Berlin. 09:55 An Mord und Totschlag erinnert in den Büroräumen des Berliner Kriminal Theaters nichts. Im Gegenteil: In den denkmalgeschützten Räumen eines ehemaligen Restaurants fallen zunächst die opulenten Bleiglasfenster aus den 50er-Jahren auf, mit typischen DDR-Motiven aus dem Arbeiter- und Bauernstaat. „Wir befinden uns hier in den architektonischen Ausläufern von Hermann Henselmanns Karl-Marx-Allee“, erklärt Wolfgang Seppelt. Der Chefdramaturg und Ko-Intendant der Friedrichshainer Bühne arbeitet gerade am Textbuch vom „Tatortreiniger“. Dafür hat er sich etwa 30 Folgen der ARD-Erfolgsserie angeschaut. „Mit einem Drehbuch kann man im Theater nichts anfangen. Ich gucke danach, was bühnentauglich ist“, verrät er. Die drei Folgen, die er ausgewählt hat, adaptiert er für die Bühne.
11:38 Einen Raum weiter bereitet Wolfgang Rumpf die Premiere des „Tatortreinigers“ im Herbst 2019 mit ersten Überlegungen zum Bühnenbild ebenfalls vor. Der Intendant und künstlerische Leiter führt dann Regie. Vorher inszeniert er noch den „Stalker“ von Lind Lichterfield, eine Uraufführung im März 2019. Also gleich zwei der neuen Stücke im nächsten Jahr. Nachher steht aber erst mal ein Vorsprechen an. Schauspielerin Jenny Löffler verlässt das Kriminal Theater und geht zum Fernsehen. Da sie in gleich sieben Produktionen mitgewirkt hat, muss Wolfgang Rumpf nun eine vom Typ her ähnliche Mimin finden. Er überlegt, gleich zwei neue Schauspielerinnen zu engagieren, mit denen er dann in die Umbesetzungsproben geht.
12:09 Auf halbem Weg zwischen dem Büro und dem Theater liegt die hauseigene Werkstatt. Der Geruch von Holz, Farben und Lösungsmitteln liegt in der Luft. An der Werkbank von Werkstattleiter Michael Demke nimmt langsam ein Versatzstück für die neue Herbstproduktion „Passagier 23“ Gestalt an. Der Psychothriller von Sebastian Fitzek, inszeniert von Thomas Wingrich, feiert am 19. September Premiere und gesellt sich dann zu aktuell 16 weiteren Stücken im Repertoire. Für Michael Demke ist „Passagier 23“ bereits die 27. hauseigene Produktion, für die er das Bühnenbild baut.
13:17 Gegründet im Jahr 2000 von Wolfgang Rumpf und Wolfgang Seppelt, zog das Berliner Kriminal Theater 2003 um. In Wilmersdorf waren die Räumlichkeiten eher klein und beengt. Nun, im Gebäudekomplex des Umspannwerkes Ost, sind sie weitläufig. Die Bühne selbst im XXL-Format ist für ein Privattheater mit 200 Plätzen beachtlich dimensioniert. Alessandro Vincenzi und Marcel Blüthgen bauen das Bühnenbild von der gestrigen Aufführung ab und das von der heutigen auf. Das helle Rosa von Agatha Christies „Ein Mord wird angekündigt“ weicht dem dunkleren von Saul O’Haras „Inspektor Campbells letzter Fall“. Dabei präparieren Vincenzi und Blüthgen manch tödliche Falle für das Mörderduell am Abend.
14:26 Dennis Schönwetter arbeitet an der Pressekampagne für die nächste Premiere: „Passagier 23“ ist nach „Der Seelenbrecher“ und „Therapie“ die dritte Bühnenadaption eines Fitzek-Thrillers auf dem Spielplan des Theaters. Der Berliner Autor kommt gut an. Soeben hat Schönwetter einen Plakatentwurf zur Druckerei geschickt. Außerdem feilt er noch am Pressetext und an einem Radiospot. Zufrieden ist er aber schon mal mit einem ersten großformatigen Plakat, das die neue Produktion bereits im Foyer ankündigt.
15:43 Laufkundschaft hat Jakob Osiewalski an der Kasse um diese Zeit eher wenig. Die meisten Zuschauer reservieren per E-Mail oder Telefon. Aktuell berät er eine Dame, die sich nicht zwischen zwei Krimiklassikern von Agatha Christie entscheiden kann. Letztlich toppt die „Mausefalle“ den „Tod auf dem Nil“. Schon über 170.000 Besucher haben sich in 18 Jahren das Kultstück in über 1300 Vorstellungen angeschaut.
16:31 Tief unter der Bühne im Basement liegt das Reich von Erika Löffler. Die ehemalige Chefmaskenbildnerin des legendären Metropol-Theaters gibt den Haarteilen für „Inspektor Campbell“ gerade den letzten Schliff. Vera Müller bekommt ein lockiges Haarteil und Glatzenträger Thomas Gumpert ein Toupet und einen Schnäuzer. „Bei ihm werden später auch noch die Augenbrauen präpariert“, erklärt Erika Löffler. Sie hat zudem noch einen kleinen Vorrat an Schnurrbärten angelegt. Denn sobald der Träger schwitzt, hält der Theaterkleber nicht mehr, und der Schnäuzer muss umgehend ausgewechselt werden.
17:59 Laura Jekabsone poliert die Gläser an der Bar, füllt Flaschen auf und bereitet die Getränke vor. Die fröhliche Lettin will startklar sein, wenn die ersten Gäste kommen. Vor der Vorstellung und in der Pause muss schließlich alles fix gehen. Die Zuschauer wollen ihren Durst schnell löschen.
18:17 Ankleiderin Sabine Puppe begutachtet die Kostüme ein letztes Mal besonders gründlich, bevor sie aufgehängt werden. Frisch gewaschen, gebügelt und falls nötig ausgebessert, werden sie dem jeweiligen Schauspieler und seiner Rolle zugeordnet. Bei „Inspektor Campbell“ kommen zu den historisierten Kostümen teils auch noch aufwendige Hüte. So wird die Krimikomödie um zwei Gattenmörder zum Augenschmaus.
19:34 Claudia Neumann (48) aus Charlottenburg ist bester Laune. „Ich bin echter Krimifan und verpasse hier kein Stück“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrer Freundin Denia Heintz (49) genießt sie vor der Mörderjagd noch einen Weißwein. Die Frauen schätzen die Spannung auf der Bühne. „Live ist das noch mal was anderes als ein Krimi im Fernseher“, wissen sie.
20:05 Gerade noch entspannt in der Maske bei Erika Löffler plaudernd, stehen sich die Schauspieler Vera Müller und Thomas Gumpert nun als Rivalen auf der Bühne gegenüber. Beide sind jetzt mehrfache Gattenmörder und würden den jeweils anderen liebend gern um die Ecke bringen. Raffinierte Ideen dafür haben sie zuhauf. Doch sie haben die Rechnung ohne Inspektor Campbell gemacht. Der möchte die beiden in seinem letzten Fall überführen und trickst gewaltig. Ob es ihm gelingt, die Mörder dingfest zu machen, verrät ein Besuch im Berliner Kriminal Theater.
Berliner Kriminal Theater Palisaden-straße 48, Friedrichshain, Tel. 47 99 74 88, Infos unter www.kriminaltheater.de
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