Gewiss, Sterneköche setzen der Branche die Krone auf, aber für den alltäglichen Genuss sorgen für mich auch Restaurants mit einfachen aber qualitativ gut gemachten Gerichten in Wohlfühlatmosphäre, wenn auch mit eher bescheidenem Ambiente. Und dann darf man auch die deutlich günstigeren Preise nicht vergessen. Die Beschreibung meiner Vorstellung entspricht eins zu eins dem Restaurant, konkreter der Rotisserie Weingrün in der Gertraudenstraße. Blanke Holztische, aber große weiße Servietten, warme Dekoration, der vorweihnachtlichen Zeit angepasst, und eine kundenfreundlich kalkulierte Karte.
Mit der Aufschnittmaschine
Kurz nach der Eröffnung suchte die Küche noch nach handwerklicher Perfektion. Es gab einiges zu kritisieren. Diesmal habe ich mich in relaxter Atmosphäre mit den hier typischen Speisen ausgesprochen wohl gefühlt. Das geht bei ganz simplen Vorspeisen schon los. Der Tiroler Bergschinken wird mit der Aufschnittmaschine direkt auf den Teller serviert, dazu gibt es frischen Kren und Spreewälder Gewürzgurken. Wie gesagt, ganz einfach, aber äußerst schmackhaft und ebenso wie das feine Törtchen von Büffelmozzarella, herzhaft mit Chorizo gewürzt und mit Tomaten verfeinert.
Der Oktopus-Salat mit Sellerie, Safran-Kartoffeln und Oliven-Zitronen-Vinaigrette kommt in unterschiedlich großen Stücken geschnitten und mariniert zum Gast. Hinter der Bezeichnung „schwarz-rot-gold“ hat die Küche Meeräschenkaviar und Zarenlachs auf dünnem Kartoffelrösti zusammengeführt. Die Vorspeisen liegen zwischen zehn und 13 Euro, die große Portion Maronencremesuppe mit Pancetta–Pflaumen und Amarettini sogar nur bei acht Euro.
Während dieser köstliche Vorspeisen-Bereich bereits von Anfang an total überzeugte, musste der Restaurateur mit seinem Flammenwand-Grill anfangs herumexperimentieren. Heute ist auch das kein Thema mehr, ganz gleich, was Sie bestellen, alles gelingt und ist handwerklich gekonnt.
Ich habe mir die komplette Auswahl in kleinen Portionen gegönnt und war sehr angetan von den Spare Ribs vom Havelländer Apfelschwein mit Barbecue Sauce, Entrecôte vom irischen Weiderind mit einer frisch aufgeschlagenen Sauce Bernaise und als Ausgleich zu den vielen tüftligen Gourmetgerichten, die ich in der Edelgastronomie probieren muss, ein ganz ordinärer krosser (total ausgebratener) Schweinebauch vom Thüringer Duroc-Schwein mit Dunkelbiersauce. Einfach herrlich und empfehlenswert.
Die Brandenburger Bauernente ist mit Orangenhonig gelackt und bekommt als fruchtige Begleitung einen Cranberry-Kartoffelkloß. Dünn besetzt ist die Fischabteilung. Da steht nur ein finnischer Lachs auf der Karte, der wird auf einem Nagelbrett gegrillt, mit Cognac flambiert und mit einer Senf-Dill-Sauce abgerundet.
Süßer Ausflug in die Sterne-Kategorie
Zum Abschluss der Speisefolge erlebt der Gast dann einen beschwingten süßen Ausflug in die Sterne-Kategorie. Der warme Schokoladenkuchen, aus dem flüssige Schokolade läuft, wenn man die äußere Kuchenhülle mit dem Löffel öffnet, war hier allererste Sahne.
Erwähnenswert sind natürlich auch der klassische Bratapfel mit Tonkabohnen-Eis und Karamell und jetzt zur Weihnachtszeit der Arme Ritter vom Christstollen mit Nougatganache und Lebkucheneis. Für viele weckt das Kindheitserinnerungen.
Ausgesprochen interessant ist auch die Alternative zum süßen Abschluss, also für den Gast, der es herzhaft bis zum Ende seines Mahls mag: Da wird ein Raclette mit Bamberger Hörnchen, Silberzwiebeln und Cornichons offeriert.
Unkompliziert aber liebenswert aufmerksam agiert der Service, so wie man es in einer Rotisserie erwartet. Die kompetente Gästepflege steht unter der Leitung von gleich zwei Oberkellnerinnen. Das gilt auch für die Weinpflege. Die charmanten Damen wissen stets den passenden Tropfen, abgestimmt zur Speisefolge, zu offerieren.
Offene Weine werden aus der Magnumflasche ausgeschenkt, alle flaschenweise angebotenen Kreszenzen sind kundenfreundlich kalkuliert. Für Freunde gehaltvoller Rotweine werden ein paar Burgunder und ein wunderbarer Brunello di Montalcino von Angelo Gaja kredenzt.
Am Roten Rathaus
Wie immer in den Restaurants von Herbert Beltle wird besonderer Wert auf die Weine gelegt. Alles passt zusammen in dieser Rotisserie in der Nähe des Roten Rathauses. Die Entwicklung ist exakt wie es Hausherr Beltle sich vorgestellt hat. Es ist ein gemütlicher Platz, um sich vor der beleuchteten Regalwand mit unzähligen Weinflaschen, hinzusetzen und ein paar Leckereien zu probieren.
Der Blick aus dem Fenster fällt auf die alte Gertraudenbrücke, darunter fließt gemächlich die Spree. Es ist ein idyllisches Fleckchen. Als junger Küchenchef kam Beltle vor Jahrzehnten ins Kempinski am Kurfürstendamm, eröffnete später das Alte Zollhaus in Kreuzberg als sein erstes eigenes Restaurant und legte 1999 mit dem Aigner am Gendarmenmarkt nach. Seine Ausrichtung ist treffend: „Der Zeitgeist kehrt zurück zum Einfachen.“
Restaurant Rotisserie Weingrün, Gertraudenstraße 10-12, Mitte, Tel. 20 62 19 00, tägl. ab 17 Uhr geöffnet, rotisserie-weingruen.de