Der Begriff Fairness bei einer Restaurant-Bewertung wird manchmal vom Prinzip der zweiten Chance getragen. Wo Menschen arbeiten, kann immer etwas daneben gehen, selbst bei absoluten Perfektionisten wie Sternekoch Kolja Kleeberg (VAU), der zum ersten Mal die Genussabteilung der Berliner Palazzo-Show steuert, und dem gastronomischen Event-König Hans-Peter Wodarz.
Bei der Premiere der Neuauflage des großen Unterhaltungsfestivals war ich nicht so zufrieden mit dem, was aus der Küche kam. Alle Gerichte waren verändert, aber noch nicht so eingespielt wie in den früheren Jahren. Außerdem war das Rindfleisch zu fest. Da war Luft nach oben.
Bei meinem unangekündigten zweiten Besuch war ich über das Testergebnis glücklich. Zum Start gab es nicht mehr ein Möhrensüppchen, sondern sautierte Garnelen mit Tandoori-Sauce, Gurkenjoghurt und Zwiebelpakora (im dünnen Teig frittiert). Die Garnelen waren knackig und nicht totgebraten. Es folgte gebackene Kabeljau-Brandade mit Kokos-Sepia-Aioli. Diesmal auf einem großzügigem Bett von Fenchelsalat mit Orangenspänen, deutlich ausgewogener im Zusammenspiel der Aromen als bei der Premiere. „Schulterscherzel“ lautet der Hauptgang, dahinter verbirgt sich eine herzhaft in Balsamico geschmorte Rinderschulter mit Feige und gebratenem Chicorée, Polenta und geröstetem Senf. Natürlich vermissen einige Stammgäste den obligatorischen Entenbraten, ganz gleich ob Brust oder Keule. Aber da jetzt der Rinderbraten butterzart ist (vielleicht hat man den Lieferanten gewechselt), zeigten sich die Gäste zufrieden.
Ich bin kein großer Dessert-Freund, aber ich gestehe, im Palazzo habe ich den vierten Gang genossen, weil er ein leichter Abschluss war. Es war eine süße Versuchung mit der Kombination von Croustillant und Parfait von Schokolade, angerichtet auf einer hauchzarten Dattelcreme und ergänzt von einem fruchtigen Kirschsorbet.
Für die Akzeptanz der Feinschmecker wurde nachdrücklich gesorgt. Von wegen: Erlebnisgastronomie sei nur Showgeschäft mit ein wenig Nahrungsaufnahme. Die aktuelle Ausgabe mit Spaß für alle Sinne, serviert nach sorgfältiger Einarbeitung mit einem doppelten Salto Kulinarik in feinster Form. Und das nicht nur auf dem Papier, sondern auf dem Teller, ordentlich präsentiert, wovon ich mich überzeugen konnte. Die Show „Der Ball des Grafen“ profitiert eindeutig vom Zusammenspiel der befreundeten Partner Hans-Peter Wodarz, Erfinder dieses Genusses voller Lebensfreude, und Kolja Kleeberg, der Christian Lohse abgelöst hat.
Veränderter Anspruch der Gäste
Wenn man mal bedenkt, wie Wodarz angefangen hat, mit Panem et Circenses, später mit Pomp Duck and Circumstance, da war das Essen noch sehr einfach. Immer wieder das brave Möhrensüppchen und dann ein Stück vom Federvieh, mehr erwarteten die Gäste damals nicht. Das hat sich geändert. Wie spektakulär heute gekocht wird, zeigen die beiden Vier-Gang-Menüs, eines davon vegetarisch. Eine Richtung, die auch in Berlin ein paar Anhänger mehr gefunden hat. Marinierter Büffelmozzarella mit Pataya-Mango und einem Hauch von Oliven zum Start, gefolgt von Blumenkohlpakora mit Tandoori-Schmand und Shiso-Kresse. Der Hauptgang: Zweierlei von der Süßkartoffel, mit Seitlingen ungewöhnlicher gemacht.
Bei rund 400 Gästen verlangen die zwei parallel laufende Menüs eine Menge Vorbereitungen, die habe ich mir angesehen und war begeistert von den endlosen Reihen Teller mit kalten Elementen, auf die in letzter Minute dann die warmen Köstlichkeiten platziert wurden. Ärgerlich, wenn gut gemachte Speise kalt zum Gast kommt.
Unabhängig von allen gekonnten Ausführungen ist grundsätzlich das Schöne an der Palazzo-Küche, dass es hier kein Trend-Essen aus dem Chemiebaukasten gibt und auch Fast Food, die Notnahrung, die immer schneller und schlimmer wird, findet nicht statt. Insgesamt steht unter dem Strich eine Bewertung knapp unter der Sternegrenze – für 400 Gäste. Wahrlich außergewöhnlich.
Der Service gehört zur Show oder die Show zum Service. Doch diesmal agiert der ganze Bedienungsapparat stilvoll und gut geschult, allein darauf konzentriert, den Gast zu verwöhnen. Die Weinkarte ist klein, umfasst günstige Kreszenzen, aber wer lechzt schon nach einem 61er-Mouton-Rothschild, wenn die Künstler mit sensationeller Akrobatik auf dem Seil den Atem rauben? Dass unter dem Strich eine insgesamt erstklassige Bewertung steht, hat natürlich mit Wodarz’ Engagement zu tun, dem von jeher leidenschaftlichen Koch, der vor mehr als 30 Jahren in der „Ente vom Lehel“ im Nassauer Hof Wiesbaden den ersten Stern bekam.
Die Preisliste beginnt bei 99 Euro und reicht in der Spitze bis 145 Euro am Wochenende. Die Getränke müssen extra bezahlt werden. Für Genussverweigerer gibt es auch ein Eckchen, wo man nur die Show sehen kann, aber ohne Gaumenfreuden (ab 59 Euro).
Und es gibt immer noch eine Steigerung: „eat, das Feinschmecker-Festival“, mit Top-Stars aus dem Kocholymp wie Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt, zelebriert den Eröffnungsabend am 24. Februar 2014 in Berlin. Wo? Natürlich im Palazzo.
Palazzo, Spiegelpalast am Humboldthafen, Invalidenstraße/Friedrich-List-Ufer, 10557 Berlin, Tickets und Information unter www.palazzo.org und Telefon 01806 388 883