Nach einer Schießerei im Berliner Clanmilieu im vergangenen Dezember in Kreuzberg mit mehreren zum Teil Schwerverletzten ist ein 30-Jähriger am Donnerstag zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Das Landgericht sprach Oliviero V. des versuchten Totschlags sowie des Verstoßes gegen das Waffengesetz schuldig. Vier Schüsse habe er auf einen 41-jährigen Kontrahenten abgefeuert, hieß es in der Urteilsbegründung. Dieser wiederum habe keine Schusswaffe gehabt und habe weglaufen wollen.
Das Gericht berücksichtigte allerdings auch, dass der Angeklagte zuvor in eine Falle gelockt und durch bewaffnete Männer bedroht worden sein soll. Dem 30-Jährigen war zunächst versuchter Mord in drei Fällen zur Last gelegt worden. Er soll durch sieben weitere Kugeln auf zwei weitere Kontrahenten kurz zuvor erheblich verletzt haben.
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Angeschossene Männer sind Clan-Mitglieder
Nach Auffassung des Gerichts hatte bei den Schüssen auf den 41-Jährigen weder Notwehr noch ein entschuldigender Notstand vorgelegen. Im Fall der anderen beiden Opfer „mag das anders zu werten sein“, heiß es in der Urteilsbegründung. Diese Fälle wurden zuvor zur gesonderten Verhandlung abgetrennt.
Die drei Männer, die der in der Hauptstadt lebende Italiener in der Nacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag 2020 auf dem Hinterhof einer Spielhalle unweit der SPD-Bundesparteizentrale angeschossen hatte, sind laut Anklagebehörde dem kriminellen Milieu arabischstämmiger Großfamilien zuzuordnen. So handelte es sich unter anderem um Ali Abou-Chaker, Bruder des bekannten Clanchefs Arafat Abou-Chaker. Ein weiteres Opfer war der inzwischen in die Türkei abgeschobene Veysel Kilic, der als „Vollstrecker der Clans“ in der Unterwelt berüchtigt war.
Die drei Männer waren ihrerseits ebenfalls mit einer Pistole, einer Machete und einem Tierabwehrspray bewaffnet, wie das Gericht feststellte. Oliviero V. berief sich im Prozess auf Notwehr. Er sei in eine Falle gelockt, von drei bewaffneten Kontrahenten bedroht, geschlagen und zur Zahlung angeblicher Spielschulden in Höhe von 4000 Euro aufgefordert worden, so der Italiener.
In Angst um sein Leben habe er geschossen
Nach Attacken in der Spielhalle hätten die mit Pistole und Machete bewaffneten Männer den Angeklagten im Hof erneut bedroht, so das Gericht. Er werde zur Strafe eine Kugel bekommen, sei angekündigt worden. In Angst um sein Leben habe er geschossen. Er habe nicht töten wollen und auf die Beine gezielt, hatte Oliviero V. zuvor beteuert. Er wurde ebenfalls am Bein getroffen und verletzt.
Die letzten vier Kugeln, die den fliehenden 41-Jährigen trafen, seien allerdings als versuchter Totschlag zu bestrafen. Dabei sei das Gericht wegen der Vorgeschichte von einem minderschweren Fall ausgegangen. Die Staatsanwältin hatte fünfeinhalb Jahre Haft verlangt. Der Verteidiger plädierte auf einen Schuldspruch nur wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.