Einen Heroin-Dealer gefasst, mehrere Anzeigen wegen Körperverletzung, Beleidigungen, mehrere Schwarzarbeiter erwischt und Verstöße gegen den Jugendschutz geahndet: Das ist die Bilanz eines Großeinsatzes der Polizei, des Ordnungsamtes und des Finanzamtes in Neukölln. 120 Polizisten und Mitarbeiter der anderen Behörden waren am Mittwoch zwischen 7 und 22 Uhr rund um den Hermannplatz im Einsatz, der immer wieder wegen Gewaltkriminalität, Drogenhandel und Diebstählen im Gespräch ist.
Noch in der Nacht zu Donnerstag zeigt sich erneut, warum: Einem Pärchen, das auf dem Platz sitzt, wurde gegen Mitternacht von fünf Unbekannten die Handtasche geraubt. Als sich die beiden wehrten, entriss einer der Räuber einem Unbeteiligten seine Krücke und prügelt damit auf das Paar ein. Erst als Passanten sich einmischten, ließen die Täter von ihren Opfern ab und flüchten. Eine dreiste Tat, die doch kein Einzelfall ist. Nach dem Alexanderplatz und dem Kottbusser Tor werden an keinem Berliner U-Bahnhof mehr Straftaten verübt als am Hermannplatz
Jedes Jahr kommt es hier zu rund 1300 Straftaten
Ortstermin, zwei Wochen zuvor: Es ist Donnerstag, Markttag. Dutzende Menschen spuckt der U-Bahn-Aufgang pro Minute aus. Hier kreuzen die beiden wichtigen Linien U7 und U8. Laut BVG steigen dort am Tag über 100.000 Menschen ein und aus. Der Wochenmarkt, mit Gemüse-, Kunst- und Klamottenständen belebt die triste Verkehrsinsel. Neben dem U-Bahn-Ausgang lehnt an der Wand ein junger Mann, ganz in Schwarz gekleidet. Plötzlich geht er zielstrebig auf einen grauhaarigen Herren zu, der auf seinem Smartphone herumtippt. Mehrere Sekunden nestelt er an dessen Rucksack herum, geht dann weiter. Kaum jemand hat Notiz davon genommen, auch das Opfer nicht. Kurze Zeit später das gleiche Schauspiel: Der Mann stellt sich hinter eine ältere Dame, die am Gemüsestand in den Kohl vertieft ist. Es scheint, als werde der Ort seinem Ruf, als einer der gefährlichsten Orte Berlins an diesem Tag gerecht.

Laut einer Statistik der Berliner Polizei geschahen in den vergangenen Jahren je etwa 1300 Straftaten am Hermannplatz – die Tendenz ist gleichbleibend. Erfreulich, dass die Zahl der Körperverletzungen in den letzten Jahren abnehmend ist. Tatsächlich kommt es aber immer wieder zu aufsehenerregenden Zwischenfällen. Erst Anfang Oktober schlug ein 23 Jahre alter Mann nach einer Massenschlägerei hier einen Polizisten nieder. Er musste von mehreren Beamten zu Boden gebracht werden. Zwei Beamte wurden dabei verletzt. Nur einige Tage später wurde eine junge Frau beim Verlassen einer Bankfiliale von einem 17-Jährigen mit einem Messer bedroht.
Zahl der Taschendiebstähle hat sich zwischen 2014 und 2016 verdoppelt
Raub und vor allem Laden- und Taschendiebstahl sind am Hermannplatz fast an der Tagesordnung. Denn hier prallen die sozialen Probleme der Menschen, die in der Gegend leben, zusammen mit den Touristen, die Nord-Neukölln als Kulturort oder Partymeile schätzen. Besonders die Zahl der Taschendiebstähle hat sich dort zwischen 2014 und 2016 verdoppelt. Ein Trend allerdings, den es in den vergangenen Jahren in ganz Berlin zu beobachten galt.
Zurück auf den Wochenmarkt. Hätte der schwarz gekleidete Mann tatsächlich böse Absichten gehabt, die Opfer hätten jetzt kein Portemonnaie mehr oder kein Handy, so aber hat er lediglich einen Aufkleber der Berliner Polizei an den Rucksack-Verschluss geheftet: „Vorsicht, Taschendiebe!“ Denn der Unbekannte heißt eigentlich Patrick Mattern und ist Polizist. Er klärt zusammen mit seinem Kollegen, Kriminalkommissar Philip Federlein, über die Tricks der Diebe auf. Gerade hat die Berliner Polizei Gebiete veröffentlicht, an denen man besonders gefährdet ist: dazu zählen der Kudamm, der Alexanderplatz, die Friedrichstraße, der Potsdamer Platz und die Warschauer Straße sowie der Flughafen Tegel und andere große Umsteigebahnhöfe – wie der Hermannplatz.
Die Präventionskampagne der Polizei scheint anzukommen
Auf jeden, den sie auf dem Wochenmarkt mit einem ihrer Klebchen „erwischen“, geht Federlein anschließend zu und erklärt, wie man sich am besten gegen die Diebe schützt. „Wertgegenstände gehören in die vorderen Hosentaschen oder in die Innentasche der Jacke“, sagt der Polizist. „Wir empfehlen außerdem, nicht zu hohe Bargeldsummen mit sich zu führen.“ Grundsätzlich helfe, die Augen offen zu halten und achtsam zu sein, gerade an belebten Orten wie großen U-Bahnhöfen. Besonders gefährdet seien Rentner und Touristen. Die Diebe hätten sich auf diese Gruppen eingestellt, da sie meist viel Bargeld mit sich führten.
Die Präventionskampagne der Polizei scheint anzukommen: Doris Topp, von dem Polizisten am Gemüsestand ertappt: „Ich finde die Aktion super, man kriegt den Spiegel vorgehalten“, sagt die Neuköllnerin, „weil das sind ja Dinge, die man eigentlich weiß, dass man auf seine Tasche aufpassen muss.“ Als sie gerade den frischen Blumenkohl einpackte, hat sie trotzdem ein Klebchen abbekommen. In Zukunft will sie noch aufmerksamer sein.
Taschendiebe handeln professionell organisiert
Genau diese Momente sind es, die die Diebe ausnutzen. Denn es sind meist keine Jugendlichen, die sich ihr Taschengeld aufbessern wollen oder Langeweile haben, sagt Kommissar Federlein. „Die Wenigsten sind Einzeltäter, sondern professionell ausgebildete Taschendiebe“, erklärt Federlein. Es gebe überregionale und sogar internationale Strukturen dahinter. Strukturen, die im Jahr 2016 für fast 45.000 Taschendiebstähle verantwortlich waren. Doppelt so viele Taten wie im Jahr 2013 und fast elf Prozent mehr als noch 2015. Und über 90 Prozent der Tatverdächtigen sind nicht-deutscher Herkunft, das geht aus der polizeilichen Kriminalstatistik hervor.
Allerdings, so Federlein, zeigten die Maßnahmen der Polizei Wirkung. Im Jahr 2016 hatte man erst eine spezielle Ermittlungsgruppe gegen „Antänzer“ eingerichtet und auch die „Operative Präventionsgruppe Taschendiebstahl“ gestartet, die nun am Hermannplatz mit ihren Aufklebern aktiv ist: „Für dieses Jahr deuten die Zahlen bereits auf einen deutlichen Rückgang von Taschendiebstahl hin“, sagt Federlein. Auch am Hermannplatz gehen die Fallzahlen zurück – nur 77 angezeigte Fälle von Taschendiebstahl gab es in diesem Jahr bislang.
Auch Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sieht die Entwicklung des Hermannplatzes positiv. „Die Situation hat sich auf dem Hermannplatz gebessert“, sagt sie. „Größere Gruppen von Trinkern und Drogenabhängigen konnten durch die Einrichtung des täglichen Wochenmarktes vom Platz verdrängt werden.“ Dadurch habe man die Verwahrlosung am Hermannplatz aufhalten können. „Soziale Kontrolle“ nennt sie das. Allerdings, stellt Giffey fest, sei die Anzahl der Straftaten und vor allem der Drogenhandel nach wie vor ein Problem. Sie unterstützt deswegen die Initiative von Innensenator Andreas Geisel (SPD) eine mobile Videoüberwachung am Hermannplatz zu installieren. Der Bahnhof ist einer der ersten fünf Orte in Berlin, an denen das System getestet wird. „Auch wenn Kameras keine Verbrechen verhindern können, können sie die Aufklärungsquote erhöhen, weil sie Beweise sichern“, erklärt Giffey. Letztlich könne das erhöhte Risiko, entdeckt zu werden, dazu führen, Täter abzuschrecken.
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