fest und lassen niemanden vorbei.
Ungewöhnliche U- und S-Bahnkarten in Berlin
Dies wiederum ruft gern den Choleriker auf den Plan. Er brüllt entweder ein "KÖNNT IHR MAL AUFRÜCKEN??" in die Bahn, oder, an einer Station, ein "ERSTMAL ALLE AUSSTEIGEN LASSEN, JA??" heraus. Garniert mit einem herzhaften "IHR VOLLIDIOTEN!!"
Achtung vor der Bazillenschleuder
Unbeeindruckt bleiben nur die Outlaws, die sowieso ihre eigenen Regeln machen. Und sich im Waggon die Selbstgedrehte anzünden, noch bevor der Zug angehalten hat. Oft überschneidet sich diese Gruppe mit den Hedonisten: Sie drehen die Musik so laut auf, dass man trotz ihrer riesigen Highend-Kopfhörer mithören kann. Übertönt wird das Vergnügen nur, wenn die Bazillenschleuder an Bord ist. Diese hustet und niest in alle Richtungen. Danach möchte man sich großflächig desinfizieren.
Zu meiner Lieblingsgruppe gehören die Wilden. Sie stellen ihre Taschen in der vollen Bahn neben sich auf den Sitz und markieren ihr Revier wie die Gibbons im malayischen Urwald. Vielleicht muss man einfach froh sein, dass sie nicht anfangen, alles vollzupinkeln.
Das würde auch nur die Furchtsamen verschrecken. Das sind die, die schon Minuten, bevor die Bahn die Station erreicht, sich umständlich zum Ausgang vorarbeiten. Manchmal mischen sie sich mit der Gruppe der Pedanten, die den U-Bahnfahrplan auf dem Schoß haben, und Station für Station abgleichen, ob die Bahn auch ganz sicher richtig fährt.
Jede Wette: Diese Menschen stellen auch den Wecker morgens sofort aus. Und packen dann ihr schon am Abend vorbereitetes Frühstück in den Riesenrucksack. Nicht snoozende, pedantische Trampeltiere quasi. Meine Güte. Morgen bleibe ich länger liegen.

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