Reinickendorf
Wochenende

Künstlerhof Frohnau: Lost Place lädt in geöffnete Ateliers

| Lesedauer: 5 Minuten
Dirk Krampitz
Im ehemaligen Waldkrankenhaus haben nun Künstler ihre Ateliers und laden am Wochenende ein.

Im ehemaligen Waldkrankenhaus haben nun Künstler ihre Ateliers und laden am Wochenende ein.

Foto: Maurizio Gambarini

Am Wochenende öffnen 40 Künstler ihre Ateliers im verwunschenen Kunsthof Frohnau, einer ehemaligen Nervenheilanstalt.

Berlin.  RTL hat Ostseesand auf den Kopfsteinpflasterweg geschüttet und der Aufnahmeleiter bedeutet, man solle leise ein. Auf dem Künstlerhof Frohnau wird für den „Dünentod – ein Nordseekrimi“ gedreht. Dass Frohnau zwar im Norden Berlins, aber nicht an der Nordsee liegt, stört im Fernsehen später dann niemanden.

Den Pavillon, in dem gerade gedreht wird, hat 1907 der Berliner Architekt Paul Poser errichtet, der in Frohnau u.a. die Siedlung Barbarossahöhe, die Pagode am Zeltinger Platz und die Villa Worch (heute: Centre Bagatelle) gestaltet hat. 2002 wurde die Blockhütte in Zusammenarbeit mit der Landesdenkmalpflege und dem Forstamt auf den Künstlerhof umgesetzt.

„Das war einmal der Verkaufspavillon für die Grundstücke in Frohnau“, flüstert Gudrun Fischer-Bomert, um die Dreharbeiten nicht zu stören. Die Künstlerin hat sich bereit erklärt, über das Gelände und durch ihr Studio zu führen. Und zwar bevor an diesem Wochenende die Berliner das ansonsten nicht frei zugängliche Waldgelände und die Ateliers der Künstler bei den Tagen der Open Studios entdecken können.

Lazarett, Lungenheilstätte und Nervenklinik

Das Grundstück des Künstlerhofs hat eine wechselvolle Geschichte: Die eingeschossigen Fachwerkbauten des Künstlerhofs stammen aus den 1920er-Jahren. Zunächst dienten sie als Lazarett, dann als Lungenheilstätte und Außenstelle der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Nachdem die Nervenklinik ausgezogen war, zogen in den 90er-Jahren bosnische Kriegs-Flüchtlinge ein, 1998 kamen die Künstler. In diesem Jahr feiert der Künstlerhof 25. Jubiläum.

Gudrun Fischer-Bomert ist von Anfang an dabei, sie hat Mietvertrag Nummer zwei und arbeitet in einem der Fachwerk-Häuschen. In ihrem Atelier waren ursprünglich zwei Krankenzimmer, Sanitärräume und ein angeschlossener Operationsraum untergebracht. Die Trennwand der beiden Krankenzimmer hat sie damals in Eigenarbeit herausgerissen. „Wir haben hier alle viel Arbeit reingesteckt und haben deshalb vergleichsweise günstige Mieten“, erklärt die Künstlerin. Möglich ist das, weil das Land Berlin das Gelände an den Betreiberverein Künstlerhof Frohnau e. V. langfristig verpachtet hat.

In ihrem Atelier steht auf ihrem Tisch eine Box mit exakt auf fünf Zentimeter gekürzten Strohhalmen. Trinkhalme in sämtlichen Farben sind ein Arbeitsmaterial, mit dem sie viel gearbeitet hat. Daraus baut sie Skulpturen und skulpturale Bilder, die je nach Blickrichtung ihre Helligkeit verändern, weil die Halme verschieden lang sind. Fischer-Bomert, die mit ihrem Werk auf Ausstellungen bis ins hinterste Russland und China eingeladen wurde, hat keinerlei Künstlerdünkel. Sie spricht gern über ihre Kunst, gibt auch Auskunft über den technischen Prozess, dass sich ihre Formbasis für Skulpturen kein Kaninchendraht, sondern ein Stahlgeflecht sei („Das ist stabiler“) und dass sie beim Zuschneiden der Halme durchaus gern ein Pläuschchen hält. „Aber keine tiefgründigen Gespräche.“ Am Wochenende der Offenen Museen kann man sie gern in eine Diskussion über Sinn oder Unsinn des Plastiktrinkhalmverbots verwickeln. Sie seufzt. Früher sei der Strohhalm positiv besetzt gewesen „Südsee, Cocktail, Urlaub, Freizeit – heute steht er für Umweltverschmutzung.“

Nach dem Verbot hat sie sich bewusst gegen das Horten von Halmen entschieden. Und musste dann doch viel zu teuer neue Halme im Internet bestellen. Für ihre neuesten Werkarbeiten hat sie aber das Material gewechselt und handelsübliche Wasserrohre mit Butterbrotpapier abgeformt. „Das habe ich Drogerie-Märkten leer gekauft. Und wenn ich in Frohnau durch war, bin ich nach Tegel gefahren“, sagt sie und lacht. Aus dem Papier hat sie eine Form gebaut, die an ein Bett erinnert „Ninna Nanna - Critical Infrastructure“ nennt sie die Arbeit und es werden sofort Bilder vom Krieg evoziert – und das in der friedlichen Umgebung des Künstlerhofes mitten im Wald.

Wer durch das Gelände streift, spürt den Geist eines Lost Place gepaart mit dem der Villa Kunterbunt. Da gibt es Hängematten und rätselhafte Skulpturen, der Rasen wuchert, man hört Vögel. Insgesamt 3000 Quadratmeter Atelierfläche gibt es hier für 40 Maler, Bildhauer, Keramiker, Grafiker, Glas-, Konzept-, Video- und Internet-Künstler, Schriftsteller, Fotografen, Musiker, Komponisten, Tänzer und Schauspieler.

Stahltüren wie im Gefängnis

Initiator des Projektes war 1998 der Künstler und Museumsdirektor Dieter Ruckhaberle. Und sein Spuren sind überall noch sichtbar, wie man beim Rundgang mit Fischer-Bomert sieht. „Dieter war ein Sammler“, sagt sie und seufzt. Im Hauptgebäude sieht man seine Bibliothek und Ausstellungsplakate, auch eines seiner großformatigen Gemälde hängt dort im Trakt mit den zellenartigen Stahltüren im „Neubau“ aus den 70er-Jahren für die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik.

Der Filmemacher Kaya Bekhalam hat den Verein damals als junger Kunststudent mitgegründet und nach dem Tod von Dieter Ruckhaberle den Vorstand übernommen. „Wir vermieten die Ateliers zum Selbstkostenpreis. Wir merken aktuell immer öfter, dass Künstler aus der ganzen Stadt zu uns kommen, weil sie ihre Ateliers verlieren“, sagt Behkalam. Der verwunschene Ort im Norden hat Zulauf bei den Künstlern. Bekhalam will ihn auch insgesamt etwas mehr öffnen, aber nicht zu viel, damit die Künstler in Ruhe arbeiten können und dieser Lost Place der Kunst seinen Charme behält.

Die Studios der Künstler sind geöffnet: Samstag 14-20 Uhr, Sonntag 11-18 Uhr, Hubertusweg 60.

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