Berliner Gründerszene

I-Potentials verkuppelt Start-ups mit Mitarbeitern

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Hans Evert

Foto: Amin Akhtar

Die Firma i-potentials ist eine Jobbörse, die professionell nach Fachkräften für die Gründerszene sucht. Ein altes Gewerbe, wie Geschäftsführerin Anna Ott meint.

Von Lebensläufen, sagt Anna Ott, halte sie nicht viel. Auch der Wert eines Studiums wird ihrer Meinung nach überschätzt. „Das braucht man für viele Jobs in der Start-up-Branche im Grunde nicht“, sagt sie. Was aber nicht heißt, dass Anna Ott Uni-Abbrecher mit schlampigen Unterlagen für besonders geeignet hielte.

Zeigen doch Diplom, Master oder Bachelor, dass jemand mindestens einmal etwas erfolgreich zu Ende gebracht hat. Auf so etwas achten die Kunden von Ott, und meistens wollen die auch einen Lebenslauf sehen.

Anna Ott ist ein Profi, man kann ihr nicht viel vormachen. Ott weiß besser als die allermeisten, wovon sie redet, wenn es um Jobs in angesagten Internetfirmen geht. Sie sucht professionell nach Fachkräften für Start-ups. In ihren Worten klingt das so: „Wir verkuppeln Leute miteinander, von denen wir hoffen, dass sie schnell Gefallen aneinander finden werden. Wir sind ein altes Gewerbe.“

Aus der Herausforderung wurde ein Geschäftsmodell

Mag das Gewerbe alt sein, die Firma i-potentials ist es nicht. Ende 2009 begann die Personalagentur damit, Leute speziell für die Gründerszene zu vermitteln. Hinter der Firma stehen Gründerin Constanze Buchheim und Team Europe, Inkubator des Berliner Investors und Seriengründers Lukasz Gadowski.

Zu seinem Reich zählen Unternehmen wie das Bringedienst-Portal Lieferheld, der Brillenversender Mister Spex sowie viele weitere Beteiligungen. Team Europe und die verbundenen Unternehmen sind ständig auf Mitarbeitersuche. Also wurde aus der Herausforderung, Leute zu finden, ein Geschäftsmodell.

Ott ist seit 2010 mit an Bord und seit vergangenem Jahr neben Gründerin Buchheim Geschäftsführerin. Wie viele Manager der Internetbranche ist Ott mit 31 Jahren ziemlich jung. Was sie vielen voraus hat, sind 13 Jahre Berufserfahrung. In der Gründerszene gilt das als irrwitzig langer Zeitraum. Anna Ott hat bereits Mitarbeiter für Internetfirmen gesucht, als AOL noch als Weltkonzern galt und Google als die Firmengründung zweier Nerds.

Seit 2008 mehr als 10.000 Jobs in der Kommunikationsbranche

Beim Bertelsmann-Start-up Lycos – mittlerweile ein Internet-Zombie, um die Jahrtausendwende aber ein großes Zukunftsversprechen – begann Ott mit der Personalsuche. „Damals habe ich Leute eingestellt, die nicht wussten, was sie werden sollten“, sagt Ott. Webdesign und Online-Marketing waren exotische Disziplinen, die kaum einer beherrschte.

„Das“, sagt Ott, „hat sich radikal verändert.“ Die digitale Wirtschaft sei längst etabliert, einst neue Berufsbilder vertraut. Wer mit Ott im Dachgeschossbüro von i-potentials an der Mohrenstraße spricht, bekommt auch eine historische Einordnung der Internetszene. „Während der ersten Internetwelle herrschte eine aufgeregte Goldgräberstimmung“, sagt Ott. „Jetzt können auch die Hersteller von Schaufeln verdienen.“

An Schaufelherstellern wie i-potentials zeigt sich, dass hier längst eine etablierte Branche wirtschaftet. Das spiegelt sich in den Zahlen der Beschäftigten. Seit dem Jahr 2008 sind in Berlin nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gut 12.000 sozialversicherungspflichtige Stellen bei Unternehmen der Kommunikationsbranche entstanden.

20.000 potenzielle Arbeitsuchende hat i-potentials in der Datenbank

Diese Dynamik wird wohl anhalten, wie eine Umfrage vom Januar im Auftrag des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) zeigte. Danach planen 85 Prozent der befragten Internet-Start-ups Neueinstellungen.

Für die Schaufelhersteller von i-potentials sind das gute Nachrichten. Erhöht es doch die Wahrscheinlichkeit, dass Ott für eine gute Provision neue Führungskräfte vermitteln kann. Nach eigener Darstellung verfügt das Unternehmen über einen imposanten Schatz in seiner Datenbank.

Es sind gut 20.000 Namen von Beschäftigten, Suchenden oder bald Suchenden. Topkräfte, die mehrere Hunderttausend Euro im Jahr verdienen, sind darunter, aber auch ehrgeizige Absolventen, die als Neulinge im Online-Marketing zunächst 45.000 Euro brutto im Jahr bekommen.

Personalvermittlerin lernt wie ein Arzt sehr viel über Menschen

Die vielen Namen sind das Kapital einer Personalvermittlung – neben dem Vertrauen in die Berater. „Das lässt sich mit einem Besuch beim Arzt vergleichen“, sagt Ott. Der Noch-Arbeitgeber darf nicht wissen, dass der Finanzchef gerade diskret die Möglichkeiten eines Wechsels sondiert.

In jedem Fall lernt eine Personalvermittlerin wie ein Arzt sehr viel über Menschen. Sie erfährt, was sie verdienen, was sie insgeheim wirklich wollen, ob sie sich überschätzen und was sie überfordert. Sie lernt die ganze Bandbreite kennen und auch die saisonalen Schwankungen des Geschäfts. „Am Jahresanfang ist es schwierig, Manager abzuwerben. Da warten die Führungskräfte auf ihren Bonus.“

Zudem erkennen Ott und ihre Kolleginnen – bei i-potentials arbeiten zwölf Frauen und zwei Männer – Strömungen und Umbrüche. Wie angesagt ein Managementposten bei einem Start-up wirklich ist, zeigt die Tatsache, dass viele Investmentbanker über i-potentials nach einer Stelle suchen. „Da findet eine Flucht aus Konzernstrukturen statt“, hat Ott registriert.

Führungskräfte projizieren ihre Sehnsüchte auf Berliner Gründerszene

Offenbar sehnen sich nicht wenige Führungskräfte nach einer Arbeitswelt ohne konkurrierende Hierarchieebenen, ohne Machtspiele in Meetings, ohne starre Struktur – und projizieren ihre Sehnsüchte auf die Berliner Gründerszene.

Dafür seien sie sogar bereit, Einbußen beim Gehalt in Kauf zu nehmen, sagt Ott. Wobei sie in erster Linie Personal vermittelt, das bestenfalls 40 Jahre alt ist. Das hat viel mit dem oft noch experimentellen Charakter der Szene zu tun. Aber das wird sich ändern.

„In der Anfangsphase sind Start-ups oft chaotisch. Das verlangt nach einem speziellen Typus“, sagt Ott. Wenn ein Unternehmen eingespielt ist, es möglichst reibungslos funktionieren soll, sind andere Leute gefragt. Neulich, erzählt sie, habe sie einen Personalchef zu einem Start-up mit mehreren Hundert Mitarbeitern vermittelt. Der Mann kommt aus der Industrie und ist schon über 50.