Berlin. In einem Plattenbau an der Wollankstraße wurden jahrzehntelang brisante Pharma-Lieferungen getestet. Alle Infos zu dem Lost Place.

In einem Gebäudekomplex an der Wollankstraße lag das Kontrollinstitut für Seren und Impfstoffe der DDR. Jahrzehntelang stand das Institut an vorderster Front des deutsch-deutschen Systemstreits um die beste Impfstrategie. Ab den 1950er-Jahren testeten Mitarbeiter hinter den Mauern des abgeschirmten Plattenbaus Pharmazeutika aus der ganzen Republik. Nach der Wende wurde es still um das Bauensemble in Pankow. Hier erfahren Sie alle Infos zu dem ehemaligen Lost Place.

Das sind die Fakten zum DDR-Kontrollinstitut im Überblick:

  • Adresse: Wollankstraße 16, 13187 Berlin-Pankow
  • Bauherr: Ministerium für Gesundheitswesen der DDR
  • Geschichte: 1952 als Staatliches Institut für Serum- und Impfstoffprüfung errichtet; zwischen 1975 und 1986 Staatliches Kontrollinstitut für Seren und Impfstoffe (SKISI) der DDR; ab 1986 Kontrollinstitut für Immunbiologische Arzneimittel (SKIA); nach 1990 Teilnutzung durch das Robert-Koch-Institut und Leerstand
  • Führungen: Keine
  • Status: Ehemaliger Lost Place. 2012 wurde das Institut für einen Rewe-Markt-Neubau abgerissen

Wo lag das ehemalige DDR-Kontrollinstitut genau?

Das Gebäude befand sich an der Wollankstraße 16 im Ortsteil Pankow des gleichnamigen Bezirks. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man den ehemaligen Lost Place am besten vom S-Bahnhof Wollankstraße (S1, S25, S26) aus oder nutzt alternativ die Buslinie 255 (Haltestelle Wollank-/Florastraße).

Lost Places in Pankow

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    Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des DDR-Kontrollinstituts:

    Ausgangslage: Medizin im Wettstreit der Systeme

    Die staatliche Zulassung von immunbiologischen Arzneimitteln wie beispielsweise COVID-19-Impfstoffen zählt in Deutschland zu den Aufgaben des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen. Zu den bewerteten Arzneimitteln zählen Impfstoffe und Seren, Allergenpräparate, Gentherapeutika und Arzneimittel aus Blut und gentechnisch hergestellte Blutbestandteilen.

    In der DDR war die entsprechende Behörde das Staatliche Institut für Serum- und Impfstoffprüfung, welches 1952 seine Arbeit aufnahm. Die Entwicklung von Impfstoffen und die medizinische Versorgung der eigenen Bevölkerung zählte in der noch jungen DDR zu den Prestigeprojekten, mit der die Überlegenheit des Sozialismus im Wettstreit der Systeme bewiesen werden sollte. Entsprechend geschult bezogen die 73 Mitarbeiter unter der Leitung von Professor Friedrich Sartorius Anfang der 1950er-Jahre ihre neuen Diensträume und begannen die Labore des Plattenbaus an der Wollankstraße mit Leben zu füllen.

    DDR-Kontrollinstitut: Das waren die Aufgaben des Instituts

    Zum Aufgabengebiet des Staatlichen Instituts für Serum- und Impfstoffprüfung zählte die Beschäftigung mit und die Prüfung von Impfstoffen, Seren und Bakteriophagen – bei letzterem handelt es sich um Bakterien infizierende Viren, die in Form von Arzneimitteln vor allem in Ländern des ehemaligen Ostblocks verbreitet sind.

    Mitten im Wohngebiet Pankows wurden die angelieferten Proben auf ihre Tauglichkeit geprüft und unbeanstandete Chargen für die Verwendung in den Kliniken und Praxen der Republik freigegeben – beispielsweise zur Verimpfung im geheimen Stasi-Klinikum in Buch, dem pompösen DDR-Regierungskrankenhaus oder dem heute verfallenen Kinderkrankenhaus Weißensee.

    DDR-Kontrollinstitut: Kontrollen im Auftrag des MfG

    Die Proben wurden aus den kollektivierten pharmazeutischen Produktionsstätten der DDR angeliefert. Sie stammten beispielsweise aus dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Chemische Werke Radebeul, dem VEB Arzneimittelwerk Dresden oder dem VEB Pharmazeutisches Kombinat Germed in Dresden, unter dessen Dach ab den 1970er-Jahren fast alle Arzneimittelhersteller der DDR zusammengeschlossen wurden.

    Das Institut konnte im Auftrag des Ministeriums für Gesundheitswesen (MfG) Kontrollen durchführen, Unterlagen über den Verkehr mit Arzneimitteln anfordern und einsehen, erforderliche Auskünfte verlangen und unentgeltlich Arzneimittelproben entnehmen. Zur Beseitigung von Mängeln waren die Direktoren des Instituts berechtigt, Auflagen zur Herstellung oder dem Gebrauch zu erteilen und schlimmstenfalls auch Chargen ganz aus dem Verkehr zu ziehen. Schließlich stand das seit 1964 von Dr. Günter Starke und ab 1970 von Dr. Friedrich Oberdoerster geführte Kontrollinstitut in Pankow an vorderster Front im Systemkampf um die richtige Impfstrategie.

    Ehemaliges DDR-Kontrollinstitut: Kalter Krieg der Impfstrategien in Ost und West

    Impflicht vs. Impfangebot: Ein Impfausweis der DDR (hinten) und ein internationaler Impfausweis
    Impflicht vs. Impfangebot: Ein Impfausweis der DDR (hinten) und ein internationaler Impfausweis © picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke | picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke

    Im Gegensatz zur Bundesrepublik setzte die DDR auf eine verpflichtende Gesundheitsvorsorge: Sie führte in den 1960er-Jahren Impfpflichten für fast alle Impfprogramme ein, die es in Ostdeutschland gab – außer für die weiterhin freiwillige Grippeschutzimpfung. Das führte zu einer höheren Impfquote innerhalb der Bevölkerung der DDR und einen dichtgepackten Impfkalender, dessen Verträglichkeit das Kontrollinstitut in Pankow sicherstellen sollte.

    Im fünften, sechsten und siebten Monat erfolgten drei Grundimmunisierungen gegen Diphterie, Keuchhusten und Wundstarrkrampf. Im zweiten Lebensjahr war eine Wiederholungsimpfung nötig. Im fünften Lebensjahr erhielten die DDR-Kinder eine erneute Impfung gegen Diphterie und Wundstarrkrampf. Die Keuchhusten-Impfung war in der DDR seit 1964 fest etabliert und führte bei Impfraten um die 90 Prozent fast zum Verschwinden der Krankheit bei Klein- und Schulkindern. Ein Erfolg, der auch in den Laboren und Fluren des Kontrollinstituts in Pankow gefeiert wurde.

    Ehemaliges DDR-Kontrollinstitut: Ostdeutsche Impfpflicht feierte Erfolge

    In der Bundesrepublik wurde aus Furcht vor Nebenwirkung die Keuchhusten-Impfung ab 1974 nur noch bei erhöhtem Risiko empfohlen, was die Impfraten auf unter 10 Prozent sinken und die Erkrankungsrate ansteigen ließ. Im Alter von acht Monaten und zwölf Jahren erfolgte in der DDR die Pockenimpfung, deren Impfpflicht 1976 im Westen endete. Eine Masernschutzimpfung bekamen DDR-Kinder im elften Monat. Die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung erfolgte obligatorisch im zweiten Lebensjahr. In der BRD war sie seit 1962 ein freiwilliges Angebot. Erst mit der Wiedervereinigung fiel die ostdeutsche Impflicht.

    Bis dahin prüfte das Pankower Institut, das ab 1975 an der Wollankstraße als Staatliches Kontrollinstitut für Seren und Impfstoffe (SKISI) firmierte und ab 1986 als Kontrollinstitut für Immunbiologische Arzneimittel (SKIA), die angelieferten Proben – auch als sich 1979 unter Beteiligung des Instituts einer der größten Medikamentenskandale in der DDR ereignete.

    Ehemaliges DDR-Kontrollinstitut: Größter Impfskandal der DDR-Geschichte

    Anfang 1979 kam es in der DDR zu einem der größten Medikamentenskandale der Nachkriegsgeschichte und in der Folge zur Vertuschung des gesamten Vorfalls. Durch verunreinigtes Plasma aus dem Bezirksinstitut für Blutspende- und Transfusionswesen in Halle erlitten mehrere Tausend Frauen Impfschäden. In diesem Zusammenhang zog das Kontrollinstitut für Seren und Impfstoffe in Pankow in aller Heimlichkeit mehrere Chargen von Immunglobulin zur Anti-D-Prophylaxe aus dem Verkehr. Weder die Öffentlichkeit noch die Betroffenen wurden damals informiert.

    Insgesamt waren zwischen 1978 und März 1979 etwa 6800 schwangere Frauen im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Impfung mit einem Serum behandelt worden, das mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert war. Sie übertrugen die Krankheit auf eine unbekannte Zahl von Kindern, Ehegatten und Lebenspartnern. Das Serum stammte aus dem Plasma von drei erkrankten Blutspendern. Obwohl die verantwortlichen Entscheidungsträger in Halle den Sachverhalt kannten, führten sie das verseuchte Präparat einer Verwendung zu, da sie "politischen Ärger" bei sinkenden Planzahlen befürchteten. Die letzten kompromittierten Chargen wurde erst im März 1979 aus dem Verkehr gezogen.

    Die HCV-Infektion durch die Impfung führte bei zahlreichen Betroffenen zu einer chronischen Leberentzündung und gravierenden Spätfolgen. Erst seit dem Juni 2000 wurde eine Entschädigungs- und Rentenregelung für die etwa 2500 anerkannten Opfer des größten Impfskandals der DDR getroffen, der bis zur Wiedervereinigung erfolgreich totgeschwiegen wurde.

    Ehemaliges DDR-Kontrollinstitut: Medikamententests in den 1980er-Jahren

    Neubau des Universitätsklinikums am Krankenhaus Charité in Ostberlin. Westliche Pharmahersteller ließen in der DDR in den 80er-Jahren Medikamente in großem Stil testen.
    Neubau des Universitätsklinikums am Krankenhaus Charité in Ostberlin. Westliche Pharmahersteller ließen in der DDR in den 80er-Jahren Medikamente in großem Stil testen. © dpa | dpa-Zentralbild

    Welche Rolle das Kontrollinstitut für Immunbiologische Arzneimittel in Pankow bei Medikamententests westlicher Unternehmen in Ostkliniken spielte, ist undurchsichtig. In den Krisenjahren der 1980er-Jahre ermöglichte die DDR vermehrt westlichen Pharmaunternehmen Medikamententests in ihren Kliniken durchzuführen. Längst waren die großen Erfolge der Anfangsjahre, wie der Kampf gegen die Kinderlähmung, verblasst. Im Wettstreit um qualitative Impfstoffe geriet die DDR in Rückstand und musste Pharmazeutika aus dem Westen importieren. Um an dringend benötigte Auslandsdevisen zu kommen, war der DDR-Führung fast jedes Mittel recht.

    Seit Anfang der 1980er-Jahre schrieb ein spezielles DDR-Programm vor, "immaterielle Leistungen für den Export" zu erbringen. Darunter fielen auch Medikamententests an DDR-Patienten – teils möglicherweise unwissentlich. Für die Testreihen haben westdeutsche Firmen Geldsummen in Höhe von vielen hunderttausend D-Mark gezahlt, wie aus Akten im Bundesarchiv hervorgeht. Aufträge kamen außer aus Westdeutschland, auch aus der Schweiz, Frankreich, den USA und Großbritannien.

    Ehemaliges DDR-Kontrollinstitut: Lost Place nach der Wende

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    Das Institut war bis 1986 dem Ministerium für Gesundheit (MfG) unterstellt und wurde dann eigenständiger Bestandteil des Zentralinstituts für Hygiene, Mikrobiologie und Epidemiologie. Nach der Wiedervereinigung wurden die Räumlichkeiten noch für einige Zeit vom Robert-Koch-Institut teilgenutzt, dann gingen die Lichter im ehemaligen DDR-Kontrollinstitut aus und das Gebäude sowie das umgebende Gelände fielen in einen jahrelangen Dornröschenschlaf.

    Im Inneren machten sich die Spuren der Zeit bemerkbar: Der Putz blätterte von Wänden und Decken, am Boden sammelten sich immer mehr Überreste abgeplatzter Fliesen und die Metallteile im Gebäude begannen zu rosten. Gespenstisch wirkten die verbliebenen Gegenstände, die noch am Ort zu finden waren und von der Nutzung als medizinisches Labor zeugten, aber denen längst keine praktischen Aufgaben mehr zukamen: Medizinische Einrichtungen, Ampullen von Messflüssigkeiten, offenstehende Wandschränke und Kühlräume für Seren und Pharmazeutika.

    Ehemaliges DDR-Kontrollinstitut: Abriss und Umbau 2012

    2012 begannen nach jahrelangem Leerstand die Abrissarbeiten an den Gebäuden des ehemaligen Kontrollinstituts für Immunbiologische Arzneimittel in Pankow. Wo die DDR einst ihre Medikamente testen ließ, steht heute ein großer Rewe-Markt-Neubau samt Parkplatz. Wer hier einkauft, wird keine Spuren der unheimlichen DDR-Medizinruine mehr ausfindig machen können. Nur Eingeweihte kennen noch den ehemaligen Verwendungszweck, den das Gelände und seine Bauten an der Wollankstraße einst hatte.

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