Berlin. Ein Untersuchungsausschuss soll die Hintergründe der rechten Neuköllner Anschlagsserie aufklären. AfD kündigt rechtliche Schritte an.
Der Untersuchungsausschuss zur rechten Anschlagsserie in Neukölln wurde am Donnerstag offiziell eingesetzt. Im Berliner Abgeordnetenhaus erging der entsprechende Beschluss. Der Ausschuss wird den etwas sperrigen Titel „Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Untersuchung des Ermittlungsvorgehens im Zusammenhang mit der Aufklärung der im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatenserie in Neukölln“ tragen. Lange wurde um die Einsetzung des Ausschusses gestritten.
Die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat rechtliche Schritte gegen die Einsetzung des Untersuchungsausschusses ohne ihre Beteiligung angekündigt. Für den AfD-Kandidaten Antonin Brousek und seinen Stellvertreter Karsten Woldeit gab es dabei nicht die erforderliche einfache Mehrheit. AfD-Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker sagte am Freitag, die Fraktion werde gegebenenfalls vor den Landesverfassungsgerichtshof ziehen.
Ein Sprecher des Abgeordnetenhauses sagte, der Ausschuss werde mit zehn statt mit elf Mitgliedern die Arbeit aufnehmen. „Die Mitglieder sind gewählt, der Ausschuss ist eingesetzt.“ Wenn die AfD dagegen klagen sollte, sei das eine Frage, die das Gericht kläre müsse.
AfD beruft sich auf Paragraf 3 des Berliner Untersuchungsausschussgesetzes
Im Berliner Untersuchungsausschussgesetz heißt es in Paragraf 3: „Die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder werden vom Abgeordnetenhaus nach den Vorschlägen der Fraktionen gewählt. Dabei werden die Fraktionen nach ihrer Mitgliederzahl beteiligt, wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied vertreten sein muss.“ Auf den letzten Satz beruft sich die AfD. Allerdings kann kein Abgeordneter gezwungen werden, für bestimmte Vorschläge bei der Besetzung eines Untersuchungsausschusses zu stimmen.
Am Donnerstag hatten sich im Landesparlament SPD, Grüne, Linke und CDU bei der Abstimmung über die AfD-Vorschläge enthalten, die FDP stimmte dagegen. Auch aus der Fraktion der Grünen und der Linken gab es jeweils eine Nein-Stimme. Damit gab es für die AfD mehr Nein- als Ja-Stimmen. Brinker sagte, der Ausschuss dürfe nicht starten, bevor die rechtmäßige Besetzung nicht geklärt sei.
Die AfD-Fraktionschefin hatte das Abstimmungsverhalten der FDP bereits am Donnerstag in einer Mitteilung als undemokratisch und dumm kritisiert und angekündigt, ihre Partei werde „selbstverständlich den Rechtsweg beschreiten“: „Als einzige im Parlament verweigern sich ausgerechnet die angeblich Liberalen sämtlichen parlamentarischen Gepflogenheiten und verhindern gemeinsam mit zwei versprengten grünroten Abgeordneten die Wahl des AfD-Kandidaten in den Untersuchungsausschuss.“
Untersuchungsausschuss: Das sind die Ziele
Der Untersuchungsausschuss soll sich mit zahlreichen rechtsextremen Brandanschlägen, Sachbeschädigungen und Bedrohungen im Zeitraum zwischen 2016 und 2019 sowie mit Fehlern bei der Aufklärung beschäftigen. Opfer der Straftaten waren vor allem Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert hatten. Ein Tatverdächtiger war AfD-Mitglied.
Die Fraktionen von SPD, Grünen und Linken erhoffen sich von dem Ausschuss Aufklärung. Dabei gehe es darum, „Vorgehen und Versäumnisse bei den Ermittlungen der Sicherheitsbehörden, des Landeskriminalamtes, des Berliner Verfassungsschutzes und der Staatsanwaltschaften“ zu untersuchen, wie es in einer gemeinsamen Mitteilung heißt.
Dem Ausschuss soll voraussichtlich der SPD-Abgeordnete und Innenpolitiker Florian Dörstelmann vorsitzen. Die erste Sitzung ist bereits für kommende Woche geplant, die eigentliche Arbeit wird jedoch wohl erst nach der Sommerpause starten. Er erhoffe sich neue Erkenntnisse, „die wir möglichst noch in dieser Legislaturperiode in politisches und strukturelles Handeln umsetzen können“, so der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir.
Rechte Anschlagsserie in Neukölln: Polizei geht von 72 Taten aus
Die Polizei geht von mindestens 72 Taten vor allem zwischen 2016 und 2019 aus – darunter mindestens 14 Brandstiftungen, bei denen auch Autos angezündet wurden. Opfer waren meist Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten. Nach langen und zunächst erfolglosen Ermittlungen wurde schließlich Anklage gegen zwei verdächtige Neonazis erhoben.
Der Vorwurf der Ermittlungspannen kommt dabei nicht von ungefähr. Zwei vom Senat eingesetzte Sonderermittler hatten den Behörden eben diese attestiert. Einzelne Umstände wurden als „kritikwürdig und verbesserungswürdig“ beschrieben. Die Justiz habe den Seriencharakter der Taten zu spät erkannt, obwohl es schon früher Hinweise gegeben habe.
Die Staatsanwaltschaft habe Ermittlungsverfahren zu früh eingestellt. Die Polizei habe ihre Arbeit aber „grundsätzlich ordentlich verrichtet“. Brandanschläge auf Autos seien sehr schwer aufzuklären, weil es oft weder Zeugen noch Spuren gebe, hieß es. Hinweise auf rechtsextreme Netzwerke in der Polizei fanden die Sonderermittler nicht. Diese Verstrickungen stünden jedoch im Raum und „müssen jetzt auf den Tisch und unabhängig untersucht werden“, so der Linken-Innenpolitiker Niklas Schrader.
Auch Zusammenhänge zu den Mordfällen Luke H. und Burak B. werden geprüft
„Ein besonderes Augenmerk muss der Ausschuss auf die Rolle rechtsextremer Netzwerke bei der Neuköllner Straftatenserie legen“, sagt der Grünen-Abgeordnete André Schulze. Den drei Parteien, die sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die Einsetzung des Ausschusses geeinigt haben, geht es auch um mögliche Zusammenhänge zu zwei Mordfällen in Neukölln.
Der Brite Luke H. wurde im September 2015 mit einer Schrotflinte erschossen. Der Neonazi Rolf Z. wurde zwei Jahre später zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Viele glauben, dass er auch etwas mit dem Gewaltsamen Tod von Burak B. zu tun haben könnte, der im April 2012 erschossen wurde. Z. schweigt bis heute.