Serie Kriminalität

So gefährlich ist der Leopoldplatz in Wedding

| Lesedauer: 7 Minuten
Hans H. Nibbrig
Die Nazareth-Kirchgemeinde liegt direkt am Leopoldplatz in einem kriminalitätsbelasteten Schwerpunkt. Ihre Kita soll darum auf die gegenüberliegende Straßenseite umziehen

Die Nazareth-Kirchgemeinde liegt direkt am Leopoldplatz in einem kriminalitätsbelasteten Schwerpunkt. Ihre Kita soll darum auf die gegenüberliegende Straßenseite umziehen

Foto: Reto Klar

Die Trinkerszene und Drogenhandel belasten Anlieger und Einzelhändler am Leopoldplatz in Wedding.

Alle zwei bis drei Monate treffen sich in vielen Berliner Stadtteilen und Kiezen die örtlichen Geschäftsleute zum sogenannten Händlerfrühstück. Auf der Tagesordnung stehen üblicherweise ­geplante Veranstaltungen, gemeinsame Werbeaktionen oder aktuelle gewerberechtliche Streitigkeiten mit Ämtern und Behörden. Wenn sich die Einzelhändler aus dem Kiez rund um den Leopoldplatz und der Müllerstraße in Wedding treffen, werden diese Dinge schnell mal zur Nebensache. Bei ihrem Händlerfrühstück sind Kriminalität und Sicherheit seit jeher die beherrschenden Themen.

Der Leopoldplatz ist einer der ältesten kriminalitätsbelasteten Orte in Berlin. Kriminalität in allen Facetten gibt es schon seit Jahrzehnten, mal mehr, mal weniger. Drogenhandel, Schlägereien, Raub und Diebstähle sind nach wie vor Alltag. Hinzu kommt eine zahlenmäßig große Trinkerszene.

2014 gab es auf dem Leopoldplatz den bis dato massivsten Anstieg von Straftaten. Im vergangenen Jahr lag deren Gesamtzahl bei 3114, die Halbjahresbilanz 2017 (1514 Delikte bis einschließlich Juni) lässt für dieses Jahr eine ähnlich hohe Zahl erwarten. Dabei haben gemeinsame Anstrengungen von Polizei, Bezirk und Anwohnerinitiativen durchaus Erfolge verzeichnet, der Anstieg wurde eingedämmt, in einigen Deliktbereichen sind sogar Rückgänge zu verzeichnen. Auch der optische Eindruck von Berlins einstmals „größter Schmuddelecke“ hat sich deutlich verbessert.

Eine Hausordnung für ein Klohäuschen soll helfen

Zwei Deliktarten sind allen Bemühungen zum Trotz weiterhin Alltag rund um den Leopoldplatz und beunruhigen Anwohner und Gewerbetreibende gleichermaßen. Das gilt vor allem für den Drogenhandel. 206 Fälle hat die Polizei im ersten Halbjahr 2017 gezählt, das sind 35 mehr als im gesamten Jahr 2014. Setzt sich diese Entwicklung bis Jahresende fort, droht ein Anstieg der Delikte gegenüber dem Vorjahr um 40 Prozent. Anwohner berichten zudem, dass immer häufiger selbst Kinder in den schwunghaften Handel eingebunden werden. Die Polizei kann dies nicht bestätigen, die Anrainer beharren allerdings auf ihren Beobachtungen.

Probleme bereitet auch die hohe und stetig steigende Zahl von Ladendiebstählen, die dem Einzelhandel zu schaffen macht. 243 angezeigte Delikte gab es im ersten Halbjahr 2017. Das waren deutlich mehr als im ganzen Jahr 2013 (200 Fälle) und annähernd so viel wie im gesamten Jahr 2014 (260 Fälle). Für das Jahr 2017 wird gegenüber dem Vorjahr mit seinen 395 gemeldeten Ladendiebstählen ein weiterer Anstieg von etwa 30 Prozent erwartet.

Und es bleibt nicht nur bei Diebstählen, immer wieder kommt es auch zu Raubüberfällen. „Einzelhändler in Angst“, war vor Monaten so eine Schlagzeile. Es ist eine Stimmung, die sich breit macht im Kiez. „Eine Verunsicherung und das Gefühl, jederzeit Opfer werden zu können, ist da“, sagt Boutique-Verkäuferin Karin Lielischkie. Gespräche mit Geschäftsleuten zeigen, jeder neue Fall macht schnell die Runde. Und noch heute kommt die Rede regelmäßig auf einen bereits zwei Jahre zurückliegenden Überfall auf ein Musikgeschäft, bei dem die 84-jährige Besitzerin niedergestochen wurde.

Beim Polizeiabschnitt 35 wurde eigens eine Streife speziell für den Leopoldplatz eingerichtet, das Ordnungsamt ist häufiger als früher präsent und am „Runden Tisch Leopoldplatz“ kommen regelmäßig Behördenvertreter und Interessengruppen zusammen, um Probleme und geeignete Gegenmaßnahmen zu erörtern. Es fehlt nicht an Ideen und Konzepten, es fehlt aber immer wieder an der Nachhaltigkeit, um die Situation dauerhaft zu verbessern. Kriminalität und Verwahrlosung entwickeln sich in Wellenbewegungen, solange Maßnahmen konsequent umgesetzt werden, zeigen sich Erfolge, werden sie zurückgefahren, treten die alten Probleme wieder auf.

Ein Beispiel ist der Umgang mit der Trinkerszene. Nachdem die nahezu den gesamten Leopoldplatz mit Beschlag belegt hatte, wurde 2011 für diese Klientel in Räumen der Nazareth-Kirchgemeinde der Trinkraum „Knorke“ eingerichtet, der Erfolg war schnell spürbar. Das Aus für das Projekt kam abrupt, als dort 2015 bei einer Razzia ein Drogendepot entdeckt wurde. Schnell breitete sich die Trinkerszene erneut aus. Jetzt soll die Knorke wieder öffnen. Und zusätzliche Abhilfe soll, wie Thorsten Haas, der Präventionsbeauftragte des Bezirks Mitte berichtet, der am 1. September probeweise eingerichtete Platzdienst schaffen.

Oberflächlich betrachtet wirken manche Bemühungen allerdings eher naiv als vielversprechend. So werden die öffentlichen Toiletten auf dem Leopoldplatz häufig zur Abwicklung von Drogengeschäften genutzt. Hier können sich Dealer und Käufer unbeobachtet treffen. Jetzt soll das Toilettenhäuschen eine Hausordnung erhalten, die vorschreibt, dass sich jeweils nur eine Person im Inneren aufhalten darf. „Da müssen sich Dealer und Konsumenten nur noch an die Hausordnung halten und alle Probleme sind gelöst“, kommentiert ein Drogenfahnder sarkastisch.

An einem normalen Wochentag im Oktober wirkt der Leopoldplatz wie so viele Parks in Berlin: Mitglieder der Trinkerszene haben einige Bänke mit Beschlag belegt, in einer abgelegenen Grünfläche kampieren Obdachlose und dazwischen drehen einzelne junge Männer ihre Runden, von denen Anwohner steif und fest behaupten, es seien Drogenhändler. Gelegentlich ertönt Geschrei, ansonsten ist es ruhig, man sieht sogar Mütter mit ihren Kindern.

Kita der Kirchgemeinde gibt auf und zieht um

Zum kriminellen Brennpunkt wird die ganze Gegend erst nach Einbruch der Dunkelheit. Und der Leopoldplatz wird zum Rückzugsraum der Täter. Ob nach einem Überfall auf ein Geschäft an der Müllerstraße oder einer Schlägerei im unter dem Platz gelegenen U-Bahnhof, die Grünanlage bietet die ideale Möglichkeit, schnell unterzutauchen.

Ob tatsächlich Kinder am Drogenhandel auf dem Leopoldplatz beteiligt sind, bleibt einstweilen unklar. Klar hingegen ist, dass Kinder unter den dortigen Zuständen leiden. Als Konsequenz daraus soll die am Rand des Platzes gelegene Kita der Nazareth-Kirchgemeinde geschlossen werden und auf die andere Straßenseite umziehen. Seit einiger Zeit dient zwar ein Zaun mit Folie gewissermaßen als „Pinkelschutz“ für die Außenanlage der Kita. Trotzdem muss das Gelände jeden Morgen von Glasscherben, Spritzen und anderem Müll gereinigt werden, bevor die Kinder nach draußen dürfen, berichtet eine Gemeindeangestellte. Damit soll jetzt endgültig Schluss sein, Termin für den Umzug ist allerdings erst der Herbst 2018.

Für den gegenüber dem Leopoldplatz gelegenen Vorplatz des alten Rathauses Wedding gilt seit einiger Zeit ein Alkoholverbot. Auch dort zeigt sich dem Beobachter häufig ein trostloses Bild. Hier residierte viele Jahre das Arbeitsamt Wedding. Ein Foto des Gebäudes hat nahezu jeder Deutsche schon einmal gesehen, wenn auch nur unbewusst. Denn wann immer bei der monatlichen Bekanntgabe der Arbeitslosenzahlen in den Fernsehnachrichten eine negative Entwicklung gemeldet werden musste, tauchte hinter den Nachrichtensprechern als Symbolfoto das Arbeitsamt Wedding auf.

An die Stelle des Arbeitsamtes ist inzwischen das Jobcenter getreten. An der Arbeitslosigkeit im Wedding hat sich allerdings nichts geändert.

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