Berlin. Sie ist abgeschottet, ihre Mitglieder agieren meist im Verborgenen: Nur selten haben normale Bürgerinnen und Bürger Kontakt zur kriminellen Halbwelt dieser Stadt. Manchmal bricht sie jedoch einfach hervor – wie am Donnerstagabend in Gesundbrunnen. Dort wurden zwei Männer aus einem Auto heraus angeschossen. Der Schießerei sollen Auseinandersetzungen im kriminellen Clanmilieu vorausgegangen sein. Um welche Clans es sich handelt, wurde aus ermittlungstaktischen Gründen nicht gesagt.
Schüsse aus Büroräumen in Gesundbrunnen
Der Vorfall ereignete sich laut Polizei gegen 19.15 Uhr auf der Pankstraße unweit der Ecke zur Wiesenstraße. Die Schüsse wurden aus im Erdgeschoss befindlichen Büroräumen eines Mehrfamilienhauses an der Pankstraße abgegeben. Die Kugeln trafen einen 40 und einen 49 Jahre alten Mann, die sich zu diesem Zeitpunkt dort aufhielten. Der jüngere wurde von den Kugeln in Arm und Rücken getroffen. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und operiert, wobei Lebensgefahr laut Polizei dem Vernehmen nach nicht bestehe. Der andere erlitt eine Kopfverletzung, konnte aber nach einer ambulanten Versorgung entlassen werden.
Schießerei in Gesundbrunnen: Nächster Polizeiabschnitt nur wenige Meter entfernt
Hintergrund des Schusswechsel sind ersten Ermittlungen zufolge Familienstreitigkeiten. Eine Mordkommission und Mitarbeiter des Landeskriminalamtes sicherten bis in die Nacht Spuren am Tatort. Er liegt nur wenige Meter vom nächsten Polizeiabschnitt entfernt. Die Pankstraße war dafür stadtauswärts bis Mitternacht gesperrt.
Noch am Abend wurde die Fahndung nach den Tatverdächtigen eingeleitet und zwei Wohnungen im Umfeld durchsucht – allerdings ohne Erfolg. Wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts hat die 4. Mordkommission des Landeskriminalamtes die Ermittlungen übernommen.
„Es ist leider kein Geheimnis, dass bei Protagonisten aus der organisierten Kriminalität auch vor Waffengewalt nicht zurückgeschreckt wird und man Streitigkeiten auch auf offener Straße austrägt“, hieß es am Freitag in einer Mitteilung von Stephan Weh, Berliner Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. „Es gehört ein Stückweit zu ihrem Habitus, dass kriminelle Clanmitglieder heutzutage Konkurrenzsituationen mit der Schusswaffe lösen, und den Tod des Gegenübers ebenso wie den von Unbeteiligten völlig skrupellos in Kauf nehmen.“
Clanmitglied niedergeschossen, weil Verwandter nicht richtig grüßte
Die Anlässe sind dabei meist nichtig, wie aktuell der Prozess vor dem Berliner Landgericht gegen einen 24-Jährigen namens Giuseppe T. zeigt. Er soll am 27. November 2020 einen 30-Jährigen vor einem Kreuzberger Spätkauf niedergeschossen haben. Dem Opfer wurde zum Verhängnis, dass ein Mitglied seines Clans dem eines anderen nicht „den entsprechenden Gruß erbot“, wie es in der Anklage hieß. Der angeblich Verschmähte soll sich daraufhin „zu äußerstem Zorn gereizt“ gewesen sein.
Um Rache zu üben, sollen Giuseppe T. und ein bis heute Unbekannter ein beliebiges Mitglied des anderen Clans habe töten wollen. Der 30-Jährige hatte jedoch Glück und überlebte schwer verletzt. Dem Angeklagten droht lebenslange Haft wegen versuchten Mordes. Der Verschmähte, der lediglich das Auto zu dem Spätkauf gefahren haben soll, wurde bereits in einem früheren Verfahren zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt.
Ebenfalls bereits verurteilt wurde Oliviero V., der am zweiten Weihnachtsfeiertag 2020 mit einer Schusswaffe auf einem Kreuzberger Hinterhof gleich drei Clanmitglieder niederstreckte. Alle überlebten jedoch. Im September 2021 erhielt der damals 30-Jährige wegen versuchten Totschlags eine Haftstrafe von vier Jahren. Diese seien bewaffnet gewesen und hätten von ihm ohne Grundlage die Begleichung angeblicher Spielschulden in Höhe von 4000 Euro gefordert. Dass er aus Notwehr handelte, nahm ihm das Gericht jedoch nur bedingt ab.
Zahl der illegalen Schusswaffeneinsätze ging zuletzt zurück
Insgesamt wurden in Berlin im vergangenen Jahr deutlich seltener Waffen abgefeuert als noch 2020. Die Berliner Polizei registrierte für 2021 insgesamt 262 Schussabgaben und damit 55 weniger als im Vorjahr (317). Das teilte die Behörde auf Anfrage der Berliner Morgenpost mit. Mit einer Schusswaffe gedroht wurde dabei 299 Mal und damit fast genauso oft wie 2020 (307).
Damit liegt Berlin im gesamtdeutschen Trend. Das Bundeskriminalamt meldete kürzlich in seinem „Lagebild Waffenkriminalität“ bei den Drohungen einen Rückgang von 4370 auf 3881 und bei den Schussabgaben von 4454 auf 4074 Fälle – 2021 insgesamt also 7995 Straftaten unter Verwendung von Schusswaffen. Davon machen die 561 in Berlin registrierten Fälle rund sieben Prozent aus.