So habe ich Hummer noch nie gegessen. Zu den bissfesten Scheiben duftet Rosensirup und Liebstöckel, der Gaumen wird von grünem Chili elektrisiert. Eine Fülle von Aromen, in brillanter Kombination zusammengeführt, begeistert mich auch auf dem zweiten Teller. Eine kleine Thunfischpizza mit gelbem Rettich, dominantem Koriander und einer überraschend milden Wasabi-Mayonnaise. Ich bin zu Gast in einem außergewöhnlichen In-Restaurant, das zum Hotel Adlon gehört und von Zwei-Sternekoch Tim Raue inspiriert und geführt wird: im Sra Bua by Tim Raue.
So schnell wie die Zeit vergeht, verändert sich auch die Gourmandise. Als ich vor anderthalb Jahrzehnten erstmals dem jungen Tim Raue in der Kaiserstube begegnete, waren seine Gerichte französisch inspiriert, bereitete er die beste Gänseleber in der Stadt zu, spielte aber in der Rangliste der besten Köche in der Metropole keine Rolle. Jetzt, nach 15 Jahren, gehört Tim Raue in der Hauptstadt-Hierarchie zur absoluten Spitze. Und: Asien ist heute seine kulinarische Heimat. Ich erlebe im Sra Bua, dem ehemaligen Uma, das fortan unter der Regie des Hotels Adlon geführt wird und Raues zweites Standbein ist, die Faszination asiatischer Köstlichkeiten.
Vielschichtige, panasiatische Strategie
Hier kocht die Raue-Brigade nicht konsequent japanisch wie im Stammhaus an der Rudi-Dutschke-Straße, sondern pflegt eine vielschichtige, panasiatische Strategie. Der Schwerpunkt verteilt sich auf Gerichte der thailändischen, der chinesischen und natürlich auch der japanischen Küche.
Zum Einstieg wählen wir Raues eigenwillige Sashimi-Interpretationen. Der rohe Fisch ist mit feiner Fruchtsäure kombiniert, der gebeizte Lachs mit Pampelmuse, manchmal mit Orangeneis und die Sylter Royal Auster mit Soja-Apfel-Limette. Als nächstes folgen die Rolls, mit Seeigel, Trüffelcreme und Pflaumenweingelee. Köstlich ist auch das Miso-Süppchen mit Algen und Meeresfrüchten. Für mich ein Geschmackserlebnis wie im Okura in Tokio.
Die Thai-Gerichte auf der Karte sind auch eine Verbeugung vor einem Teil der Kempinski-Besitzer, dem thailändischen Königshaus. „Sra Bua“ heißt übersetzt „Lotus-Blüte“. Die ungewöhnlichen Salate überzeugen mit angenehmer Schärfe, so der Papaya-Salat oder die Kombination mit grünem Spargel, leicht geröstet, dazu Mango und Veilchen. Eine kleine Aroma-Bombe ist auch die Brunnenkresse mit geröstetem Sesam und Birnenspänen. Alles in der Küche ist perfekt eingespielt, so dass die Abläufe auch stimmen, wenn Tim Raue nicht selbst Regie führt. Inzwischen hat er auch noch die Patenschaft für ein drittes Restaurant übernommen – da wird es zeitlich langsam eng.
Den Fleischlieferanten überdenken
Großartig ist die Palette der Grill-Gerichte, die allerdings auch schon im Uma hervorzuheben war und auch hier in der Produktpalette einen besonderen Stellenwert hat. Nur mit dem Wagyu war ich nicht zufrieden. Da das Edel-Rind aus Australien dennoch perfekt gebraten und ausgewogen gewürzt ist, ist das keine Kritik an der Küche, sondern nur der Ratschlag, den Fleischlieferanten zu wechseln. Bei dem bekannt hohen Preis muss die Qualität zarter und saftiger sein. Ein Farbenspiel bieten die Currys: „Violett“ steht für scharf gebraten, intensive Röstaromen und Thai-Pfeffer, verarbeitet werden irisches Rinderfilet, Garnelen und Schweinebauch.
„Rot“ steht für cremig, mit der Süße reifer Früchte, getragen von Kokoscreme, Zitronenblatt, Ananas und Litschi. Wahlweise werden damit Ente, Lachs und Hummer parfümiert. Weiter geht es in der Palette mit „grün“, das steht für leicht säuerlich, frisch, fruchtig, Ingwer, Zitronengras. „Gelb“ steht für eine herzhaft dichte Aromatik aller Gewürze. Frischer Fisch wird eigenwillig, aber fraglos gekonnt zubereitet. Der edle Ikarimi Lachs geht eine glorreiche Verbindung mit Mandarinensalz und grüner Papaya ein. Der Kabeljau verliert seine Langeweile durch den Soja-Sud. Der Geschmack wird ergänzt durch Yuzu, ein leicht bitteres Zitronengewächs.
Desserts sind normalerweise nicht mein Ding, die überlasse ich meinem TV-Partner Reiner Calmund. Hier im Sra Bua habe ich allerdings ein nahezu kalorienfreies als Abschluss echt genossen. Hauchfeiner Minze-Duft, der den Fruchtgeschmack der Aprikose beim Sorbet nicht überlagert, sondern ergänzt, serviert von liebenswerter Bedienung. Der Service ist einer der absolut besten in der Stadt. Die Weinkarte ist noch ausbaufähig. Allerdings verkündete der Sommelier überzeugend herzlich die Bereitschaft, gerne auch die großen Lagen aus dem Adlon-Weinkeller zu holen. Ich genieße den Zweitwein von Château Cos-d’Estournel von 2001.
„Ruam Gan“ ist die Idee, den Tisch mit Gerichten zu füllen, die geteilt werden. Für 68 Euro wird ein Querschnitt der Küche offeriert. Es gibt sechs Vorspeisen, gefolgt von vier Hauptgängen mit drei Beilagen. Ein wenig japanische Geduld muss der Gast dafür freilich schon mitbringen. Bei der frischen Zubereitung sind Wartezeiten nicht auszuschließen. Insgesamt empfinde ich den kulinarischen Asientrip begeisternd. Die Idee von Hausherr und Kempinski-Deutschland-Chef Oliver Eller ist eine riesige Bereicherung, weil dieses Restaurant die Palette des Genussangebots um ein leicht flippiges Lokal erweitert – das mit dem großartigen Gourmettempel Lorenz Adlon Esszimmer nicht in Konkurrenz tritt. Kompliment.
Sra Bua by Tim Raue - Behrenstraße 72, Mitte, Di.-Sbd. 18-23 Uhr, Tel.: 22 61 15 90
Heinz Horrmann schreibt jeden Sonnabend für die Berliner Morgenpost.