Vier Verletzte

Schüsse in Kreuzberg: Staatsanwaltschaft erwirkt Haftbefehle

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Andreas Gandzior und Alexander Dinger
Ein Einschussloch ist in einer Haustür in der Stresemannstraße im Berliner Stadtteil Kreuzberg zu sehen. Am frühen Morgen des zweiten Weihnachtstages fielen hier Schüsse. Vier Männer wurden schwer verletzt.

Ein Einschussloch ist in einer Haustür in der Stresemannstraße im Berliner Stadtteil Kreuzberg zu sehen. Am frühen Morgen des zweiten Weihnachtstages fielen hier Schüsse. Vier Männer wurden schwer verletzt.

Foto: Paul Zinken/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Vier Personen wurden durch Schüsse verletzt. Zuvor soll es im Clan-Milieu in einer illegalen Zockerbude zu einem Streit gekommen sein.

Berlin. Es war noch stockdunkel, als am frühen Morgen des zweiten Weihnachtstages in Berlin-Kreuzberg Schüsse fielen. Vier Männer wurden dabei schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Verbrechen im Milieu der Organisierten Kriminalität aus. Am Sonntag ergingen Haftbefehle gegen einen 30-Jährigen wegen versuchten Mordes in drei Fällen sowie gegen einen 39-Jährigen wegen unerlaubten Führens und Besitzes einer Schusswaffe. Dies teilte die Generalstaatsanwaltschaft auf Twitter mit. Beide Tatverdächtigen befänden sich aufgrund ihrer Schussverletzungen im Krankenhaus.

"Wegen der Schießerei im Milieu der Organisierten Kriminalität ermitteln wir gemeinsam mit einer Mordkommission der Polizei Berlin gegen mehrere Tatverdächtige wegen versuchten Mordes und prüfen die Beantragung von Haftbefehlen", hatte die Generalstaatsanwaltschaft am Nachmittag getwittert. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft hatte ergänzt, dabei gehe es um Personen, die zur Gruppe der vier Verletzten gehörten.

Wie der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, der Berliner Morgenpost sagte, müssen die Haftbefehle bis Sonntagabend 24 Uhr erlassen werden. "Da die Tatverdächtigen verletzt in Krankenhäusern liegen, können sie nicht persönlich vorgeführt werden", sagte er. "Wenn, dann wird es eine symbolische Vorführung geben." Bei einer so genannten symbolischen Vorführung ist es zulässig, dass dem Ermittlungsrichter lediglich die Akten zur Prüfung der Haftgründe vorgelegt werden.

Schüsse in Kreuzberg: Ausgangspunkt soll Streit in illegaler Zockerbude gewesen sein

Nach Informationen der Berliner Morgenpost soll der Ausgangspunkt der Schüsse im Clan-Milieu eine Auseinandersetzung in einer illegalen Zockerbude gewesen sein. Dieser Streit soll dann eskaliert sein. Wie die Morgenpost erfuhr, befinden sich unter den verletzten Personen ein Mitglied der bekannten Familie A.-Ch., der Familie Ch. und K.

Der Schütze, ein Italiener, sprang mit Schussverletzungen in den Landwehrkanal. Was genau der Auslöser des Streits war, ist noch immer unklar. Allerdings sind alle Beteiligten polizeibekannt. So gilt etwa der angeschossene und schwerverletzte Veysal K. in der Szene als Vollstrecker. Es gibt von ihm Fotos gemeinsam mit Arafat Abou-Chaker auf der Hochzeit von Bushido.

Ein weiteres interessantes Detail für die Ermittler: In der illegalen Zockerbude standen auch Glücksspielgeräte mit illegaler Casinosoftware aus China. Diese Geräte sind auch gerade in Neukölln in Umlauf und werden immer wieder bei Durchsuchungen entdeckt.

SEK-Beamte am Tatort

Am Nachmittag waren auch SEK-Beamte am Tatort, wie ein Polizeisprecher bestätigte. Sie gingen mit Waffe im Anschlag in ein Gebäude und durchsuchten eine Wohnung, wie ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete.

Kriminaltechniker trugen Koffer, einen kastenförmigen Gegenstand und Tüten mit sichergestellten Beweisen aus einem Haus an der Stresemannstraße. Der SEK-Einsatz war nach Angaben der Polizei am späten Nachmittag wieder beendet.

Anwohner der Stresemannstraße hören gegen 4 Uhr Schüsse

Nach derzeitigem Kenntnisstand alarmierten Anwohner die Polizei, die die Schüsse in der Stresemannstraße in unmittelbarer Nähe der SPD-Parteizentrale kurz vor vier Uhr gehört hatten. Die Feuerwehr wurde um 3.54 Uhr verständigt, sagte ein Sprecher gegenüber der Berliner Morgenpost. Es ging die Alarmierung Massenanfall von Verletzten (MANV) an die Einsatzkräfte. Es wurden drei Verletzte noch am mutmaßlichen Tatort gefunden.

Schüsse in Kreuzberg: Verletzter springt in den Landwehrkanal

Im Zusammenhang mit den Schüssen wurde die Feuerwehr um 5.12 Uhr ein zweites Mal alarmiert. Ein vierter Verletzter war in den nahen Landwehrkanal gesprungen, aus dem ihn Rettungskräfte herauszogen. Rund um den U-Bahnhof Möckernbrücke, der direkt am Landwehrkanal liegt, suchte die Polizei mit Taschenlampen das Unterholz im Uferbereich ab.

Die verletzten Männer, im Alter von zweimal 30 sowie jeweils einmal 39 und 42 Jahren, kamen den Angaben zufolge zur Behandlung in Krankenhäuser, wo sie stationär aufgenommen wurden. Ein Feuerwehrsprecher teilte der Morgenpost mit, dass die Verletzten in die Charite, ins Virchow-Klinikum, ins Bundeswehrkrankenhaus und ins Klinikum Friedrichshain gebracht wurden.

Mehrere Dutzend zum Teil schwer bewaffnete Polizeibeamte waren bereits vor Sonnenaufgang rund um den Ort des Geschehens im Einsatz. Auch ein Hubschrauber flog auf der Suche nach Beteiligten über der Hauptstadt. Festnahmen gab es zunächst nicht.

Der Tatort befindet sich augenscheinlich in einer Toreinfahrt an der Stresemannstraße, wie ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete. Die Polizei sperrte den Bereich weiträumig ab, nicht zuletzt für die Spurensicherung. Einem Polizeisprecher zufolge waren auch Polizeitechniker am Ort. Die Feuerwehr war mit 18 Fahrzeugen - u.a. Löschfahrzeugen, Rettungswagen und Notarztwagen - vor Ort. 32 Feuerwehrleute waren im Einsatz.

In der Stresemannstraße 23 gegenüber der SPD-Parteizentrale war in einer Tür ein Einschussloch zu sehen, wie der dpa-Fotograf berichtete, nicht weit davon entfernt ein weiteres Einschussloch in einer Glastür. Der Fußweg vor dem mutmaßlichen Tatort war abgesperrt.

Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen zwischen Familien in Berlin

In Berlin gibt es immer wieder Auseinandersetzungen auch zwischen einzelnen Gruppen oder Familien. Zuletzt hatte es in Kreuzberg nach Schüssen auf einen 29-Jährigen eine Attacke von etwa zehn Männer auf eine Erdgeschosswohnung und ein Auto gegeben.

Im Februar hatte eine Schießerei am Berliner Tempodrom in der Möckernstraße, nicht weit vom aktuellen Tatort entfernt, mit einem Toten und vier Verletzten für Aufsehen gesorgt. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, Mordkommission inklusive. Gegen einen 48-jährigen Mann, der einen 42-Jährigen erschossen haben soll und bei der Auseinandersetzung selbst schwer verletzt wurde, wurde damals Haftbefehl wegen Totschlags erlassen.

Bettina Jarasch (Grüne): Organisierte Kriminalität insgesamt bekämpfen

Die Grünen-Spitzenkandidatin für die Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021, Bettina Jarasch, forderte, Organisierte Kriminalität insgesamt zu bekämpfen. "Das, was oft als Clan-Kriminalität bezeichnet wird, ist ein Teil der Organisierten Kriminalität, der Rot-Rot-Grün in dieser Legislatur den Kampf angesagt hat", sagte Jarasch. Sie widersprach damit der Spitzenkandidatin der SPD, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die Ende November gefordert hatte, Clan-Kriminalität stärker in den Fokus zu nehmen.

"Wir haben uns die Organisierte Kriminalität bereits als einen Schwerpunkt vorgenommen. Vielleicht war Frau Giffey zu wenig unterwegs in der Landespolitik in den letzten vier Jahren, um das mitzubekommen", sagte Jarasch. "Wenn sie weitere Vorschläge hat, habe ich die bis jetzt noch nicht gehört." Die Grünen-Politikerin wies darauf hin, dass die rot-rot-grüne Koalition sich im Kampf gegen Organisierte Kriminalität bereits für eine stärker spezialisierte Staatsanwaltschaft und die bessere Zusammenarbeit von Polizei und Justiz an dieser Stelle eingesetzt habe.

"Und indem wir massiv etwas tun, das der Organisierten Kriminalität und eben auch der sogenannten Clan-Kriminalität am meisten wehtut, nämlich dass wir, wo immer es geht, Geld abschöpfen aus illegalen Geschäften", sagte Jarasch. "Insofern kann ich nur sagen: 'Her mit den Vorschlägen', aber ausdrücklich, und das ist der Unterschied: Uns geht es um die Organisierte Kriminalität insgesamt - und da gehört Wirtschaftskriminalität ganz genauso dazu."

Giffey hatte beim Landesparteitag der SPD gesagt: "Wir haben hier organisierte Clan-Kriminalität in der Stadt, die macht den Leuten das Leben schwer." Es sei nicht zu akzeptieren, dass diese Menschen den sozialen Frieden störten und die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit Füßen treten würden. "Wir haben hier zwölf Groß-Clans in der Stadt, acht davon sind in Neukölln unterwegs, nicht nur da, aber auch. Wir müssen das klar benennen." (mit dpa)