Berlin. Jetzt ist der Verkehr auch wieder für Autos frei: Nach monatelangem politischen Hick-Hack sind die letzten Absperrungen gefallen und die Friedrichstraße in Berlin-Mitte ist wieder auf ganzer Länge geöffnet. Bislang war ein etwa 500 Meter langer Abschnitt zwischen Französischer und Leipziger Straße für den Autoverkehr gesperrt. Am Sonnabend hält sich der Durchfahrts- und Parkverkehr zunächst noch in Grenzen. Die Reaktionen bei Passanten und Autofahrern auf die Öffnung sind indes unterschiedlich, aber nicht so stereotyp, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte.
„Für uns ist es wichtig, dass festgelegt ist und nicht ständig geändert wird, ob die Friedrichstraße für Autos geöffnet ist“, sagt Lucy, die nur ihren Vornamen in der Zeitung lesen möchte. Die 29-Jährige arbeitet im Konzerthaus wenige Meter weiter am Gendarmenmarkt. Dort habe der mehrfache Wechsel zwischen Sperrung und Freigabe gerade im Lieferverkehr immer wieder für Irritationen gesorgt. Ginge es nach ihr, würde sie sich eine Sperrung für den Autoverkehr wünschen, damit so mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer geschaffen wird.
Wie berichtet, hatte die damalige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) kurz vor der Wiederholungswahl Ende Januar 2023 eine Umwidmung in eine Fußgängerzone eingeleitet. Davor galt in der Friedrichstraße bereits von August 2020 bis Ende November 2022 ein Durchfahrtsverbot für motorisierte Fahrzeuge. Ein entsprechender Verkehrsversuch war allerdings bereits im Oktober 2021 ausgelaufen. Das Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße“ hatte sich für eine Öffnung eingesetzt, Weinhändlerin Anja Schröder aus der parallel verlaufenden Charlottenstraße gegen die Fortführung der Sperrung geklagt und schließlich Recht bekommen.
Lesen Sie auch den Kommentar: Friedrichstraße: Vom Modellprojekt der Verkehrswende zum Dauerzankapfel
Friedrichstraße in Berlin: Einkaufsmeile bereits zum zweiten Mal wieder freigegeben
Kurz nach Amtsantritt der schwarz-roten Regierung ordnete die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) im Mai an, die Straße vorerst wieder freizugeben, um Einsprüchen von Anliegern zu entsprechen und in einem breiten Beteiligungsprozess ein städtebauliches und verkehrliches Gesamtkonzept für den Bereich um Friedrichstraße, Gendarmenmarkt und Checkpoint Charly zu erarbeiten. Los gehen soll es damit im Herbst dieses Jahres.
Ähnlich unterschiedlich wie in Politik und Geschäftswelt fallen auch die Meinungen der Passanten aus. Torsten Heisler (52) ist nicht grundsätzlich gegen eine Verkehrsberuhigung, wünscht sich aber ebenfalls ein umfassendes Konzept „und nicht einfach nur so 500 Meter.“ Der gebürtige Berliner lebt in Ahrensfelde, kommt für den Wocheneinkauf nach wie vor in die Innenstadt. „Und dafür nehme ich das Auto“, sagt er, als er gerade in einer Seitenstraße parkt. Für den Moment ist er froh, dass die Friedrichstraße wieder geöffnet ist.
„Die Straße belebt sich mit dem Autoverkehr wieder“, ist Angelika aus Lichtenberg überzeugt. Die 69-Jährige ist nach längerer Zeit mal wieder in die Innenstadt gekommen, um Bummeln zu gehen. Auch wenn sie die Öffnung für Autos befürwortet, ist sie selbst mit der Bahn in die Stadt gekommen. „Denn Parkplätze findet man trotzdem nicht oder sie sind zu teuer“, sagt die Berlinerin.
Friedrichstraße: Die meisten Besucher kommen mit dem öffentlichen Nahverkehr
Familienvater Benjamin Harnack (35) ist mit Partnerin Kathleen (36) und den beiden Kindern Jakob (4) und Max (9 Monate) unterwegs. Er sagt: „Es gibt genug Fußgängerzonen in Berlin.“ Auch er hofft auf positive Effekte für die umliegenden Geschäfte, würden seinen Einkauf in der Friedrichstraße aber auch nicht mit dem Auto erledigen.
Die beiden Städtereisenden Inga und Artëm aus Hamburg sind regelmäßig in Berlin zu Gast. „Ich kenne die Diskussion auch aus Hamburg“, sagt der 43-jährige Artëm. Seiner Ansicht nach sollte die Straße nur für den Lieferverkehr frei sein. Er würde sich für die Friedrichstraße eine Fußgängerzone wünschen. „Am besten mit Musik.“ Partnerin Inga (37) sieht das ähnlich. Die zumindest am späten Vormittag noch weitgehend leere Straße erscheint ihr „gespenstisch“.
„Mir gefiel es mit den Bänken und der Bepflanzung besser“, sagt auch Roza. Die 34-Jährige ist mit einem gemieteten E-Lastenrad und Tochter Emilia (2) unterwegs. Sie wohnt nur ein paar Straßen weiter und ist bislang gern zum Kaffeetrinken auf die Friedrichstraße gekommen. Für ein Auto sieht sie in der Stadt keine Notwendigkeit.
Passant bringt dritte Möglichkeit für die Friedrichstraße ins Spiel
Nikolaj, der gerade vor dem Russischen Haus hält, bringt schließlich eine weitere Möglichkeit ins Spiel: eine temporäre Sperrung. „In der Woche behindert sie sonst den Alltag, am Wochenende bin ich dafür“, sagt der junge Mann.
- Humboldt-Forum belässt umstrittenes Spruchband an der Schlossfassade
- U-Bahnhof Pankstraße: Darum hat es hier gestunken
- Mafia-freie Tomatensoße im Wedding: Direkthandel soll für faire Geschäfte sorgen
Während angrenzende Cafés ihre Tische in den vergangenen Tagen von der Straßen holen mussten, ist inzwischen klar, was mit den Stadtmöbeln passiert, die bislang auf der Friedrichstraße aufgestellt waren. Der Bezirk Mitte nutzt sie weiter und hat mehrere bepflanzte Sitzgelegenheiten inzwischen etwa an der Kreuzung Triftstraße zur Tegeler Straße im Wedding aufgestellt. Am Nachmittag trauten sich schließlich wieder mehr Fahrzeuge – viele der Luxuskategorie zuzuordnen – in die Friedrichstraße.