- Am Flughafen BER ist es in den vergangenen Wochen immer wieder zu chaotischen Szenen gekommen.
- Passagiere müssen teils lange Warezeiten in Kauf nehmen.
- Der Grund: Corona. Dass die Nöte an anderen Flughäfen nicht so stark ins Gewicht fallen, liegt an Berliner Besonderheiten.
Berlin/Schönefeld. Langes Warten an Check-in und Sicherheitskontrolle, ausharren im Flieger, ohne dass die Tür aufgeht, Koffer brauchen Stunden bis aufs Band: Fast täglich berichten Passagiere vom Flughafen BER von solchen Problemen, selbst wenn nicht wie vergangenen Freitag eine Raucherin auf der Damentoilette im Sektor für Flüge außerhalb des Schengen-Raumes das komplette Chaos auslöst.
Hauptgründe für die Schwierigkeiten am Hauptstadtflughafen, der vor einem Jahr eröffnet wurde, sind aber nicht die Infrastruktur oder längere Abfertigungszeiten wegen der Corona-Auflagen. Es fehlt schlicht an Personal bei den Bodendienstleistern, die Fluggastbrücken an die Jets fahren, Gepäck entladen oder den Check-in erledigen.
Das ist überall in Deutschland so. Der Branchenverband BVD geht nach den Worten seines Vorsitzenden Thomas Richter davon aus, dass 44 Prozent der Beschäftigten während der Pandemie den Job gewechselt haben. Viele sind in der Logistikbranche untergekommen.
Flughafen BER: Auf dem Vorfeld fehlen pro Schicht rund 20 Mitarbeiter
In Berlin, so berichtet die Gewerkschaft Verdi, seien viele der im Schichtdienst erprobten und zuverlässigen Kräfte auch bei BVG und BSR gelandet. Neue seien nicht einfach zu finden, denn sie müssen körperlich robust sein und überdies deutsch und auch einigermaßen englisch sprechen und in der Lage sein, mindestens acht verschiedene Maschinen sicher zu bedienen.
Neue Leute anzuheuern dauere wegen der Sicherheitsüberprüfungen mindestens acht Wochen, hinzu komme die Anlernzeit. Derzeit, so kalkulieren Experten, fehlen auf den Vorfeldern pro Schicht fünf bis acht Teams mit jeweils drei Mitarbeitern. Reserven für Spitzenzeiten gebe es kaum.
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Dass die Nöte mit den Bodendienstleistern an anderen Flughäfen nicht so stark ins Gewicht fallen wie in Berlin, liegt an Berliner Besonderheiten, berichtet Enrico Rümker, Verdi-Sekretär für die Luftfahrt. Ein Sprecher der Flughafengesellschaft bestätigte der Morgenpost diese Analyse.
Schließung von TXL: 2000 Menschen verloren ihren Job
An anderen Flughäfen haben die Bodendienstleister während der Pandemie ihre Leute in Kurzarbeit geschickt. In Berlin wurde aber im vergangenen Jahr der Flughafen Tegel geschlossen und der Verkehr an den BER verlegt. Im Zuge dessen wurden viele Dienstleistungs-GmbHs geschlossen. Der Gewerkschafter schätzt, dass dabei 2000 Personen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Von diesen Menschen hätten sich sehr viele entschieden, nicht in die hart von der Corona-Krise getroffene Luftfahrtbranche zurückzukehren. Als dann der Betrieb wieder hochfuhr, hätten die Bodendienstleister andernorts ihre verbliebenen Leute aus der Kurzarbeit geholt und eingesetzt.
In Berlin hätten alle Unternehmen jedoch große Probleme gehabt, um überhaupt auf die Mannschaftsstärke von 1300 bis 1500 Mitarbeitenden zu kommen, die derzeit im Schichtbetrieb im Check-in und auf den Vorfeldern tätig sind. Für die Flughafengesellschaft selbst sei es schwierig, in die Prozesse einzugreifen, weil anders als an allen anderen deutschen Flughäfen der BER keine eigene Abfertigungsgesellschaft betreibe. Gewerkschaft und Teile der Landespolitik wollen das ändern.
Der energische Aufbau des Personals wird durch die überall vorhandene Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Pandemie gebremst. Fluglinien planen nur noch sechs Wochen im Voraus und nicht wie üblich mehrere Monate, das macht die Disposition für ihre Dienstleister ohnehin schon schwierig.
Lizenzen für Bodendienstleister laufen aus, Unsicherheit bremst Personalaufbau
Nach Darstellung von Verdi-Funktionär Rümker kommt in Berlin erschwerend hinzu, dass die Lizenzen für die Bodendienstleister im kommenden Sommer nach sieben Jahren auslaufen und von der Flughafengesellschaft neu vergeben werden. Eine Entscheidung, wer im Geschäft bleiben kann, soll im Dezember fallen. In dieser Phase scheuen viele Unternehmen, zusätzliche Mitarbeiter einzustellen, weil sie nicht wissen, ob und in welchem Umfang sie langfristig noch mit den Airlines für die Abfertigung am BER Verträge abschließen können.
Viele versuchen, sich mit Leiharbeitskräften zu behelfen, aber auch solche seien kurzfristig kaum verfügbar. Rümkers Prognose ist dann auch wenig optimistisch: „Ich gehe davon aus, dass es erst im kommenden Sommer wirklich besser wird“, sagte der Verdi-Sekretär. Von der Flughafengesellschaft selbst gibt es zu dieser Prognose keinen Widerspruch.
Großkunde Easyjet entschuldigt sich bei seinen Kunden
In gewisser Weise hausgemacht sind auch die Probleme, die es bei der Abfertigung des größten BER-Kunden Easyjet gibt. Die Briten haben zum 1. Oktober ihren Bodendienstleister Wisag durch Swissport ersetzt. Während die Wisag nun genügend Leute hat und auch der Konkurrenz aushelfen kann, sieht es bei Swissport anders aus. Easyjet betonte, man arbeite an der Lösung der Probleme, wisse, „wie wichtig Pünktlichkeit und ein reibungsloser Ablauf für unsere Kunden“ sei und entschuldigte sich für die entstandenen Unannehmlichkeiten“.
Das Chaos nach dem Feueralarm am vergangenen Freitag erklärt die Flughafengesellschaft mit einem Fehler im Prozess. Die Reisenden seien aus dem betroffenen Brandabschnitt zunächst wie vorgesehen aufs Vorfeld evakuiert worden. Danach seien aber bereits durch die Passkontrolle geschleuste Passagiere für den Nicht-Schengen Bereich mit denen aus dem Schengen-Sektor zusammen wieder reingelassen worden. „Das Prozedere wurde falsch ausgeführt“, räumte ein Flughafensprecher ein. Daraufhin hatte die Bundespolizei die Räumung des gesamten Terminals veranlasst.