Berlin-Neukölln

500 Erzieher von 22 Grundschulen schreiben Brandbrief

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Gudrun Mallwitz und Susanne Leinemann
Jeder Mensch hat ein Recht auf Bildung. Doch wenn Menschen mit und ohne Behinderungen zusammen lernen sollen, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt werden

Jeder Mensch hat ein Recht auf Bildung. Doch wenn Menschen mit und ohne Behinderungen zusammen lernen sollen, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt werden

Foto: Maurizio Gambarini / dpa

Nicht nur Erzieher, sondern auch zahlreiche Neuköllner Lehrer fühlen sich überfordert. Die Inklusion sei nicht mehr bewältigbar.

Berlin.  Die Situation an Neuköllns Schulen spitzt sich dramatisch zu. Etwa 400 bis 500 Erzieherinnen und Erzieher von 22 Neuköllner Grundschulen und Gemeinschaftsschulen mit Grundstufe haben jetzt einen Hilferuf gestartet. In einem Brief an die Lehrergewerkschaft GEW, der auch an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) und dem Petitionsausschuss zugegangen ist, beklagen sie massive Überlastung. Die Herausforderungen seien vor allem durch die Inklusion nicht mehr zu bewerkstelligen. GEW-Vorsitzender Tom Erdmann sagte der Berliner Morgenpost auf Anfrage: „Der Frust ist nachvollziehbar.“ Seit der Grundschulreform seien die Personalressourcen unverändert geblieben, die Anforderungen sei im Ganztagsbetrieb aber stark gestiegen, so Erdmann.

Auch Lehrer mehrerer Neuköllner Schulen haben in den vergangenen Wochen per Brandbrief die Öffentlichkeit gesucht. „Seit Februar haben sich sechs Schulen über die Schulaufsicht an uns gewandt“, sagte Bildungssenatssprecherin Beate Stoffers am Montag. „Wir nehmen die darin geschilderten Probleme sehr ernst.“

Die Brandbriefe beschreiben viele gravierende Probleme

In den Brandbriefen werden gravierende Probleme angesprochen: „Immer häufiger unterrichten wir Kinder, die den Anforderungen der Schule noch nicht gerecht werden“, beklagen die Lehrer. „Stetig wächst die Anzahl der Schüler, die ihre Mitarbeit verweigern, über wenig Anstrengungsbereitschaft verfügen, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht am Unterrichtsgespräch teilnehmen können, ständig abgelenkt sind, Probleme durch Handgreiflichkeiten lösen, einnässen oder einkoten“, heißt es dort. Die Lehrer lassen aber keinen Zweifel daran, dass sie ihren Beruf „mit Hingabe“ ausübten.

Für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte bislang ein anderer Brandbrief der Sonnen-Grundschule. Nach Informationen der Berliner Morgenpost kam aber ein solcher Hilferuf nicht nur aus der Sonnen-Grundschule, sondern auch aus der Karlsgarten-Grundschule, der Janusz-Korczak-Schule, der Peter-Petersen-Schule und der Regenbogen-Schule. „Solidarisch“ schloss sich auch die Otto-Hahn-Sekundarschule an. „Alle Probleme, von denen Sie aus den Brennpunkten dieser Stadt hören, treffen in besonders dramatischer Weise gerade auf unseren Kiez zu“, heißt es dort. „So wollen und können wir nicht mehr arbeiten.“ Die Briefeschreiber halten der Bildungssenatsverwaltung vor, es sei „fahrlässig“, angehende Lehrer – egal ob Quereinsteiger oder Referendare – gegen ihren Willen an Brennpunktschulen auszubilden.

Bildungsbehörde wehrt sich gegen Vorwürfe

Gegen die Vorwürfe wehrt sich die Senatsverwaltung für Bildung. Die Schulen hätten sofort das Angebot erhalten, mit der Schulaufsicht darüber zu sprechen, sagte Bildungssenatssprecherin Stoffers. Bislang habe nur die SonnenGrundschule davon Gebrauch gemacht. Stoffers betonte, es werde Verbesserungen für Brennpunktschulen unter Rot-Rot-Grün geben. So will man die Schulen weiter entlasten. Verwaltungsleitungen würden bevorzugt dort eingestellt, das Jugendsozialarbeitsprogramm werde ausgebaut. Eine Reduzierung der Pflichtstunden der Lehrer auf 20 Stunden, wie in mehreren Brandbriefen gefordert, sei aber unrealistisch, da es zurzeit zu wenig ausgebildetes Personal gebe.

Neuköllns Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD) betonte auf Anfrage: „Gerade an Brennpunktschulen ist es wichtig, dass die personelle Ausstattung stimmt.“ Obwohl es derzeit wenige Lehrer gebe, müsse dafür gesorgt werden, dass die Schulen in einem schwierigen Umfeld vorrangig mit guten Pädagogen ausgestattet würden.

Senatorin Scheeres und auch andere Bildungsminister von SPD, Grünen und Linkspartei wollen eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern für Brennpunktschulen starten. Der Vorstoß werde in die Kultusministerkonferenz eingebracht, kündigte Scheeres an.

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