Kriminalität

Warschauer Brücke - So gefährlich ist die Partymeile

| Lesedauer: 7 Minuten
Hans H. Nibbrig
Viele Feierwütige  beginnen das Trinken schon auf der Warschauer Brücke – oder verlegen ihre Party gleich ganz dorthin

Viele Feierwütige beginnen das Trinken schon auf der Warschauer Brücke – oder verlegen ihre Party gleich ganz dorthin

Foto: David Heerde

Serie "Berlins gefährliche Orte": Auf der Warschauer Brücke und am RAW-Gelände sind viele Trickdiebe unterwegs.

Die Gegend rund um Warschauer Brücke und RAW-Gelände scheint keine Jahreszeiten zu kennen. Es ist kühl an diesem Oktoberabend in Berlin, dem Betrieb tut dies jedoch keinen Abbruch. Vor allem an den Wochenenden sind kaum weniger Menschen unterwegs als im Sommer. Es herrscht ein buntes Sprachgewirr, das Areal erfreut sich vor allem bei jungen Berlin-Besuchern aus dem Ausland großer Beliebtheit.

Allerdings nicht nur bei denen, auch Kriminelle zieht es in Massen an den Ort, der Party-Meile und kriminalitätsbelasteter Ort zugleich ist. Vor fünf Jahren setzte dort ein alarmierender Anstieg der Kriminalität ein. Registrierte die Polizei 2012 noch 3491 Straftaten, waren es 2015 bereits 6677. Explodiert sind in diesem Zeitraum die Drogenkriminalität (von 256 auf 1259 Taten) und der Taschendiebstahl (von 302 Delikten auf 1745). Auf dem Höhepunkt der besorgniserregenden Entwicklung startete die Polizei ihre Gegenmaßnahmen, die größtenteils bis heute anhalten. Ständige Präsenz gehört dazu, allerdings rücken die Einsatzkräfte bei Bedarf gar nicht erst mit ein oder zwei Funkstreifenbesatzungen an, sondern gleich mit Gruppenstreifen.

Nirgendwo ist das Einsatzaufkommen höher, als in der für Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln zuständigen Direktion 5 mit gleich mehreren Brennpunkten. Bewältigen lässt sich der Kraftakt nur mit Unterstützung durch Einheiten der Bereitschaftspolizei oder Kräften aus anderen Direktionen, in denen es etwas ruhiger zugeht. Die aufwendige Arbeit der Polizei zeigte Erfolg, seit zwei Jahren sind die Zahlen deutlich rückläufig. Sie liegen im ersten Halbjahr 2017 mit 262 Taschendiebstählen und 369 Drogendelikten aber immer noch auf hohem Niveau. Die Gesamtzahl der Straftaten lag in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bei 1931, in 2016 waren es 4562 Delikte, bei der Polizei wird für 2017 im zweiten Jahr hintereinander ein deutlicher Rückgang der Delikte erwartet. „Anlass zur Entwarnung gibt es allerdings nicht“, sagt ein Zivilfahnder.

„Das ist wie ein kostenloses Unterhaltungsprogramm“

Zur klassischen Präventions- und Aufklärungsarbeit der Polizei gehört gemeinhin der Rat, sich von kriminellen Brennpunkten fernzuhalten. Auf der Warschauer Brücke und dem RAW-Gelände wäre dies ein hoffnungsloses Unterfangen, vor allem die jungen Berlin-Besucher aus dem Ausland kommen trotzdem. Es ist ein sonderbares Völkchen, das hier zwischen der Brücke und den umliegenden Clubs und Kneipen flaniert. Es entsteht tatsächlich der Eindruck, dass viele nicht trotz des Kriminalitätsrisikos kommen, sondern gerade wegen des damit zu erwartenden Nervenkitzels.

„Das ist wie ein kostenloses Unterhaltungsprogramm“, kommentiert der Spanier Jorge in fehlerfreiem Deutsch einen von ihm und seinen Freunden beobachteten Polizeieinsatz. Jorge stammt aus einem kleinen Ort im Nordosten Spaniens. Barcelona liegt in der Nähe, also verbringt er viele Wochenenden auf den weltberühmten Ramblas. Und dort, versichert der 24-Jährige, seien vier bis fünf größere Polizeieinsätze der Normalfall.

Wenige Meter weiter unterhält sich eine Gruppe finnischer Touristen. Auch wer kein Wort versteht, erkennt deutlich, dass sich die Gruppe für irgendetwas enorm begeistern kann. „Die haben gerade festgestellt, dass hier alles genau so ist, wie es zu Hause in den Zeitungen beschrieben wurde“, übersetzt eine deutsch sprechende junge Frau die Unterhaltung ihrer Begleiter. Währenddessen strömen an diesem späten Freitagabend vom S-Bahnhof Warschauer Straße und von den Straßenbahnhaltestellen im Minutentakt immer neue Gruppen von Feierwütigen heran. Wer sich das Geld für die Clubs und Lokale am RAW-Gelände sparen möchte, und das sind offenbar viele, der verlegt die Party einfach auf die Straße. Die Ausstattung holt man sich unter anderem im „Reisemarkt“ am S-Bahnhof. Das Bier werde hier gleich palettenweise verkauft, erklärt ein Verkäufer.

Der hohe Alkoholkonsum zeigt auch im Laufe dieses Freitagabends seine Wirkung. Ist der Pegel ausreichend gestiegen, reicht ein unbedachtes Wort oder ein unbeabsichtigter Rempler, schon gehen zwei Kontrahenten oder gleich zwei Gruppen aufeinander los, meistens mit den Fäusten, zunehmend häufiger auch mit Messern. Es dauert dann nur Augenblicke – und Sirenengeheul kündigt das Herannahen der Polizei an. Würde der Spanier Jorge mitzählen, er käme zu der Erkenntnis, dass die Warschauer Brücke bei der Anzahl der Polizeieinsätze pro Nacht durchaus mit den Ramblas in Barcelona mithalten kann.

Dem Inhaber des Reisemarktes ist durchaus bewusst, dass er und viele andere Händler den Alkohol verkaufen, der für regelmäßige Schlägereien sorgt. Aber er hat ein aus seiner Sicht gewichtiges Argument: „Besser, die Leute kaufen Alkohol, als dass sie sich ihren Stoff bei denen da kaufen“, sagt der Händler und deutete auf mehrere Männer, die allein und abseits der feiernden Gruppen auf der Brücke stehen. „Das sind Dealer, die warten auf Kundschaft“, erklärt der Händler. Ob es tatsächlich Drogenhändler sind, bleibt unklar, sie wirken aber durchaus so.

Taschendiebe und Räuber agieren immer aggressiver

Neben Drogendealern sind es vor allem Straßenräuber und Trickdiebe, die das Areal bevölkern. Beim Taschendiebstahl eskalierte die Lage Ende 2015, Anfang 2016, unter anderem durch zunehmende Aggressivität der Täter, die immer wieder auch Messer einsetzten. „In dieser Phase haben wir verstärkt sogenannte Antänzer-Taten feststellen müssen, also Diebstähle, die plump und unvermittelt erfolgen und oft mit körperlichen Angriffen auf die Opfer verknüpft waren“, erklärt Polizeisprecher Winfrid Wenzel. Eine spezielle Ermittlungsgruppe habe seither viele Täter identifizieren und in Haft bringen können. Seither habe die Polizei diese Klientel gut im Griff, versichert Wenzel.

Im Polizeipräsidium und in der Direktion 5 werden diese Aktivitäten der kriminellen Klientel nicht nur in Statistiken erfasst, es werden auch aufwendige Lagebilder erstellt. „Was wie Zahlenspielerei wirkt, ist überaus wichtig für unsere Planung. Wir können so festlegen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten wir Kräfte vor Ort oder in Bereitschaft brauchen“, erläutert ein Einheitsführer der Bereitschaftspolizei.

Den aufwendigen Analysen ist zu entnehmen, dass an der Warschauer Brücke die Woche für gewöhnlich mit einer eher geringen Anzahl von Straftaten beginnt, diese sich aber bis zum Wochenende Abend für Abend steigern. Die Lagebilder zeigen auch auf, dass Gewalttäter wie Räuber oder Schläger bevorzugt am Wochenende zwischen 3 und 5 Uhr zuschlagen, Taschen- und Trickdiebe an diesen Tagen zwischen 1 Uhr und 5 Uhr. Die größten Chancen, einen Besuch der Warschauer Brücke und des RAW-Geländes unbeschadet zu überstehen, sind montags vormittags zwischen 8 und 9 Uhr. Aber wer geht dann schon feiern?

Alle Teile der Serie finden Sie hier

Mehr zum Thema:

Innensenator: Justiz soll Dealer härter bestrafen

„Polizisten werden schon bei Verkehrskontrollen angegriffen“

S-Bahnhof Hermannstraße - Drogen, Dreck und Großfamilien