Bereits am Eingang merkt man, dass es hier anders ist. Statt der klassischen Empfangsdame erwartet einem bei dem Start-up „Lieferheld“ ein junger, betont lässiger Typ. „Was kann ich für Euch tun?“
Auch die Einrichtung der Büroräume an der Mohrenstraße in Berlin-Mitte zeugt davon, dass hier Wert auf die Laune der Mitarbeiter gelegt wird. Helle gelbe Sofas, Konferenztische, die man sich auch die eigene Küche stellen würde und vor allem viel Platz.
Doreen Huber, (31) will jetzt noch mit etwas anderem aufräumen bei „Lieferheld“. Anfang des Jahres hat sie die Leitung der Personalabteilung übernommen. Ihr Ziel: Mehr Frauen.
Berliner Morgenpost: Frau Huber, Sie haben etwas geschafft, was in diesem Land nur wenigen gelingt. Sie sind in der Geschäftsführung eines größeren Unternehmens. Und das, obwohl Sie eine Frau sind. Bietet Ihre Branche Frauen, die nach Führungspositionen streben, bessere Chance als die etablierten Firmen?
Doreen Huber: Ja, wenn man nicht nur nach den großen Namen schaut auf jeden Fall. In einem kleinen Laden, der schnell wächst, gibt es extrem gute Aufstiegschancen. Wenn ich gut bin, kann ich in einem Jahr das erreichen, wozu ich woanders fünf Jahre brauchen würde. Leider trifft man hier nur wenige Frauen. Es gibt ein paar Gründerinnen, die auch durchaus etwas bewegen, aber im Prinzip bleiben die Männer unter sich. Auch im Management.
Warum?
Das hat viel mit Gewohnheit zu tun. Die Jungs sind miteinander befreundet, sie haben ihre kleinen Kreise und wollen, dass es so bleibt. Man kennt sich und hilft sich gegenseitig.
Das klingt sehr nach dem Old-Boys-Club der klassischen Unternehmen und gar nicht nach hipper Start-up-Szene.
Ja, mich überrascht das auch. Ich war neulich bei einem Meeting mit Business Angels, also Menschen, die Start-ups Finanzierungshilfe geben – alle waren Männer, alle kannten sich aus dem Studium. Natürlich schieben die sich gegenseitig Deals zu. Ruf doch mal den an, bring doch mal den da rein. Hey, wir suchen hier gerade einen Geschäftsführer. Hast Du nicht Bock dazu? Bei der Gründung eines Unternehmens gibt es keine Stellenausschreibungen. Umso wichtiger sind die Netzwerke. Und da die eben männlich dominiert sind, fehlt Frauen von Anfang an die Chance.
Wie kann eine so junge Branche schon so festgefahrene Strukturen haben?
Das liegt am kulturellen Klima. Dass es zum Beispiel in den USA anders ist, erklärt sich dadurch, dass dort früher über das Thema Diskriminierung nachgedacht und dadurch automatisch die Quote zum Thema wurde. Daher profitieren die Unternehmen jetzt von starken Frauen. Wobei generell gilt: Who is best for the job, gets the job! Die Quote ist daher auch als Instrument zu verstehen, die Diskriminierung definitiv auszuschließen.
Wie sinnvoll sind weibliche Netzwerke?
Sehr. Die Berlin Geekettes zum Beispiel finde ich spannend. Denn bislang sind die paar Frauen, die an der Spitze sind, eher Einzelgängerinnen und netzwerken mit den Männern. Ich will mich da gar nicht ausschließen. Frauen gehen anderen Frauen eher aus dem Weg, um sich nicht in die ‚Frauenecke‘ schieben zu lassen.
Hatten Sie selbst weibliche Vorbilder?
Nein, ich habe über dieses ganze Thema erst angefangen nachzudenken, als mich eine Diplomandin für ihre Abschlussarbeit zu Gründerinnen in der Start-up Branche befragte. Ein paar Tage später hörte ich EU-Kommissarin Viviane Reding bei einer Konferenz über die Frauenquote reden. Ihre Argumente haben mich sehr beeindruckt. Anfang des Jahres habe ich dann bei Lieferheld die Leitung der Personalabteilung übernommen, und da war ich überrascht, wie schlecht wir dastehen. Im Management ist es katastrophal, da liegen wir bei 16 Prozent. Im Topmanagement bin ich die einzige von sieben. Daraufhin habe ich die Männer befragt, warum stellt ihr eigentlich keine Frauen ein? Und die sagten: Es bewirbt sich keine. (lacht) Die klassische Ausrede.
Und was wollen Sie dagegen tun?
Wir brauchen eine Frauenquote. Jetzt, in unserer großen Wachstumsphase ist der beste Zeitpunkt dafür. Anders können wir die Strukturen nicht aufbrechen. Ich begreife sie weniger als Zwang, sondern als Chance für die Frauen und auch für die Unternehmen, von der Vielfalt positiver Eigenschaften zu profitieren.
Wird das Krach im Unternehmen geben?
Gerade sind wir in der soften Phase, ich bin freundlich, mache auf das Problem aufmerksam. Wir machen Interviewtrainings mit den Managern, damit sie lernen, die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Bewerbern besser einzuschätzen. Viele interviewen nämlich einfach nach einem starren Muster, das auf die Art Männer zugeschnitten ist, die ständig ‚hier‘ schreien. Auch wenn sie hinterher den Aufgaben gar nicht gewachsen sind. Frauen aber muss man oft eher proaktiv ansprechen, sie nicht sofort mit tausend Anforderungen beballern. Männer gehen mit Frauen, die zögerlich sind, oft respektlos um. Ich habe mal einen Kollegen gefragt, wen willst du eigentlich einstellen? Jemanden, der eine Kopie von dir selbst ist, oder doch eher jemanden, der dich herausfordert und einen anderen Blick in dein Team bringt. Frauen beurteilen sich oft kritischer. Aber gerade die Liebe zum Detail und der kritische Ansatz sind sehr bereichernd für die Zusammenarbeit.
Also wäre eine Frauenquote nicht nur nötig für die Chancengleichheit, sondern hätte auch wirtschaftlichen Nutzen?
Durchaus, Frauen sind oft ausgeglichener und kommunikationsfreudiger. Insbesondere beim Aufbau und der Optimierung von Prozessen zeigen sie sehr viel Detailgenauigkeit. Skalierbare Prozesse sind unglaublich wichtig, wenn man schnell wachsen will. Was aber auch sehr wichtig ist: Frauen hinterfragen große Ausgaben oft genauer. Wir haben gerade unsere Strategie diskutiert. Einige der männlichen Kollegen wollten gern schneller expandieren, ich wollte sicherstellen, dass die Dinge, die wir schon machen, gut funktionieren. (Lacht) Manchmal komm ich mir hier schon vor wie Mutti, die das Haushaltsgeld zusammenhält. Aber immer nur Gas geben geht auch nicht. Nicht zuletzt deswegen gehen acht von zehn Neugründungen wieder pleite. Übrigens werden im E-Commerce 80 Prozent der Kaufentscheidungen von Frauen getroffen. Die Zielgruppe Frau ist sehr wichtig.
Wie hoch ist Ihre angestrebte Frauenquote?
40 Prozent. Auch im Management. Es gibt genug gute Bewerberinnen, man kann da als Unternehmen schon offen sein. Die Vielfalt gelingt ja auch an anderer Stelle. An unserem Standort in Berlin arbeiten 40 Nationalitäten zusammen. Wir beschäftigen allein in der Hauptstadt knapp 300 Leute, da hat man auch eine soziale Verantwortung. Ich zum Beispiel bin ein großer Fan von Müttern. Die sind extrem belastbar und multitaskingfähig.
Warum gibt es so wenige Gründerinnen? Für eine Webseite braucht man doch längst kein geheimes Tech-Wissen mehr?
Frauen scheuen vielleicht das Risiko zu sehr. Wenn man sich erst einmal einen gewissen Lebensstandard angewöhnt hat, mit einer Wohnung, zwei Kindern, Urlauben, dann gehört schon einiges dazu, alles auf eine Idee zu setzen, die vielleicht in Schulden endet. Deswegen rate ich allen jungen Frauen: Gründet möglichst früh. Am besten, solange ihr noch glücklich seid mit eurer Einzimmerwohnung.
Man sagt, Frauen gründen nachhaltigere Unternehmen, Männer sind eher darauf aus, schnell und teuer an einen Großen zu verkaufen. Brauchen wir deswegen die Frauenquote? Damit die Branche überhaupt überleben kann?
(Lacht) Da könnten Sie Recht haben. Berlin ist noch in der Regionalliga. Es gibt tolle Unternehmen, aber die kann man an einer Hand abzählen. Wer gründen will, der sollte sich an der Champions League orientieren und auch mal einen Blick woanders hin, zum Beispiel über den großen Teich werfen. Die erfolgreichen Unternehmen legen immer Wert auf Vielfalt in ihren Teams. Das ist nicht nur eine Frage von Frauen, nein, ich persönlich interpretiere Vielfalt viel weitgreifender. Verschiedene Nationalitäten und Erfahrungen – all das bereichert unglaublich.