Rechtsextremismus

Rechter Terror: Prozess um Neuköllner Anschlagsserie beginnt

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Ein brennendes Fahrzeug steht in Berlin-Neukölln in der Garage von Linken-Politiker Ferat Kocak.

Ein brennendes Fahrzeug steht in Berlin-Neukölln in der Garage von Linken-Politiker Ferat Kocak.

Foto: Ferat Kocak/Die Linke Berlin/dpa/Archivbild

Nach jahrelangen Ermittlungen zur Anschlagsserie müssen sich die Neonazis Sebastian T. und Tilo P. ab Montag vor Gericht verantworten.

Berlin.  Viele der Betroffenen dürften sehnsüchtig auf diesen Tag gewartet haben. Am Montag beginnt der Prozess gegen die mutmaßlichen Tätern einer Serie rechtsextremer Brandanschläge und Bedrohungen in Neukölln. Fünf Angeklagte müssen sich vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Zwei von ihnen, der 35-jährige Sebastien T. und der 39 Jahre alte Tilo P., sind im Fokus. Beide sind tief in der rechtsextremen Szene verwurzelt.

Die Polizei rechnet der Neuköllner Anschlagsserie rund 70 Straftaten zu, die zwischen Juni 2016 und März 2019 vor allem im Süden des Bezirks begangen wurden. Darunter fallen mindestens 14 Brandstiftungen und 35 Sachbeschädigungen.

Die Opfer waren ausschließlich Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten. Angeklagt sind allerdings nur zwei Fälle von Brandstiftung – begangen am 1. Februar 2018. Dabei gingen die Autos des Rudower Buchhändlers Heinz Ostermann und des Linken-Politiker Ferat Kocak in Flammen auf.

Sebastian T. war NPD-Mitglied, Tilo P. gehörte der Neuköllner AfD an

Die Anklage lautet auf Brandstiftung, Bedrohung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Sebastian T. und Tilo P. sollen möglicherweise mit unbekannten Mittätern für die beiden Brandstiftungen verantwortlich sein. Außerdem sollen sie mit den drei übrigen Angeklagten im Alter von 38, 48 und 50 Jahren im Jahr 2017 Plakate und Aufkleber mit rechtsextremen Parolen in der Stadt angebracht und angeklebt zu haben.

T. war zeitweise Mitglied der NPD, P. Bezirksvorstand der Neuköllner AfD mit Verbindungen zum rechtsextremen und mittlerweile aufgelösten „Flügel“ der Partei. Nachdem die Vorwürfe gegen ihn bekannt wurden, schloss ihn die Partei aus. „Mein Mandant ist unschuldig, daher wird eine Freispruchsverteidigung erfolgen“, sagt Tilo P.’s Anwalt Mirko Röder vor Prozessbeginn.

Der Prozess könnte einen ersten vorläufigen Abschluss nach jahrelangen, zähen Ermittlungen bilden. Die zogen sich jahrelang hin und gestalteten sich als zäh. Sebastian T. und Tilo P. standen zwar als Tatverdächtige schon lange im Fokus, es fehlte aber an Beweisen. DNA-Spuren, Tatwerkzeuge oder Augenzeugen gab es keine. Der Durchbruch gelang erst nachdem der zuständige Staatsanwalt im August 2020 abgezogen und versetzt wurde und die Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren an sich zog.

Ermittelnder Staatsanwalt wegen Befangenheitsverdacht abgezogen

Die Generalstaatsanwaltschaft reagierte damit auf eine abgefangene elektronische Textnachricht, die P. an T. geschickt haben soll. Darin soll es sinngemäß geheißen haben, dass man sich keine Sorgen mache müsse, weil der Staatsanwalt auf ihrer Seite sei und Sympathien für die AfD hege. Ob das inhaltlich zutrifft, blieb unklar. Seine Befangenheit sei jedoch „als möglich erschienen“ und man wolle dem „Anschein einer nicht sachgerechten Bearbeitung“ entgegenwirken, begründete die Generalstaatsanwaltschaft den Abzug.

In der Folge wurden die Neonazis observiert, ihre Telefone abgehört und Chatverläufe gesichert. Auch ihre Wohnungen durchsuchten die Ermittler und beschlagnahmten Handy und Computer. Im August 2021 erhob der Leitende Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg, Leiter der Abteilung für Extremismus und Terrorismus, Anklage. Die beruht vor allem auf Indizien – etwa das Tilo P. Kocaks Haus über Google-Maps ausgespäht und sich Sebastian T. wenige Stunden nach dem Anschlag intensiv mit der Berichterstattung darüber befasst haben soll. Auch Feindeslisten sollen gefunden worden sein.

Im Zuge der Aufklärung wurden noch weitere Pannen bekannt. Kocak, seit 2021 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, engagiert sich seit langem gegen Rechtsextremismus. Bereits bevor sein Auto im Carport neben dem Haus seiner Eltern in Flammen aufging, lagen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, dass er Opfer eines Anschlags werden könnte. Darüber informiert wurde er jedoch nicht, etwa im Rahmen einer Gefährdetenansprache. Im Haus schliefen zu diesem Zeitpunkt mehrere Menschen.

Ferat Kocak nach Beschwerde doch als Nebenkläger zugelassen

Das Amtsgericht Tiergarten wollte Kocak zunächst auch nicht als Nebenkläger zulassen. Am Freitag gab das Berliner Landgericht einer Beschwerde des Linken-Politikers jedoch Recht. Denn es bestehe die entfernte Möglichkeit, dass die Täter mit einem Tötungsvorsatz gehandelt haben, begründete eine Sprecherin die Entscheidung. „Das heißt aber nicht, dass der Tatverdacht eines Tötungsdelikts auch im Raum steht.“ Kocak hingegen nannte es „traurig, dass Opfer von rechten Anschlägen für ihre Rechte kämpfen müssen“.

Nach langem Ringen wurde vor allem auf Betreiben der Linken und Grünen im Mai ein Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus eingesetzt. Damit reagierten die Parlamentarier auf den Abschlussbericht zweier Sonderermittler. Rechtsextreme Netzwerke in der Polizei, wie mitunter befürchtet, fanden sie nicht, attestierten jedoch eine Reihe von Versäumnissen bei den Ermittlungen. Auch wurde kritisiert, dass der Seriencharakter der Taten lange nicht als solcher erkannt wurde, obwohl es bereits früh entsprechende Hinweise gab. All das will der Ausschuss untersuchen, der sich am Freitag zu einer Sitzung trifft.

Die Staatsanwaltschaft wirft Sebastian T. ist auch Betrug vor. So soll er 2020 unter anderem illegal 5000 Euro Corona-Soforthilfen bei der Investitionsbank Berlin beantragt und erhalten zu haben. Für den Prozess sind zehn Verhandlungstage bis zum 28. November angesetzt.