Berlin. An diesem Freitagmorgen werden neben Vertretern der kommunalen Wohnungsunternehmen auch Mitarbeiter der großen privaten Firmen Vonovia, Adler Group oder Heimstaden im Festsaal des Roten Rathauses erwartet. Sie folgen damit der Einladung der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die mit ihnen ein „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“ schmieden möchte. Bau- und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) hält es für realistisch, sich mit der Wohnungswirtschaft auf einen freiwilligen Mietenstopp für mehrere Jahre zu einigen. Im Gegenzug soll es für die Immobilienbranche Erleichterungen beim Neubau geben.
„Die Bauherren haben natürlich ein Interesse, schnelle Baugenehmigungen und Planungsrecht zu bekommen“, sagte Geisel. Das im Koalitionsvertrag vereinbarte „Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbare Wohnen“ soll bis Ende Juni eine verbindliche Vereinbarung ausarbeiten, wie beide Ziele erreicht werden können. Neben den großen privaten und kommunalen Wohnungsunternehmen und den zuständigen Senatsverwaltungen, sind auch vier Bezirksämter, der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU, der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen BFW , Genossenschaften, der Mieterverein, die IHK und Gewerkschaften vertreten.
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Mietsteigerungen auf Höhe der Teuerungsrate wären möglich
Das Ziel formulierte Geisel so: „Wir wollen ein breites Bündnis schließen, weil wir die zentrale soziale Frage nach bezahlbarem Wohnraum nur gemeinsam lösen können.“ Dabei will der Senat den Neubau von 20.000 Wohnungen pro Jahr erreichen und den Anstieg der Mieten bremsen. „Es ist in der Tat so, dass wir für einen freiwilligen Mietenstopp einen mittleren Zeitraum in den Blick nehmen. Das Landesinteresse ist mindestens fünf Jahre“, sagte Geisel. Er halte es für realistisch, dass die Wohnungswirtschaft sich darauf einlasse, „wenn Berlin die Anforderungen, die an uns gestellt werden, auch erfüllt“. Allerdings formulierte er auch deutlich, dass die Mieten nicht über mehrere Jahre auf den aktuellen Stand eingefroren werden können. „Klar ist: Die Inflationsrate muss sicher dargestellt werden, alles andere wäre weltfremd“, so der SPD-Politiker. Tatsächlich würde der von Geisel angedachte Mietenstopp damit weitere Mietsteigerungen zulassen. So betrug die Inflationsrate 2021 laut Statistischem Bundesamt 3,1 Prozent, für 2022 erwartet die Bundesbank eine Teuerungsrate sogar in Höhe von 3,6 Prozent.
Geisels Sprecher Martin Pallgen verwies darauf, dass auch das vom Bundesverfassungsgericht am 25. März 2021 gekippte Mietendeckel-Gesetz ein Erhöhungsrecht in Höhe der Inflationsrate ab 1. Januar 2022 vorsah. Allerdings war dieses jedoch auch bei höherer Inflation auf maximal 1,3 Prozent begrenzt. Noch ist offen, ob die Bündnispartner sich auf eine entsprechende Formel einigen.
80 Prozent des Baulandes in Berlin in Privateigentum
Klar sei, dass es nicht so weitergehen könne wie bisher, betonte Geisel weiter. „Wenn Sie sich die Statistik der Baugenehmigungen ansehen, haben Sie bis 2016 einen Anstieg und dann ein Abfallen. Und auch die Zahl der Fertigstellungen geht inzwischen runter“, sagte Geisel. „Gleichzeitig haben wir deutlich steigende Baupreise und weiter ansteigende Grundstückspreise. Der Druck auf den Wohnungsmarkt in Berlin ist nach wie vor da und nimmt noch zu.“
Deshalb müssten überall in der Stadt bezahlbare Wohnungen gebaut werden. „Dafür müssen wir landeseigene, aber auch private Flächen einsetzen“, sagte Geisel. 80 Prozent des Baulandes in Berlin seien in privatem Eigentum.
Auch die Wohnungsunternehmen knüpfen ihrerseits große Erwartungen an das Bündnis. „Das Neubauziel des Senats, dass pro Jahr 20.000 neue Wohnungen fertiggestellt werden sollen, richtig und wichtig“, sagte Maren Kern, Chefin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU. Aus Sicht des BBU seien für mehr bezahlbaren Neubau schnellere Planungs-, Genehmigungs- und Baustelleinrichtungsverfahren, ausreichende Versorgung mit bezahlbarem Bauland, die konsequente digitale Stärkung der öffentlichen Verwaltung in Land und Bezirken, der wachstumsgerechte Ausbau der Verkehrs- und Sozialinfrastruktur erforderlich – sowie der Verzicht auf weitere Verschärfungen der Berliner Bauordnung.
Berliner Mieterverein: Neubau löst nicht das Wohnungsproblem
Das vom Berliner Senat geplante „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“, das an diesem Freitag erstmals im Roten Rathaus zusammenkommt, wird die Probleme auf dem Wohnungsmarkt nach Einschätzung des Berliner Mietervereins (BMV) nicht lösen können.
„Die zentrale These des Bündnisses ist es, dass wir über die Ausweitung des Wohnungsneubaus zu einem ausgeglichenen Mietenmarkt kommen“, sagte der Geschäftsführer des BMV, Reiner Wild, am Donnerstag. Dies sei allerdings so nicht richtig, wie eine Kurzstudie des Mietervereins zeige. Insbesondere sei die angestrebte Orientierung am Hamburger Bündnismodell ein Fehler, so Wild weiter.
„Neubaufixierter Blick hilft nicht“
„Der einseitig neubaufixierte Blick auf die Hamburger Wohnungspolitik hilft uns hier in Berlin schon wegen der schwierigeren sozialen Situation nicht weiter“, führte Reiner Wild weiter aus.
Das Hamburger Bündnis hat jährlich 10.000 neue Wohnungen zum Ziel und strebt dabei einen Drittelmix aus Eigentums-, Miet- und Sozialwohnungen an. Berlin will mit Hilfe des Bündnisses aus Verwaltung, Bau- und privater sowie kommunaler Wohnungswirtschaft sowie Genossenschaften den Neubau von 20.000 Wohnungen im Jahr erreichen, um den Mietanstieg zu bremsen.
Da die Ausgangssituation am Berliner Wohnungsmarkt eine gänzlich andere sei als in Hamburg, könne man mit den Rezepten, mit denen die Hansestadt seit 2011 gegen den Mangel an bezahlbaren Wohnungen vorgehe, nicht einfach zehn Jahre später auf Berlin übertragen, sagte Wild.
Den Drittelmix nach dem „Gießkannenprinzip“ könne sich die Hauptstadt nicht leisten: Berlin habe zwischen 2002 und 2014 den Bau von Sozialwohnungen nicht mehr gefördert, weshalb durch den Wegfall von Belegungsbindungen der Schwund an Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen enorm sei.
Mangel an bezahlbaren Wohnungen bleibt hoch
Auch die bedarfsgerechte Errichtung von Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung sei wichtig, sagte Wild weiter. Der Wohnungsmarktvergleich zwischen Berlin und Hamburg zeige aber, dass es trotz vieler Neubauten in Berlin und Hamburg immer noch zu wenig Wohnungen zu niedrigen und mittleren Mieten gebe. „Der Bevölkerungs- und Haushaltszuwachs von 2010 bis 2020 überstieg in den meisten deutschen Großstädten die Zunahme an Wohnraum zumeist erheblich.“
Wie viele dieser Wohnungen in den Städten fehlten, sei unklar. Der Mangel werde aber auf mehrere tausend bis zehntausend Wohnungen in Berlin und in Hamburg beziffert. Die Zahl preiswerter Wohnungen, die in Berlin auch durch erhöhte Mieten bei Wiedervermietungen verloren gehen, wird in der Studie auf 70.000 bis 90.000 geschätzt.
Fokus soll auf stärkerem Mieterschutz liegen
„Wir fordern deshalb, den Fokus auf die Stärkung des Mieterschutzes zu setzen“, sagte Wild weiter. Der Mieterverein ist Mitglied des Bündnisses. Vor allem müsse der Verlust von preisgünstigem Wohnraum durch hohe Mieten bei Wiedervermietung aber auch zum Teil durch Modernisierung, durch Umwandlung in Eigentum gestoppt werden.
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